Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.das Leben der menschlichen Rasse, soweit wir dasselbe haben kennen lernen das Leben der menschlichen Rasse, soweit wir dasselbe haben kennen lernen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0389" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/155272"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_1631" prev="#ID_1630" next="#ID_1632"> das Leben der menschlichen Rasse, soweit wir dasselbe haben kennen lernen<lb/> können, entgegenbringt, so überzeugen wir uns bald, daß jedes Gebilde seine<lb/> eigne wohlgeordnete Geschichte hat, und vergleichen wir diese Geschichte mit<lb/> derjenigen irgend eines andern Gebildes von gleicher Höhe, mag dasselbe wo<lb/> immer und wann immer auf der Erde existirt haben, so sehen wir, daß es<lb/> in den Grundzügen dieselbe Geschichte ist; es wird das organische Wachstum<lb/> beider von denselben Grundzügen beherrscht. Überall treten uns die gleichen<lb/> Entwicklungsstufen mit eiserner Konsequenz entgegen, überall erscheint dasselbe<lb/> Bild, mir bald glänzender, wenn eine Völkerschaft glücklicher beanlagt ist oder<lb/> unter günstigeren Existenzbedingungen ihr Gattungslebcn entfaltet, bald matter<lb/> bei minder begnadeten Stämmen." (Post, Ursprung des Rechtes, S, 7.) Die<lb/> Sitte mithin (ihrerseits wiederum in ein unbewußt Pfhchisches, als kosmische<lb/> Urkmft oder dergl, gedacht, auslaufend) bildet die eigentliche Basis für die<lb/> Entwicklung des Rechts, das sich dann nach inneren und äußeren Gründe»<lb/> (intellektuelle Begabung des Stammes, Autorität der Häuptlinge, allgemeine<lb/> ethnographische, klimatische und generelle tellurische Momente) verschiedenartig<lb/> weiter differenzirt, bis es zu einem wesentlichen KrystallisationSpuukt gelaugt,<lb/> der Kodifizirnng in der staatlichen Periode. Hand in Hand geht mit diesem<lb/> Prozeß die Entfaltung der Moral, gleichsam der inneren Kehrseite dieser äußeren<lb/> Organisation. Diese begreift in sich die Summe derjenigen Anschauungen (konzen-<lb/> trirt in dem sogenannten Zentralorgan des Gewissens), welche für eine bestimmte<lb/> Entwicklungsstufe irgend einer ethnischen Bildung als lobenswert oder tadelns¬<lb/> wert gelten, also das jeweilige Ideal derselben darstellen. Da mithin das<lb/> Kriterium in der sozialen Organisation liegt, so kann es so ixso hier keinen<lb/> absoluten, sondern nur einen relativen Maßstab der Beurteilung geben; ist<lb/> die Blutrache z. B. auf der geschlechtsgenossenschaftlichen Stufe ein Akt höchsten<lb/> Ruhmes, so wird sie umgekehrt in der staatlichen Periode als grobes Verbrechen<lb/> geahndet; oder gilt bei den wilden Völkerschaften der Mörder und Räuber<lb/> (sofern er sich nur nicht am eignen Stamme vergreift) als gefeierter Held,<lb/> so wird er in europäischer Anschauung lediglich zum Verbrecher. Andrerseits<lb/> sind wir geneigt, es für Barbarei oder Verrücktheit zu halten, wenn Manns<lb/> Gesetzbuch befiehlt, daß dem Cudra, der einen Bmhminen getötet hat, glühendes<lb/> Ol in Mund und Ohren gegossen werden soll, oder der Ägypter, der einen<lb/> Ibis beseitigt hatte, rettungslos dem Tode verfiel. Der leitende Grundsatz ist<lb/> für alle diese Maßnahmen nicht irgend welches (selbst irriges) apriorisches<lb/> Moment, sondern, wie längst erwiesen, die unmittelbare Rücksicht auf Erhaltung<lb/> und Förderung der bezüglichen ethnischen Bildung; mit andern Worten das Nütz¬<lb/> liche erzeugt (und zwar in sehr langsamem Fortgang) das Gute. Hiermit<lb/> hängt es zusammen, wenn in jenen prähistorischen Zeiten ganz unsern Ge¬<lb/> fühlen entgegen der Wert des Individuums als solchen sich auf Null reduziren;<lb/> wie es keine monogamische Ehe in unserm Sinne gab, sondern einen krassen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0389]
das Leben der menschlichen Rasse, soweit wir dasselbe haben kennen lernen
können, entgegenbringt, so überzeugen wir uns bald, daß jedes Gebilde seine
eigne wohlgeordnete Geschichte hat, und vergleichen wir diese Geschichte mit
derjenigen irgend eines andern Gebildes von gleicher Höhe, mag dasselbe wo
immer und wann immer auf der Erde existirt haben, so sehen wir, daß es
in den Grundzügen dieselbe Geschichte ist; es wird das organische Wachstum
beider von denselben Grundzügen beherrscht. Überall treten uns die gleichen
Entwicklungsstufen mit eiserner Konsequenz entgegen, überall erscheint dasselbe
Bild, mir bald glänzender, wenn eine Völkerschaft glücklicher beanlagt ist oder
unter günstigeren Existenzbedingungen ihr Gattungslebcn entfaltet, bald matter
bei minder begnadeten Stämmen." (Post, Ursprung des Rechtes, S, 7.) Die
Sitte mithin (ihrerseits wiederum in ein unbewußt Pfhchisches, als kosmische
Urkmft oder dergl, gedacht, auslaufend) bildet die eigentliche Basis für die
Entwicklung des Rechts, das sich dann nach inneren und äußeren Gründe»
(intellektuelle Begabung des Stammes, Autorität der Häuptlinge, allgemeine
ethnographische, klimatische und generelle tellurische Momente) verschiedenartig
weiter differenzirt, bis es zu einem wesentlichen KrystallisationSpuukt gelaugt,
der Kodifizirnng in der staatlichen Periode. Hand in Hand geht mit diesem
Prozeß die Entfaltung der Moral, gleichsam der inneren Kehrseite dieser äußeren
Organisation. Diese begreift in sich die Summe derjenigen Anschauungen (konzen-
trirt in dem sogenannten Zentralorgan des Gewissens), welche für eine bestimmte
Entwicklungsstufe irgend einer ethnischen Bildung als lobenswert oder tadelns¬
wert gelten, also das jeweilige Ideal derselben darstellen. Da mithin das
Kriterium in der sozialen Organisation liegt, so kann es so ixso hier keinen
absoluten, sondern nur einen relativen Maßstab der Beurteilung geben; ist
die Blutrache z. B. auf der geschlechtsgenossenschaftlichen Stufe ein Akt höchsten
Ruhmes, so wird sie umgekehrt in der staatlichen Periode als grobes Verbrechen
geahndet; oder gilt bei den wilden Völkerschaften der Mörder und Räuber
(sofern er sich nur nicht am eignen Stamme vergreift) als gefeierter Held,
so wird er in europäischer Anschauung lediglich zum Verbrecher. Andrerseits
sind wir geneigt, es für Barbarei oder Verrücktheit zu halten, wenn Manns
Gesetzbuch befiehlt, daß dem Cudra, der einen Bmhminen getötet hat, glühendes
Ol in Mund und Ohren gegossen werden soll, oder der Ägypter, der einen
Ibis beseitigt hatte, rettungslos dem Tode verfiel. Der leitende Grundsatz ist
für alle diese Maßnahmen nicht irgend welches (selbst irriges) apriorisches
Moment, sondern, wie längst erwiesen, die unmittelbare Rücksicht auf Erhaltung
und Förderung der bezüglichen ethnischen Bildung; mit andern Worten das Nütz¬
liche erzeugt (und zwar in sehr langsamem Fortgang) das Gute. Hiermit
hängt es zusammen, wenn in jenen prähistorischen Zeiten ganz unsern Ge¬
fühlen entgegen der Wert des Individuums als solchen sich auf Null reduziren;
wie es keine monogamische Ehe in unserm Sinne gab, sondern einen krassen
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