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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Der Umschwung in Spanien.

ist ein inoffensiver Staat, und das deutsche Reich ist bei seiner Zusammensetzung
ebenfalls eine friedliche Schöpfung.

Eine Ursache des Mißtrauens, welches der König gegen die Liberalen
hegte, die jetzt vom Ruder getreten sind, lag darin, daß sie den Versuch be¬
absichtigten, die Verfassung abzuändern und sich jenem allgemeinen Stimmrechte
zu nähern, das in Spanien bereits so viel Unheil angerichtet hat. Kein Land
in Europa ist Frankreich darin gefolgt, daß es bei den Wahlen seiner Ver¬
treter jedermann anstimmen ließ, als Deutschland, und hier ist die Gabe dadurch
neutralisirt, daß der Reichstag nicht das Recht besitzt, durch seine Mehrheit
Minister zu macheu und zu stürzen. In Spanien und Italien ist jetzt jedoch
das Stimmrecht an die Zahlung direkter Steuern in gewisser Höhe geknüpft.
Ferner ist der spanische Senat mit dem Kongreß gleichberechtigt und wird
teilweise von den Steuerzahlern der obersten Klassen gewählt. Der konservative
Charakter dieser Verfassung scheint dem Volke zuzusagen, und die Agitation
gegen dieselbe ging offenbar aus dem Wunsche hervor, zu den Fleischtöpfen der
oberen amtlichen Stellungen zu gelangen. Der König ist von seiner Thron¬
besteigung an stets streng nach den Regeln parlamentarischer Regierung Ver¬
fahren: er hat allen Parteien nach einander reichlich Gelegenheit gegeben, es
mit dem Regieren zu versuchen. Er wird jetzt des Erfolges sicher sein, da er
sich durch Solderhöhung bei den Gemeinen und Beförderungen bei den Offi¬
zieren die Armee gewonnen hat. Seit fünfzig Jahren waren alle Revolutionen
in Spanien prätoricmischer Natur, und so lange die Truppen treu bleiben, ist
die Linke machtlos. Jedes Ministerium war anfangs imstande, sich in deu
Cortes eine Mehrheit zu schaffen, aber nach einer Weile löste dieselbe sich auf
und zerfloß. So auch jetzt, und Ccmovas hat den Vorteil, daß seine Gegner
schon uneinig waren, als sie noch die Gewalt hatten. Der Ministerpräsident
wollte Auslösung der Cortes, der Minister des Innern war dagegen, und
schließlich riet letzterer dem Könige zur Berufung der Konservativen.

Den Pariser Republikanern ist diese Wendung der Dinge natürlich sehr
verdrießlich. Sie hatten sich bemüht, Spanien wieder zur Republik zu machen
und es so an die Seite Frankreichs zu bringen. Das Erstarken des Königtums
ging Hand in Hand mit einer Steigerung und Vertiefung des Nationalgefühls
der Spanier, und da dieses sie von den Nachbarn jenseits der Pyrenäen trennte,
mußte jenes unterwühlt und schließlich niedergeworfen und beseitigt werden. Als
Zorilla und Salmeron sich an die Franzosen um Unterstützung einer dazu
bestimmten Revolution wandten, wurde ihnen dieselbe bereitwillig gewährt. Als
aber daraufhin die Militärputsche in Badajoz und Seo de Argei ausbrachen,
zeigte es sich sofort, daß die Anschürer und obersten Führer der Emeute sich
verrechnet hatten, und daß die Regierung des Königs Alfonso fester im Lande
und Volke wurzelte, als sie vermutet hatten. Später hoffte man in Paris
seine Absichten in Betreff Spaniens aus parlamentarischem Wege zu erreichen.


Der Umschwung in Spanien.

ist ein inoffensiver Staat, und das deutsche Reich ist bei seiner Zusammensetzung
ebenfalls eine friedliche Schöpfung.

Eine Ursache des Mißtrauens, welches der König gegen die Liberalen
hegte, die jetzt vom Ruder getreten sind, lag darin, daß sie den Versuch be¬
absichtigten, die Verfassung abzuändern und sich jenem allgemeinen Stimmrechte
zu nähern, das in Spanien bereits so viel Unheil angerichtet hat. Kein Land
in Europa ist Frankreich darin gefolgt, daß es bei den Wahlen seiner Ver¬
treter jedermann anstimmen ließ, als Deutschland, und hier ist die Gabe dadurch
neutralisirt, daß der Reichstag nicht das Recht besitzt, durch seine Mehrheit
Minister zu macheu und zu stürzen. In Spanien und Italien ist jetzt jedoch
das Stimmrecht an die Zahlung direkter Steuern in gewisser Höhe geknüpft.
Ferner ist der spanische Senat mit dem Kongreß gleichberechtigt und wird
teilweise von den Steuerzahlern der obersten Klassen gewählt. Der konservative
Charakter dieser Verfassung scheint dem Volke zuzusagen, und die Agitation
gegen dieselbe ging offenbar aus dem Wunsche hervor, zu den Fleischtöpfen der
oberen amtlichen Stellungen zu gelangen. Der König ist von seiner Thron¬
besteigung an stets streng nach den Regeln parlamentarischer Regierung Ver¬
fahren: er hat allen Parteien nach einander reichlich Gelegenheit gegeben, es
mit dem Regieren zu versuchen. Er wird jetzt des Erfolges sicher sein, da er
sich durch Solderhöhung bei den Gemeinen und Beförderungen bei den Offi¬
zieren die Armee gewonnen hat. Seit fünfzig Jahren waren alle Revolutionen
in Spanien prätoricmischer Natur, und so lange die Truppen treu bleiben, ist
die Linke machtlos. Jedes Ministerium war anfangs imstande, sich in deu
Cortes eine Mehrheit zu schaffen, aber nach einer Weile löste dieselbe sich auf
und zerfloß. So auch jetzt, und Ccmovas hat den Vorteil, daß seine Gegner
schon uneinig waren, als sie noch die Gewalt hatten. Der Ministerpräsident
wollte Auslösung der Cortes, der Minister des Innern war dagegen, und
schließlich riet letzterer dem Könige zur Berufung der Konservativen.

Den Pariser Republikanern ist diese Wendung der Dinge natürlich sehr
verdrießlich. Sie hatten sich bemüht, Spanien wieder zur Republik zu machen
und es so an die Seite Frankreichs zu bringen. Das Erstarken des Königtums
ging Hand in Hand mit einer Steigerung und Vertiefung des Nationalgefühls
der Spanier, und da dieses sie von den Nachbarn jenseits der Pyrenäen trennte,
mußte jenes unterwühlt und schließlich niedergeworfen und beseitigt werden. Als
Zorilla und Salmeron sich an die Franzosen um Unterstützung einer dazu
bestimmten Revolution wandten, wurde ihnen dieselbe bereitwillig gewährt. Als
aber daraufhin die Militärputsche in Badajoz und Seo de Argei ausbrachen,
zeigte es sich sofort, daß die Anschürer und obersten Führer der Emeute sich
verrechnet hatten, und daß die Regierung des Königs Alfonso fester im Lande
und Volke wurzelte, als sie vermutet hatten. Später hoffte man in Paris
seine Absichten in Betreff Spaniens aus parlamentarischem Wege zu erreichen.


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[0316] Der Umschwung in Spanien. ist ein inoffensiver Staat, und das deutsche Reich ist bei seiner Zusammensetzung ebenfalls eine friedliche Schöpfung. Eine Ursache des Mißtrauens, welches der König gegen die Liberalen hegte, die jetzt vom Ruder getreten sind, lag darin, daß sie den Versuch be¬ absichtigten, die Verfassung abzuändern und sich jenem allgemeinen Stimmrechte zu nähern, das in Spanien bereits so viel Unheil angerichtet hat. Kein Land in Europa ist Frankreich darin gefolgt, daß es bei den Wahlen seiner Ver¬ treter jedermann anstimmen ließ, als Deutschland, und hier ist die Gabe dadurch neutralisirt, daß der Reichstag nicht das Recht besitzt, durch seine Mehrheit Minister zu macheu und zu stürzen. In Spanien und Italien ist jetzt jedoch das Stimmrecht an die Zahlung direkter Steuern in gewisser Höhe geknüpft. Ferner ist der spanische Senat mit dem Kongreß gleichberechtigt und wird teilweise von den Steuerzahlern der obersten Klassen gewählt. Der konservative Charakter dieser Verfassung scheint dem Volke zuzusagen, und die Agitation gegen dieselbe ging offenbar aus dem Wunsche hervor, zu den Fleischtöpfen der oberen amtlichen Stellungen zu gelangen. Der König ist von seiner Thron¬ besteigung an stets streng nach den Regeln parlamentarischer Regierung Ver¬ fahren: er hat allen Parteien nach einander reichlich Gelegenheit gegeben, es mit dem Regieren zu versuchen. Er wird jetzt des Erfolges sicher sein, da er sich durch Solderhöhung bei den Gemeinen und Beförderungen bei den Offi¬ zieren die Armee gewonnen hat. Seit fünfzig Jahren waren alle Revolutionen in Spanien prätoricmischer Natur, und so lange die Truppen treu bleiben, ist die Linke machtlos. Jedes Ministerium war anfangs imstande, sich in deu Cortes eine Mehrheit zu schaffen, aber nach einer Weile löste dieselbe sich auf und zerfloß. So auch jetzt, und Ccmovas hat den Vorteil, daß seine Gegner schon uneinig waren, als sie noch die Gewalt hatten. Der Ministerpräsident wollte Auslösung der Cortes, der Minister des Innern war dagegen, und schließlich riet letzterer dem Könige zur Berufung der Konservativen. Den Pariser Republikanern ist diese Wendung der Dinge natürlich sehr verdrießlich. Sie hatten sich bemüht, Spanien wieder zur Republik zu machen und es so an die Seite Frankreichs zu bringen. Das Erstarken des Königtums ging Hand in Hand mit einer Steigerung und Vertiefung des Nationalgefühls der Spanier, und da dieses sie von den Nachbarn jenseits der Pyrenäen trennte, mußte jenes unterwühlt und schließlich niedergeworfen und beseitigt werden. Als Zorilla und Salmeron sich an die Franzosen um Unterstützung einer dazu bestimmten Revolution wandten, wurde ihnen dieselbe bereitwillig gewährt. Als aber daraufhin die Militärputsche in Badajoz und Seo de Argei ausbrachen, zeigte es sich sofort, daß die Anschürer und obersten Führer der Emeute sich verrechnet hatten, und daß die Regierung des Königs Alfonso fester im Lande und Volke wurzelte, als sie vermutet hatten. Später hoffte man in Paris seine Absichten in Betreff Spaniens aus parlamentarischem Wege zu erreichen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/316>, abgerufen am 22.07.2024.