Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Notstand in Paris.

Haußmcmn. Es gehörte zu dieser Politik, die Arbeiter von Paris bei guter
Laune zu erhalten, indem man eine große Bauthätigkeit entfaltete, und durch
dieses Verfahren wurde die Stadt im weitesten Umfange fast gänzlich umgestaltet,
indem ein Netz neuer Straßen und Plätze entstand. Infolge dessen gingen die
Löhne für alle Bauarbeiter wesentlich in die Höhe, und dies hatte wieder zur
Folge, daß Massen von Menschen sich vom Lande der Metropole zuwendeten.
Vor den Palästen der Reichen und den großen eleganten Zinshünsern der
Mittelklassen verschwanden aber eine Menge von Arbeiterwohnungen. Die Mieter
im Mittelpunkte der Stadt stiegen rasch bis zur llucrschwinglichkeit für den
kleinen Mann, und als mit dem Sturze des Kaisertums die Gelegenheit zur
Arbeit zu mangeln begann und bald beinahe ganz verschwand, sahen Tausende
sich brotlos. Eine Zeit lang lebten sie davon, daß sie als Nationalgardisten
Sold bezogen, und dann kam die Zeit der Kommune. Die Ereignisse während
dieser Periode zeigten, daß zwischen dem Bürgertum und den Arbeitern eine
tiefe Kluft bestand. Obwohl noch immer eine fremde Armee vor Paris stand,
haßten die Kommunarden die Versailler mehr als die Preußen, und in dem Ge¬
danken daran, daß sie Radikale und Sozialisten waren, vergaßen sie ganz ihre
Eigenschaft als Franzosen. Es ist nicht zu verwundern, daß die jetzige Wiederkehr
des Notstandes Erinnerungen an jene Zeit voll Schrecken wachruft. Tausende
von Pariser Arbeitern sind ohne Beschäftigung. Namentlich das Baugewerbe
liegt darnieder. Deutsche, Belgier und Italiener, bereit zu harter Arbeit, über¬
schwemmen Frankreich und sind zufrieden, für weniger Lohn mehr Stunden zu
arbeiten als der französische Maurer und Zimmermann. Sie von der Bewerbung
auszuschließen, ist unmöglich, weil man in solchen Fällen im Auslande Ver¬
geltung üben und die dort beschäftigten Frnuzoseu fortschicken würde. Ferner
wirkt der rege Unternehmungsgeist in Verbindung mit dem gewachsenen Geschick
in der Produktion in Deutschland und Italien beschränkend auf die französische
Ausfuhr. Die Statistik zeigt eine stetig sich steigernde Abnahme im Export nach
Deutschland; selbst 1882 wurden weniger Fabrikate dahin versandt als je in den
letzten zwanzig Jahren, und 1883 war es noch schlimmer. Auch der Handel
mit Italien, den Niederlanden, Österreich und Spanien zeigt einen Niedergang,
der zum Teil sich durch erhöhte Zolltarife erklärt, aber in der Hauptsache darauf
zurückzuführen ist, daß die Industrie in diesen Ländern große Fortschritte und
so die französische Zufuhr entbehrlich gemacht hat. Natürlich ist nun beim
Pariser der erste Gedanke, bitter über die Reichen zu klagen und nach Staats-
hilfc zu verlangen.

Ferrh antwortete darauf: Wenn Privatunternehmer ihre Geschäfte schließen,
so ist das nicht die rechte Zeit für den Staat, Werkstätten zu eröffnen. Die
Leihhäuser, diese Barometer des Notstandes, bestätigen, sagte er, die Klage, daß
das Elend allgemein sei, nicht. Paris ist im Zimmergewerke nicht bloß durch
das Zuströmen fremder Arbeiter gedrückt, sondern auch durch das Angebot


Der Notstand in Paris.

Haußmcmn. Es gehörte zu dieser Politik, die Arbeiter von Paris bei guter
Laune zu erhalten, indem man eine große Bauthätigkeit entfaltete, und durch
dieses Verfahren wurde die Stadt im weitesten Umfange fast gänzlich umgestaltet,
indem ein Netz neuer Straßen und Plätze entstand. Infolge dessen gingen die
Löhne für alle Bauarbeiter wesentlich in die Höhe, und dies hatte wieder zur
Folge, daß Massen von Menschen sich vom Lande der Metropole zuwendeten.
Vor den Palästen der Reichen und den großen eleganten Zinshünsern der
Mittelklassen verschwanden aber eine Menge von Arbeiterwohnungen. Die Mieter
im Mittelpunkte der Stadt stiegen rasch bis zur llucrschwinglichkeit für den
kleinen Mann, und als mit dem Sturze des Kaisertums die Gelegenheit zur
Arbeit zu mangeln begann und bald beinahe ganz verschwand, sahen Tausende
sich brotlos. Eine Zeit lang lebten sie davon, daß sie als Nationalgardisten
Sold bezogen, und dann kam die Zeit der Kommune. Die Ereignisse während
dieser Periode zeigten, daß zwischen dem Bürgertum und den Arbeitern eine
tiefe Kluft bestand. Obwohl noch immer eine fremde Armee vor Paris stand,
haßten die Kommunarden die Versailler mehr als die Preußen, und in dem Ge¬
danken daran, daß sie Radikale und Sozialisten waren, vergaßen sie ganz ihre
Eigenschaft als Franzosen. Es ist nicht zu verwundern, daß die jetzige Wiederkehr
des Notstandes Erinnerungen an jene Zeit voll Schrecken wachruft. Tausende
von Pariser Arbeitern sind ohne Beschäftigung. Namentlich das Baugewerbe
liegt darnieder. Deutsche, Belgier und Italiener, bereit zu harter Arbeit, über¬
schwemmen Frankreich und sind zufrieden, für weniger Lohn mehr Stunden zu
arbeiten als der französische Maurer und Zimmermann. Sie von der Bewerbung
auszuschließen, ist unmöglich, weil man in solchen Fällen im Auslande Ver¬
geltung üben und die dort beschäftigten Frnuzoseu fortschicken würde. Ferner
wirkt der rege Unternehmungsgeist in Verbindung mit dem gewachsenen Geschick
in der Produktion in Deutschland und Italien beschränkend auf die französische
Ausfuhr. Die Statistik zeigt eine stetig sich steigernde Abnahme im Export nach
Deutschland; selbst 1882 wurden weniger Fabrikate dahin versandt als je in den
letzten zwanzig Jahren, und 1883 war es noch schlimmer. Auch der Handel
mit Italien, den Niederlanden, Österreich und Spanien zeigt einen Niedergang,
der zum Teil sich durch erhöhte Zolltarife erklärt, aber in der Hauptsache darauf
zurückzuführen ist, daß die Industrie in diesen Ländern große Fortschritte und
so die französische Zufuhr entbehrlich gemacht hat. Natürlich ist nun beim
Pariser der erste Gedanke, bitter über die Reichen zu klagen und nach Staats-
hilfc zu verlangen.

Ferrh antwortete darauf: Wenn Privatunternehmer ihre Geschäfte schließen,
so ist das nicht die rechte Zeit für den Staat, Werkstätten zu eröffnen. Die
Leihhäuser, diese Barometer des Notstandes, bestätigen, sagte er, die Klage, daß
das Elend allgemein sei, nicht. Paris ist im Zimmergewerke nicht bloß durch
das Zuströmen fremder Arbeiter gedrückt, sondern auch durch das Angebot


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0364" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/155247"/>
          <fw type="header" place="top"> Der Notstand in Paris.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1494" prev="#ID_1493"> Haußmcmn. Es gehörte zu dieser Politik, die Arbeiter von Paris bei guter<lb/>
Laune zu erhalten, indem man eine große Bauthätigkeit entfaltete, und durch<lb/>
dieses Verfahren wurde die Stadt im weitesten Umfange fast gänzlich umgestaltet,<lb/>
indem ein Netz neuer Straßen und Plätze entstand. Infolge dessen gingen die<lb/>
Löhne für alle Bauarbeiter wesentlich in die Höhe, und dies hatte wieder zur<lb/>
Folge, daß Massen von Menschen sich vom Lande der Metropole zuwendeten.<lb/>
Vor den Palästen der Reichen und den großen eleganten Zinshünsern der<lb/>
Mittelklassen verschwanden aber eine Menge von Arbeiterwohnungen. Die Mieter<lb/>
im Mittelpunkte der Stadt stiegen rasch bis zur llucrschwinglichkeit für den<lb/>
kleinen Mann, und als mit dem Sturze des Kaisertums die Gelegenheit zur<lb/>
Arbeit zu mangeln begann und bald beinahe ganz verschwand, sahen Tausende<lb/>
sich brotlos. Eine Zeit lang lebten sie davon, daß sie als Nationalgardisten<lb/>
Sold bezogen, und dann kam die Zeit der Kommune. Die Ereignisse während<lb/>
dieser Periode zeigten, daß zwischen dem Bürgertum und den Arbeitern eine<lb/>
tiefe Kluft bestand. Obwohl noch immer eine fremde Armee vor Paris stand,<lb/>
haßten die Kommunarden die Versailler mehr als die Preußen, und in dem Ge¬<lb/>
danken daran, daß sie Radikale und Sozialisten waren, vergaßen sie ganz ihre<lb/>
Eigenschaft als Franzosen. Es ist nicht zu verwundern, daß die jetzige Wiederkehr<lb/>
des Notstandes Erinnerungen an jene Zeit voll Schrecken wachruft. Tausende<lb/>
von Pariser Arbeitern sind ohne Beschäftigung. Namentlich das Baugewerbe<lb/>
liegt darnieder. Deutsche, Belgier und Italiener, bereit zu harter Arbeit, über¬<lb/>
schwemmen Frankreich und sind zufrieden, für weniger Lohn mehr Stunden zu<lb/>
arbeiten als der französische Maurer und Zimmermann. Sie von der Bewerbung<lb/>
auszuschließen, ist unmöglich, weil man in solchen Fällen im Auslande Ver¬<lb/>
geltung üben und die dort beschäftigten Frnuzoseu fortschicken würde. Ferner<lb/>
wirkt der rege Unternehmungsgeist in Verbindung mit dem gewachsenen Geschick<lb/>
in der Produktion in Deutschland und Italien beschränkend auf die französische<lb/>
Ausfuhr. Die Statistik zeigt eine stetig sich steigernde Abnahme im Export nach<lb/>
Deutschland; selbst 1882 wurden weniger Fabrikate dahin versandt als je in den<lb/>
letzten zwanzig Jahren, und 1883 war es noch schlimmer. Auch der Handel<lb/>
mit Italien, den Niederlanden, Österreich und Spanien zeigt einen Niedergang,<lb/>
der zum Teil sich durch erhöhte Zolltarife erklärt, aber in der Hauptsache darauf<lb/>
zurückzuführen ist, daß die Industrie in diesen Ländern große Fortschritte und<lb/>
so die französische Zufuhr entbehrlich gemacht hat. Natürlich ist nun beim<lb/>
Pariser der erste Gedanke, bitter über die Reichen zu klagen und nach Staats-<lb/>
hilfc zu verlangen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1495" next="#ID_1496"> Ferrh antwortete darauf: Wenn Privatunternehmer ihre Geschäfte schließen,<lb/>
so ist das nicht die rechte Zeit für den Staat, Werkstätten zu eröffnen. Die<lb/>
Leihhäuser, diese Barometer des Notstandes, bestätigen, sagte er, die Klage, daß<lb/>
das Elend allgemein sei, nicht. Paris ist im Zimmergewerke nicht bloß durch<lb/>
das Zuströmen fremder Arbeiter gedrückt, sondern auch durch das Angebot</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0364] Der Notstand in Paris. Haußmcmn. Es gehörte zu dieser Politik, die Arbeiter von Paris bei guter Laune zu erhalten, indem man eine große Bauthätigkeit entfaltete, und durch dieses Verfahren wurde die Stadt im weitesten Umfange fast gänzlich umgestaltet, indem ein Netz neuer Straßen und Plätze entstand. Infolge dessen gingen die Löhne für alle Bauarbeiter wesentlich in die Höhe, und dies hatte wieder zur Folge, daß Massen von Menschen sich vom Lande der Metropole zuwendeten. Vor den Palästen der Reichen und den großen eleganten Zinshünsern der Mittelklassen verschwanden aber eine Menge von Arbeiterwohnungen. Die Mieter im Mittelpunkte der Stadt stiegen rasch bis zur llucrschwinglichkeit für den kleinen Mann, und als mit dem Sturze des Kaisertums die Gelegenheit zur Arbeit zu mangeln begann und bald beinahe ganz verschwand, sahen Tausende sich brotlos. Eine Zeit lang lebten sie davon, daß sie als Nationalgardisten Sold bezogen, und dann kam die Zeit der Kommune. Die Ereignisse während dieser Periode zeigten, daß zwischen dem Bürgertum und den Arbeitern eine tiefe Kluft bestand. Obwohl noch immer eine fremde Armee vor Paris stand, haßten die Kommunarden die Versailler mehr als die Preußen, und in dem Ge¬ danken daran, daß sie Radikale und Sozialisten waren, vergaßen sie ganz ihre Eigenschaft als Franzosen. Es ist nicht zu verwundern, daß die jetzige Wiederkehr des Notstandes Erinnerungen an jene Zeit voll Schrecken wachruft. Tausende von Pariser Arbeitern sind ohne Beschäftigung. Namentlich das Baugewerbe liegt darnieder. Deutsche, Belgier und Italiener, bereit zu harter Arbeit, über¬ schwemmen Frankreich und sind zufrieden, für weniger Lohn mehr Stunden zu arbeiten als der französische Maurer und Zimmermann. Sie von der Bewerbung auszuschließen, ist unmöglich, weil man in solchen Fällen im Auslande Ver¬ geltung üben und die dort beschäftigten Frnuzoseu fortschicken würde. Ferner wirkt der rege Unternehmungsgeist in Verbindung mit dem gewachsenen Geschick in der Produktion in Deutschland und Italien beschränkend auf die französische Ausfuhr. Die Statistik zeigt eine stetig sich steigernde Abnahme im Export nach Deutschland; selbst 1882 wurden weniger Fabrikate dahin versandt als je in den letzten zwanzig Jahren, und 1883 war es noch schlimmer. Auch der Handel mit Italien, den Niederlanden, Österreich und Spanien zeigt einen Niedergang, der zum Teil sich durch erhöhte Zolltarife erklärt, aber in der Hauptsache darauf zurückzuführen ist, daß die Industrie in diesen Ländern große Fortschritte und so die französische Zufuhr entbehrlich gemacht hat. Natürlich ist nun beim Pariser der erste Gedanke, bitter über die Reichen zu klagen und nach Staats- hilfc zu verlangen. Ferrh antwortete darauf: Wenn Privatunternehmer ihre Geschäfte schließen, so ist das nicht die rechte Zeit für den Staat, Werkstätten zu eröffnen. Die Leihhäuser, diese Barometer des Notstandes, bestätigen, sagte er, die Klage, daß das Elend allgemein sei, nicht. Paris ist im Zimmergewerke nicht bloß durch das Zuströmen fremder Arbeiter gedrückt, sondern auch durch das Angebot

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/364
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/364>, abgerufen am 30.06.2024.