Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.Auf der Leiter des Glücks. selbst nicht -- einen guten Tag, sie wünschte ihm höflich einen guten Weg. Weder das alte Ehepaar, noch Hermione, noch auch Frau von Mockritz Doch man soll nie über dem Goldfasan auf dem Zweige die Taube, die Da die Villa Mockritz ziemlich abseits vom Wege lag und sich nach der Eines Abends nun, oder eigentlich war es kurz vor Mitternacht, schaute Auf der Leiter des Glücks. selbst nicht — einen guten Tag, sie wünschte ihm höflich einen guten Weg. Weder das alte Ehepaar, noch Hermione, noch auch Frau von Mockritz Doch man soll nie über dem Goldfasan auf dem Zweige die Taube, die Da die Villa Mockritz ziemlich abseits vom Wege lag und sich nach der Eines Abends nun, oder eigentlich war es kurz vor Mitternacht, schaute <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0320" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/155203"/> <fw type="header" place="top"> Auf der Leiter des Glücks.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1278" prev="#ID_1277"> selbst nicht — einen guten Tag, sie wünschte ihm höflich einen guten Weg.<lb/> Und Heini schritt er, den Kopf voll einander widersprechende» Gedanken.</p><lb/> <p xml:id="ID_1279"> Weder das alte Ehepaar, noch Hermione, noch auch Frau von Mockritz<lb/> hatten eine Ahnung von den sympathischen Fäden, die hier hinüber und herüber<lb/> zu streben begannen, und Berthold selbst, dessen Dankbarkeit für seine Pflege¬<lb/> eltern eine unbegrenzte war, gestattete sich nicht, der Möglichkeit nachzusinnen,<lb/> die in Stunden des Alleinseins vor seiner Einbildungskraft auftauchten, und er<lb/> bemühte sich redlich, ganz so glücklich zu sein, wie vor allem Frau Anna ihn<lb/> glaubte.</p><lb/> <p xml:id="ID_1280"> Doch man soll nie über dem Goldfasan auf dem Zweige die Taube, die<lb/> mau schon in der Hand hält, entschlüpfen lassen. Frau von Mockritz hatte aus<lb/> dem Zufall ihrer Abwesenheit zuviel Vorteil ziehen wollen, und darüber trat,<lb/> wenn auch ohne ihre Schuld, eine Wendung ein, die von verhängnisvollen Folgen<lb/> begleitet war.</p><lb/> <p xml:id="ID_1281"> Da die Villa Mockritz ziemlich abseits vom Wege lag und sich nach der<lb/> Seite der Moorwiese nur des Schutzes einer lebendigen Hecke als Einzäunung<lb/> erfreute, so hatten zwei große Leonberger Hunde nachts für die Sicherheit des<lb/> Besitztums einzustehen. Der alte Gärtner der Frau von Mockritz behauptete<lb/> zwar, solange er im Hause sei, werde sich kein Dieb an die Villa heranwagen,<lb/> und als ehemals tüchtiger Schütze genoß er vor Zeiten in der That des Rufes,<lb/> daß man ihm nicht ins Gehege kommen dürfe. Aber darüber war er allmählich<lb/> gichtisch und harthörig geworden, und so mochten die Hunde denn freilich nicht über¬<lb/> flüssig sein. Gorge, ein nichtsnutziger Enkel des Alten, hatte als Hundejunge das<lb/> weitere zu besorgen, d. h. er ließ sie nach Sonnenuntergang von der Kette los,<lb/> legte sie morgens wieder fest, fütterte sie, zerrte sie, übertrug seine widerbelfrigen<lb/> Gewöhnungen auf die beiden von ihm abhängigen Kreaturen, benutzte auch jeden<lb/> Zornesausbruch, bei dem sich Schaum am Munde der Bestien zeigte, um Frau<lb/> und Fräulein von Mockritz mit Tollwutsymptomen zu ängstigen, dokterte dann<lb/> aber mit allerhand Schwefelmixturcn solange an den Patienten herum, bis sie<lb/> wieder für hergestellt galten und er für seine Kunst Lob und klingenden Dank<lb/> erntete.</p><lb/> <p xml:id="ID_1282" next="#ID_1283"> Eines Abends nun, oder eigentlich war es kurz vor Mitternacht, schaute<lb/> Berthold, wie schon oft, von seinem innern Zwiespalte gemartert, nach dem<lb/> fernen, jenseits der Moorwiese gelegenen Landhause hinüber. In demselben Augen¬<lb/> blicke sah er die zugezogenen weißen Fenstervorhänge eines hochgelegenen Ge¬<lb/> machs sich von dem roten Widerscheine eines gierig drinnen aufflackernden Feuers<lb/> färben, dem unzweifelhaften Zeichen, wie er glaubte, eines plötzlich ausgebrochenen<lb/> Zimmerbrandes. Unter dem Eindrucke der Nacht und der Erregung malte seine<lb/> Phantasie ihm ein Glutmeer vor, das, von niemand in der schlafenden Villa<lb/> Mockritz bemerkt, die Bewohner derselben im Traume überraschen und hilflosen<lb/> Untergange preisgeben werde. Gewohnt, seine Kräfte rasch einzusetzen, eilte er</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0320]
Auf der Leiter des Glücks.
selbst nicht — einen guten Tag, sie wünschte ihm höflich einen guten Weg.
Und Heini schritt er, den Kopf voll einander widersprechende» Gedanken.
Weder das alte Ehepaar, noch Hermione, noch auch Frau von Mockritz
hatten eine Ahnung von den sympathischen Fäden, die hier hinüber und herüber
zu streben begannen, und Berthold selbst, dessen Dankbarkeit für seine Pflege¬
eltern eine unbegrenzte war, gestattete sich nicht, der Möglichkeit nachzusinnen,
die in Stunden des Alleinseins vor seiner Einbildungskraft auftauchten, und er
bemühte sich redlich, ganz so glücklich zu sein, wie vor allem Frau Anna ihn
glaubte.
Doch man soll nie über dem Goldfasan auf dem Zweige die Taube, die
mau schon in der Hand hält, entschlüpfen lassen. Frau von Mockritz hatte aus
dem Zufall ihrer Abwesenheit zuviel Vorteil ziehen wollen, und darüber trat,
wenn auch ohne ihre Schuld, eine Wendung ein, die von verhängnisvollen Folgen
begleitet war.
Da die Villa Mockritz ziemlich abseits vom Wege lag und sich nach der
Seite der Moorwiese nur des Schutzes einer lebendigen Hecke als Einzäunung
erfreute, so hatten zwei große Leonberger Hunde nachts für die Sicherheit des
Besitztums einzustehen. Der alte Gärtner der Frau von Mockritz behauptete
zwar, solange er im Hause sei, werde sich kein Dieb an die Villa heranwagen,
und als ehemals tüchtiger Schütze genoß er vor Zeiten in der That des Rufes,
daß man ihm nicht ins Gehege kommen dürfe. Aber darüber war er allmählich
gichtisch und harthörig geworden, und so mochten die Hunde denn freilich nicht über¬
flüssig sein. Gorge, ein nichtsnutziger Enkel des Alten, hatte als Hundejunge das
weitere zu besorgen, d. h. er ließ sie nach Sonnenuntergang von der Kette los,
legte sie morgens wieder fest, fütterte sie, zerrte sie, übertrug seine widerbelfrigen
Gewöhnungen auf die beiden von ihm abhängigen Kreaturen, benutzte auch jeden
Zornesausbruch, bei dem sich Schaum am Munde der Bestien zeigte, um Frau
und Fräulein von Mockritz mit Tollwutsymptomen zu ängstigen, dokterte dann
aber mit allerhand Schwefelmixturcn solange an den Patienten herum, bis sie
wieder für hergestellt galten und er für seine Kunst Lob und klingenden Dank
erntete.
Eines Abends nun, oder eigentlich war es kurz vor Mitternacht, schaute
Berthold, wie schon oft, von seinem innern Zwiespalte gemartert, nach dem
fernen, jenseits der Moorwiese gelegenen Landhause hinüber. In demselben Augen¬
blicke sah er die zugezogenen weißen Fenstervorhänge eines hochgelegenen Ge¬
machs sich von dem roten Widerscheine eines gierig drinnen aufflackernden Feuers
färben, dem unzweifelhaften Zeichen, wie er glaubte, eines plötzlich ausgebrochenen
Zimmerbrandes. Unter dem Eindrucke der Nacht und der Erregung malte seine
Phantasie ihm ein Glutmeer vor, das, von niemand in der schlafenden Villa
Mockritz bemerkt, die Bewohner derselben im Traume überraschen und hilflosen
Untergange preisgeben werde. Gewohnt, seine Kräfte rasch einzusetzen, eilte er
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