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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Auf der Leiter des Glücks.

einen Wnndcrsmann geschildert hatte, dem in jedem neuen Städtchen eine ncucLiebe
angeflogen sei, so war er ungerecht gegen sich selbst gewesen. Ans dem Grnnde
seiner Seele wohnte jenes Urbild eines echt deutschen Mädchens, und alle
Schönheiten andrer Nationen waren in Wirklichkeit nur auf Augenblicke imstande
gewesen, ihm den Kopf zu verrücken.

Jetzt hatte sichs gefügt, daß jenes schlichte, unscheinbare Wesen, mit dem
er auf der Moorwiesc so burschikos umgesprungen war, ihm allemal, wenn er
die Billa Mockritz betrat, die Thüre öffnen mußte. Sie ließ ihn mit einer
schweigenden Verneigung ins Haus, führte ihn über den Korridor nach der
Thüre des Zimmers, wo Hermione bald darauf zu erscheinen pflegte, und zog
sich lautlos zurück.

Nie geschah es, ohne daß er eine Weile wie verwirrt in dem Zimmer
stehen blieb, so eigentümlich war ihni zu Mute. Wie sie aussehen mochte, wenn
nicht durch ihren schmucklosen Anzug entstellt war, hatte er sich anfangs zum öftern
gefragt, und es fehlte auch nicht ganz an Wahrnehmungen, die ihr, selbst neben
ihrer Herrin, das Recht zu gebe" schienen, einem verwöhnten Auge in hohem
Grade wohlzuthun. Aber je länger, je weniger beschäftigte ihn bloß das Äußere des
eigentümlichen Wesens. Warum sie nicht gleich andern beherzt auf die Sonnen¬
seite des Lebens trat, was ihre Wimpern senkte, ihren Sprechton dämpfte, ihre
innern Regungen unter dichten Schleiern barg, darüber grübelte er, zumeist wider
Willen und ohne sich von irgend einer der Erklärungen, die er fand, befriedigen
zu lassen; sogar die Nächstliegende Erklärung, daß ihre nonneuhaftc Haltung der
Ausfluß pietistischer Erziehung sei, wollte ihm nicht als die richtige erscheinen.

Mit solchen Gedanken verbrachte er manche der in dem Vorzimmer ver¬
streichenden Viertelstunde".

Kam Fränkel" von Mockritz da"" herein, bezaubernd in ihrer Lebendigkeit,
mit den reizenden Wangengrübchen, mit dem entzückenden Augenaufschlag, immer
sprühend von ergötzlichen Einfällen, voll Geistes- und Körperelastizität, sorglos
wie ein Kind, leichtblütig, leichtsinnig, leichtlebig, leichtnmgänglich wie eine Fran¬
zösin, mit stolzen Allüren wie eine Spanierin, melodisch wie eine Italienerin,
belesen wie eine Britin, schlangenähnlich wie eine Squaw, da berauschte ihn
wieder diese kaleidoskopartige Fülle von verschiedenartigen Eindrücken, die sie
zur rechten Zeit auch zu mäßigen wußte, und er hatte ein Gefühl wie in seiner
Kindheit an manchem Weihnachtsabend, wo der für ihn allein mit Geschenken
überreich gedeckte Tisch samt den vielen Lichtern an dem für ihn allein geputzten
Tannenbaum ihm Angst und Freude in demselben Augenblick bereiteten.

Wie sie gekommen, verschwand sie wieder, die holde Fee Hermione, und
der von jener sinnliche" und geistige" Narkose Umnebelte fand dann draußen
auf dein Gange abermals die durch das Klingeln ihrer Herrin benachrichtigte
Dienerin bei der Thüre stehen, um ihn mit stummem Verneigen ins Freie zu
entlassen. Er wünschte ihr verlegenen Tones -- warum verlegen? er wußte es


Auf der Leiter des Glücks.

einen Wnndcrsmann geschildert hatte, dem in jedem neuen Städtchen eine ncucLiebe
angeflogen sei, so war er ungerecht gegen sich selbst gewesen. Ans dem Grnnde
seiner Seele wohnte jenes Urbild eines echt deutschen Mädchens, und alle
Schönheiten andrer Nationen waren in Wirklichkeit nur auf Augenblicke imstande
gewesen, ihm den Kopf zu verrücken.

Jetzt hatte sichs gefügt, daß jenes schlichte, unscheinbare Wesen, mit dem
er auf der Moorwiesc so burschikos umgesprungen war, ihm allemal, wenn er
die Billa Mockritz betrat, die Thüre öffnen mußte. Sie ließ ihn mit einer
schweigenden Verneigung ins Haus, führte ihn über den Korridor nach der
Thüre des Zimmers, wo Hermione bald darauf zu erscheinen pflegte, und zog
sich lautlos zurück.

Nie geschah es, ohne daß er eine Weile wie verwirrt in dem Zimmer
stehen blieb, so eigentümlich war ihni zu Mute. Wie sie aussehen mochte, wenn
nicht durch ihren schmucklosen Anzug entstellt war, hatte er sich anfangs zum öftern
gefragt, und es fehlte auch nicht ganz an Wahrnehmungen, die ihr, selbst neben
ihrer Herrin, das Recht zu gebe» schienen, einem verwöhnten Auge in hohem
Grade wohlzuthun. Aber je länger, je weniger beschäftigte ihn bloß das Äußere des
eigentümlichen Wesens. Warum sie nicht gleich andern beherzt auf die Sonnen¬
seite des Lebens trat, was ihre Wimpern senkte, ihren Sprechton dämpfte, ihre
innern Regungen unter dichten Schleiern barg, darüber grübelte er, zumeist wider
Willen und ohne sich von irgend einer der Erklärungen, die er fand, befriedigen
zu lassen; sogar die Nächstliegende Erklärung, daß ihre nonneuhaftc Haltung der
Ausfluß pietistischer Erziehung sei, wollte ihm nicht als die richtige erscheinen.

Mit solchen Gedanken verbrachte er manche der in dem Vorzimmer ver¬
streichenden Viertelstunde».

Kam Fränkel» von Mockritz da»» herein, bezaubernd in ihrer Lebendigkeit,
mit den reizenden Wangengrübchen, mit dem entzückenden Augenaufschlag, immer
sprühend von ergötzlichen Einfällen, voll Geistes- und Körperelastizität, sorglos
wie ein Kind, leichtblütig, leichtsinnig, leichtlebig, leichtnmgänglich wie eine Fran¬
zösin, mit stolzen Allüren wie eine Spanierin, melodisch wie eine Italienerin,
belesen wie eine Britin, schlangenähnlich wie eine Squaw, da berauschte ihn
wieder diese kaleidoskopartige Fülle von verschiedenartigen Eindrücken, die sie
zur rechten Zeit auch zu mäßigen wußte, und er hatte ein Gefühl wie in seiner
Kindheit an manchem Weihnachtsabend, wo der für ihn allein mit Geschenken
überreich gedeckte Tisch samt den vielen Lichtern an dem für ihn allein geputzten
Tannenbaum ihm Angst und Freude in demselben Augenblick bereiteten.

Wie sie gekommen, verschwand sie wieder, die holde Fee Hermione, und
der von jener sinnliche» und geistige» Narkose Umnebelte fand dann draußen
auf dein Gange abermals die durch das Klingeln ihrer Herrin benachrichtigte
Dienerin bei der Thüre stehen, um ihn mit stummem Verneigen ins Freie zu
entlassen. Er wünschte ihr verlegenen Tones — warum verlegen? er wußte es


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/319>, abgerufen am 22.07.2024.