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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Die niederländische Genre- und Landschaftsmalerei.

Bei dem gegenwärtigen Stande unsrer Kenntnisse von dem Entwicklungs¬
gange der altniederländischen Malerei vermögen wir nicht zu sagen, in welchem
Zusammenhange die ältesten Landschaftsmaler im eigentlichen Sinne, Joachim
de Patiuir und Hcrri de Bles, mit den Nachfolgern Jans van Esel gestanden
haben. Wir wissen nur, daß beide in derselben Gegend, im oberen Maasthale,
geboren sind, der eine in Dinant, der andre in dem gegenüberliegenden
Bvuvignes. Es ist möglich, daß beide aus einer lokalen Malerschule hervor¬
gegangen sind, möglich auch, daß sie ihre Ausbildung erst in Brügge erhalten
haben, welches in den letzten Jahrzehnten des 15. Jahrhunderts den Mittel-
Punkt der niederländischen Malerei bildete. Es wird vermutet, daß Gerard
David, ein Schüler Memliugs, auf Patiuir vou Einfluß gewesen ist, und an
den letztem soll sich wieder Herri de Bles angeschlossen haben. Patinir tritt
erst mit dem Jahre 1515, wo er als Freimeister in die Lukasgilde von Ant¬
werpen aufgenommen wurde, in das Licht der Geschichte, und in demselben Jahre
ließ sich auch Gerard David in die Gilde einschreiben, um einen allerdings nur
vorübergehenden Aufenthalt in Antwerpen zu nehmen. Man hat daher Grund,
zu vermuten, daß beide aus demselben Orte, also aus Brügge, nach Antwerpen
übersiedelte", weil vielleicht in der blühenden und reichen Handelsstadt, welche
allmählich an die Stelle von Gent und Brügge trat, ein besseres Brot zu
verdienen war. Während aber David nicht lange in Antwerpen blieb -- er
starb 1623 in Brügge --, ließ sich Patinir dauernd in der Schcldestadt nieder.
Er verheiratete sich und gelaugte bald zu solchem Wohlstande, daß er sich im
März 1520 ein Haus kaufen konnte. Und nicht bloß Wohlstand, sondern auch
Achtung muß er sich durch seine Kunst erworben haben, da Dürer während
seines Aufenthalts in Antwerpen im Jahre 1521 einen lebhaften Verkehr mit
"Maister Joachim" unterhielt. Er erwähnt ihn häufig in seinem Tagebuche
von der niederländischen Reise, und einmal nennt er ihn ausdrücklich den "guten
landschafftmahler," soviel wir wissen, das erstemal, daß dieser Ausdruck in
einem Schriftstücke gebraucht wird, da eine Trennung der Maler nach Fächern
bis dahin nicht üblich war. In demselben Jahre verheiratete sich Patinir zum
zweitenmale und lud Dürer zu seiner Hochzeit. Er muß aber schon im Jahre
1524 nicht mehr gelebt haben, da seine Frau in einer Urkunde aus diesem
Jahre Witwe genannt wird. Ein hohes Alter hat Patinir demnach nicht
^'reicht, und dem entspricht auch die geringe Zahl von Werken seiner Hand,
die sich noch nachweisen lassen.

Vier davon tragen seinen Namen, und auf Grund dieser vier kann man
"och etwa ein Dutzend andrer ihm mit einiger Sicherheit zuschreiben. Patinir
galt bereits seinen Zeitgenossen als ein Landschaftsmaler, weil er die heiligen
Figuren, welche sonst räumlich und geistig den Mittelpunkt der Komposition
bildeten, auf ein ganz bescheidenes Maß rcduzirte und dafür die Landschaft zu
weiterer Perspektive ausdehnte und alle Einzelheiten derselben auf das liebevollste


Die niederländische Genre- und Landschaftsmalerei.

Bei dem gegenwärtigen Stande unsrer Kenntnisse von dem Entwicklungs¬
gange der altniederländischen Malerei vermögen wir nicht zu sagen, in welchem
Zusammenhange die ältesten Landschaftsmaler im eigentlichen Sinne, Joachim
de Patiuir und Hcrri de Bles, mit den Nachfolgern Jans van Esel gestanden
haben. Wir wissen nur, daß beide in derselben Gegend, im oberen Maasthale,
geboren sind, der eine in Dinant, der andre in dem gegenüberliegenden
Bvuvignes. Es ist möglich, daß beide aus einer lokalen Malerschule hervor¬
gegangen sind, möglich auch, daß sie ihre Ausbildung erst in Brügge erhalten
haben, welches in den letzten Jahrzehnten des 15. Jahrhunderts den Mittel-
Punkt der niederländischen Malerei bildete. Es wird vermutet, daß Gerard
David, ein Schüler Memliugs, auf Patiuir vou Einfluß gewesen ist, und an
den letztem soll sich wieder Herri de Bles angeschlossen haben. Patinir tritt
erst mit dem Jahre 1515, wo er als Freimeister in die Lukasgilde von Ant¬
werpen aufgenommen wurde, in das Licht der Geschichte, und in demselben Jahre
ließ sich auch Gerard David in die Gilde einschreiben, um einen allerdings nur
vorübergehenden Aufenthalt in Antwerpen zu nehmen. Man hat daher Grund,
zu vermuten, daß beide aus demselben Orte, also aus Brügge, nach Antwerpen
übersiedelte», weil vielleicht in der blühenden und reichen Handelsstadt, welche
allmählich an die Stelle von Gent und Brügge trat, ein besseres Brot zu
verdienen war. Während aber David nicht lange in Antwerpen blieb — er
starb 1623 in Brügge —, ließ sich Patinir dauernd in der Schcldestadt nieder.
Er verheiratete sich und gelaugte bald zu solchem Wohlstande, daß er sich im
März 1520 ein Haus kaufen konnte. Und nicht bloß Wohlstand, sondern auch
Achtung muß er sich durch seine Kunst erworben haben, da Dürer während
seines Aufenthalts in Antwerpen im Jahre 1521 einen lebhaften Verkehr mit
»Maister Joachim" unterhielt. Er erwähnt ihn häufig in seinem Tagebuche
von der niederländischen Reise, und einmal nennt er ihn ausdrücklich den „guten
landschafftmahler," soviel wir wissen, das erstemal, daß dieser Ausdruck in
einem Schriftstücke gebraucht wird, da eine Trennung der Maler nach Fächern
bis dahin nicht üblich war. In demselben Jahre verheiratete sich Patinir zum
zweitenmale und lud Dürer zu seiner Hochzeit. Er muß aber schon im Jahre
1524 nicht mehr gelebt haben, da seine Frau in einer Urkunde aus diesem
Jahre Witwe genannt wird. Ein hohes Alter hat Patinir demnach nicht
^'reicht, und dem entspricht auch die geringe Zahl von Werken seiner Hand,
die sich noch nachweisen lassen.

Vier davon tragen seinen Namen, und auf Grund dieser vier kann man
"och etwa ein Dutzend andrer ihm mit einiger Sicherheit zuschreiben. Patinir
galt bereits seinen Zeitgenossen als ein Landschaftsmaler, weil er die heiligen
Figuren, welche sonst räumlich und geistig den Mittelpunkt der Komposition
bildeten, auf ein ganz bescheidenes Maß rcduzirte und dafür die Landschaft zu
weiterer Perspektive ausdehnte und alle Einzelheiten derselben auf das liebevollste


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[0409] Die niederländische Genre- und Landschaftsmalerei. Bei dem gegenwärtigen Stande unsrer Kenntnisse von dem Entwicklungs¬ gange der altniederländischen Malerei vermögen wir nicht zu sagen, in welchem Zusammenhange die ältesten Landschaftsmaler im eigentlichen Sinne, Joachim de Patiuir und Hcrri de Bles, mit den Nachfolgern Jans van Esel gestanden haben. Wir wissen nur, daß beide in derselben Gegend, im oberen Maasthale, geboren sind, der eine in Dinant, der andre in dem gegenüberliegenden Bvuvignes. Es ist möglich, daß beide aus einer lokalen Malerschule hervor¬ gegangen sind, möglich auch, daß sie ihre Ausbildung erst in Brügge erhalten haben, welches in den letzten Jahrzehnten des 15. Jahrhunderts den Mittel- Punkt der niederländischen Malerei bildete. Es wird vermutet, daß Gerard David, ein Schüler Memliugs, auf Patiuir vou Einfluß gewesen ist, und an den letztem soll sich wieder Herri de Bles angeschlossen haben. Patinir tritt erst mit dem Jahre 1515, wo er als Freimeister in die Lukasgilde von Ant¬ werpen aufgenommen wurde, in das Licht der Geschichte, und in demselben Jahre ließ sich auch Gerard David in die Gilde einschreiben, um einen allerdings nur vorübergehenden Aufenthalt in Antwerpen zu nehmen. Man hat daher Grund, zu vermuten, daß beide aus demselben Orte, also aus Brügge, nach Antwerpen übersiedelte», weil vielleicht in der blühenden und reichen Handelsstadt, welche allmählich an die Stelle von Gent und Brügge trat, ein besseres Brot zu verdienen war. Während aber David nicht lange in Antwerpen blieb — er starb 1623 in Brügge —, ließ sich Patinir dauernd in der Schcldestadt nieder. Er verheiratete sich und gelaugte bald zu solchem Wohlstande, daß er sich im März 1520 ein Haus kaufen konnte. Und nicht bloß Wohlstand, sondern auch Achtung muß er sich durch seine Kunst erworben haben, da Dürer während seines Aufenthalts in Antwerpen im Jahre 1521 einen lebhaften Verkehr mit »Maister Joachim" unterhielt. Er erwähnt ihn häufig in seinem Tagebuche von der niederländischen Reise, und einmal nennt er ihn ausdrücklich den „guten landschafftmahler," soviel wir wissen, das erstemal, daß dieser Ausdruck in einem Schriftstücke gebraucht wird, da eine Trennung der Maler nach Fächern bis dahin nicht üblich war. In demselben Jahre verheiratete sich Patinir zum zweitenmale und lud Dürer zu seiner Hochzeit. Er muß aber schon im Jahre 1524 nicht mehr gelebt haben, da seine Frau in einer Urkunde aus diesem Jahre Witwe genannt wird. Ein hohes Alter hat Patinir demnach nicht ^'reicht, und dem entspricht auch die geringe Zahl von Werken seiner Hand, die sich noch nachweisen lassen. Vier davon tragen seinen Namen, und auf Grund dieser vier kann man "och etwa ein Dutzend andrer ihm mit einiger Sicherheit zuschreiben. Patinir galt bereits seinen Zeitgenossen als ein Landschaftsmaler, weil er die heiligen Figuren, welche sonst räumlich und geistig den Mittelpunkt der Komposition bildeten, auf ein ganz bescheidenes Maß rcduzirte und dafür die Landschaft zu weiterer Perspektive ausdehnte und alle Einzelheiten derselben auf das liebevollste

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/409>, abgerufen am 08.01.2025.