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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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I. P. Hebel in seinen Briefen.

aufsetzt und von Zeit zu Zeit einmal den Druck bloßen unverarbeiteten Ma¬
terials ablehnt. Man vergißt aber, daß diese Schranke noch auf Jahrzehnte
hinaus eine unzulängliche bleiben muß und daß sie eine Willkür in sich ein¬
schließt, die keineswegs zu loben ist. Der eine Verleger verweigert seine Mit¬
wirkung zur Veröffentlichung wirklich wichtiger, an und in sich wertvoller Briefe
und Dokumente, welche ausnahmsweise entschieden gedruckt werden müßten,
zehn andre seiner Kollegen bieten urteilslos die Hand zu völlig unwesentlichen
und im Grunde unverantwortlichen Herausgaben^ Das Bessere wäre jedenfalls,
daß von feiten der Historiker selbst innegehalten und die Forderung der Aus¬
schmelzung des Erzes aus dem Gestein wieder schärfer erhoben würde.

Mehr die Aussicht auf eine ganze Reihe von Sammlungen Hebelschcr
Briefe, welche durch den Titel der Behagelschcn Publikation eröffnet wird, als
die eben vorliegende erste Sammlung selbst, hat uus diesen Stoßseufzer erpreßt.
Denn gerade die Briefe Hebels an die Straßburger Familie Haufe haben einen
Wert, der über den bloßen biographisch-literarischen Materials weit hinausgeht.
Die Anschauung des Herausgebers, "wenn wir auch garnicht wüßten, wer diese
Briefe geschrieben, wenn uns ihr Verfasser ganz gleichgiltig wäre, müßten sie
doch dauernden Wert behalten," ist zwar ein wenig zu enthusiastisch, sie birgt
aber einen richtigen Kern. "Es ist ein köstliches Idyll voll Frieden und
heiterer Ruhe, das Hebel mit den Straßburger Freunden gelebt hat. Allent¬
halben sprudelt in übermütigen Geplätscher der Born seines unvergleichlichen
Humors, vielleicht reiner als in irgend einer andern seiner Schöpfungen, denn
kein lehrhaftes Bestreben mischt hier störend sich ein. Da ist nichts Gemachtes,
nichts Gezwungenes; es ist die unbefangene lebendige Rede, die jedem Anstoß
des Augenblicks nachgiebt, ohne viel nach akademischer Korrektheit zu fragen.
So sind diese Briefe zugleich dem Sprachforscher ein nicht unwichtiges Denkmal
für die volkstümliche Sprache des oberdeutschen Landes."

Alles dies sei zugestanden, und den Freunden Hebels, allen sinnigen
Naturen, welche sich gern ein vergangnes Dasein in allen seinen Einzelheiten
und mit allen seinen Stimmungen vor die Seele rufen, sei dieses besondre "Schatz-
kästlein" herzlich empfohlen. Besser wäre es aber doch, auch dieses Idyll hätte
seine Stelle in einem größern Zusammenhange, sei es einer breit ausgeführten
Biographie Hebels, wozu ja der Herr Herausgeber vor allen berufen und womit
er auch beschäftigt scheint, sei es einer Sammlung von oberdeutschen Charakter-
und Lebensbildern, gefunden. Wie unbedeutend und wirkungslos würden die
Dokumente und Materialien, welche die Basis von G- Freytags reizvollsten
Bildern aus der deutschen Vergangenheit abgeben, vielfach erscheinen, wenn sie
alle für sich gedruckt worden wären, wie glücklich und eindringlich wirken sie
als Teile eines größern, weithin sichtbaren Ganzen!




I. P. Hebel in seinen Briefen.

aufsetzt und von Zeit zu Zeit einmal den Druck bloßen unverarbeiteten Ma¬
terials ablehnt. Man vergißt aber, daß diese Schranke noch auf Jahrzehnte
hinaus eine unzulängliche bleiben muß und daß sie eine Willkür in sich ein¬
schließt, die keineswegs zu loben ist. Der eine Verleger verweigert seine Mit¬
wirkung zur Veröffentlichung wirklich wichtiger, an und in sich wertvoller Briefe
und Dokumente, welche ausnahmsweise entschieden gedruckt werden müßten,
zehn andre seiner Kollegen bieten urteilslos die Hand zu völlig unwesentlichen
und im Grunde unverantwortlichen Herausgaben^ Das Bessere wäre jedenfalls,
daß von feiten der Historiker selbst innegehalten und die Forderung der Aus¬
schmelzung des Erzes aus dem Gestein wieder schärfer erhoben würde.

Mehr die Aussicht auf eine ganze Reihe von Sammlungen Hebelschcr
Briefe, welche durch den Titel der Behagelschcn Publikation eröffnet wird, als
die eben vorliegende erste Sammlung selbst, hat uus diesen Stoßseufzer erpreßt.
Denn gerade die Briefe Hebels an die Straßburger Familie Haufe haben einen
Wert, der über den bloßen biographisch-literarischen Materials weit hinausgeht.
Die Anschauung des Herausgebers, „wenn wir auch garnicht wüßten, wer diese
Briefe geschrieben, wenn uns ihr Verfasser ganz gleichgiltig wäre, müßten sie
doch dauernden Wert behalten," ist zwar ein wenig zu enthusiastisch, sie birgt
aber einen richtigen Kern. „Es ist ein köstliches Idyll voll Frieden und
heiterer Ruhe, das Hebel mit den Straßburger Freunden gelebt hat. Allent¬
halben sprudelt in übermütigen Geplätscher der Born seines unvergleichlichen
Humors, vielleicht reiner als in irgend einer andern seiner Schöpfungen, denn
kein lehrhaftes Bestreben mischt hier störend sich ein. Da ist nichts Gemachtes,
nichts Gezwungenes; es ist die unbefangene lebendige Rede, die jedem Anstoß
des Augenblicks nachgiebt, ohne viel nach akademischer Korrektheit zu fragen.
So sind diese Briefe zugleich dem Sprachforscher ein nicht unwichtiges Denkmal
für die volkstümliche Sprache des oberdeutschen Landes."

Alles dies sei zugestanden, und den Freunden Hebels, allen sinnigen
Naturen, welche sich gern ein vergangnes Dasein in allen seinen Einzelheiten
und mit allen seinen Stimmungen vor die Seele rufen, sei dieses besondre „Schatz-
kästlein" herzlich empfohlen. Besser wäre es aber doch, auch dieses Idyll hätte
seine Stelle in einem größern Zusammenhange, sei es einer breit ausgeführten
Biographie Hebels, wozu ja der Herr Herausgeber vor allen berufen und womit
er auch beschäftigt scheint, sei es einer Sammlung von oberdeutschen Charakter-
und Lebensbildern, gefunden. Wie unbedeutend und wirkungslos würden die
Dokumente und Materialien, welche die Basis von G- Freytags reizvollsten
Bildern aus der deutschen Vergangenheit abgeben, vielfach erscheinen, wenn sie
alle für sich gedruckt worden wären, wie glücklich und eindringlich wirken sie
als Teile eines größern, weithin sichtbaren Ganzen!




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[0358] I. P. Hebel in seinen Briefen. aufsetzt und von Zeit zu Zeit einmal den Druck bloßen unverarbeiteten Ma¬ terials ablehnt. Man vergißt aber, daß diese Schranke noch auf Jahrzehnte hinaus eine unzulängliche bleiben muß und daß sie eine Willkür in sich ein¬ schließt, die keineswegs zu loben ist. Der eine Verleger verweigert seine Mit¬ wirkung zur Veröffentlichung wirklich wichtiger, an und in sich wertvoller Briefe und Dokumente, welche ausnahmsweise entschieden gedruckt werden müßten, zehn andre seiner Kollegen bieten urteilslos die Hand zu völlig unwesentlichen und im Grunde unverantwortlichen Herausgaben^ Das Bessere wäre jedenfalls, daß von feiten der Historiker selbst innegehalten und die Forderung der Aus¬ schmelzung des Erzes aus dem Gestein wieder schärfer erhoben würde. Mehr die Aussicht auf eine ganze Reihe von Sammlungen Hebelschcr Briefe, welche durch den Titel der Behagelschcn Publikation eröffnet wird, als die eben vorliegende erste Sammlung selbst, hat uus diesen Stoßseufzer erpreßt. Denn gerade die Briefe Hebels an die Straßburger Familie Haufe haben einen Wert, der über den bloßen biographisch-literarischen Materials weit hinausgeht. Die Anschauung des Herausgebers, „wenn wir auch garnicht wüßten, wer diese Briefe geschrieben, wenn uns ihr Verfasser ganz gleichgiltig wäre, müßten sie doch dauernden Wert behalten," ist zwar ein wenig zu enthusiastisch, sie birgt aber einen richtigen Kern. „Es ist ein köstliches Idyll voll Frieden und heiterer Ruhe, das Hebel mit den Straßburger Freunden gelebt hat. Allent¬ halben sprudelt in übermütigen Geplätscher der Born seines unvergleichlichen Humors, vielleicht reiner als in irgend einer andern seiner Schöpfungen, denn kein lehrhaftes Bestreben mischt hier störend sich ein. Da ist nichts Gemachtes, nichts Gezwungenes; es ist die unbefangene lebendige Rede, die jedem Anstoß des Augenblicks nachgiebt, ohne viel nach akademischer Korrektheit zu fragen. So sind diese Briefe zugleich dem Sprachforscher ein nicht unwichtiges Denkmal für die volkstümliche Sprache des oberdeutschen Landes." Alles dies sei zugestanden, und den Freunden Hebels, allen sinnigen Naturen, welche sich gern ein vergangnes Dasein in allen seinen Einzelheiten und mit allen seinen Stimmungen vor die Seele rufen, sei dieses besondre „Schatz- kästlein" herzlich empfohlen. Besser wäre es aber doch, auch dieses Idyll hätte seine Stelle in einem größern Zusammenhange, sei es einer breit ausgeführten Biographie Hebels, wozu ja der Herr Herausgeber vor allen berufen und womit er auch beschäftigt scheint, sei es einer Sammlung von oberdeutschen Charakter- und Lebensbildern, gefunden. Wie unbedeutend und wirkungslos würden die Dokumente und Materialien, welche die Basis von G- Freytags reizvollsten Bildern aus der deutschen Vergangenheit abgeben, vielfach erscheinen, wenn sie alle für sich gedruckt worden wären, wie glücklich und eindringlich wirken sie als Teile eines größern, weithin sichtbaren Ganzen!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/358>, abgerufen am 30.06.2024.