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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Wilhelm Scherers Deutsche Literaturzeschichte.

dem Lichte der Zivilisation und Entwicklung auch ihre Befreiung aus der
finstern Nacht, worin sie nach so vielen Thaten Kämpfen und zu leben noch
verurteilt sind, erwarten,

Franz von Löser sagt in seinen "Griechischen Küstenfahrten": "Vielleicht
haben Wenige soviele Küsten und Inseln, an und auf denen Neugriechen
wohnen, im ganzen Bereich des griechischen Meeres besucht als der Ver¬
fasser dieser Zeilen. Überall traf er ans das eine gleichartige Nationalgefühl,
überall lebte in den Bewohnern nur der Gedanke, daß sie lebendige Teile
des Vvlkskörpers der Neugriechen seien, daß in diesem das edelste Blut
des Morgenlandes fließe, daß ihm die Zukunft des Orients gehöre." Die
Größe und die Lebenskraft der Nationen ist weder nach der Zahl ihrer Glieder,
noch "ach der Ausdehnung ihrer Länder zu ermessen. Hat sich aber in der
Geschichte der Völker diese Ansicht als zutreffend erwiesen, wie vielmehr leuchtet
sie uns ein, wenn man die verschiednen Perioden der griechischen Geschichte
durchmustert! Unzählige Barbarenhorden, Slaven, Bulgaren, Avaren, Albanesen
haben fast das ganze Hellas überschwemmt. Dabei hat freilich im Laufe der
Jahrhunderte das hellenische Volk nicht unbeträchtliche Mischungen mit fremdem
Blute erfahren, aber doch immer nur in so geringen Portionen, daß es sich
die fremden Bestandteile vermöge seiner Geisteskraft fast völlig assimilirt hat
>ab in keiner Weise von ihnen absorbirt worden ist. Schon seit sechs Jahr¬
hunderten spricht und denkt in Hellas alles, was vordem slavisch war, griechisch.

Mit Zuversicht also darf man an der Vergrößerung und Kräftigung des
jetzt noch kleinen Hellas arbeiten und nicht vor vorübergehenden Hindernissen und
Schwierigkeiten zurückschrecken. Noch viele dunkle Stnrmwvlkcn werden sich viel¬
leicht über jene schönen Gefilde wälzen, schwere, unabsehbare Verwicklungen
können sich noch einstellen; doch die Griechen werden ausdauern und wachse".
Und auch wer in den heutigen Griechen nicht die legitimen Erben des alten
hellenischen Geistes erblickt, wird nicht bezweifeln, daß sie noch zu einer poli¬
tischen Rolle im Orient berufen sind.




Wilhelm Scherers Deutsche Literaturgeschichte.

urz vor Weihnachten vorigen Jahres erschien, von den Besitzern
der übrigen Lieferungen sehnsüchtig erwartet, die neunte, d. h. die
Schlußlicferung von Wilhelm Scherers "Geschichte der deutschen
Literatur" (Berlin, Weidmann). Fast vier Jahre sind also ver¬
flossen, seitdem die erste Lieferung dieses Werkes zur Ausgabe
gelangte. Allgemein hatte man einen schnelleren Fortgang erwartet, und sicher


Wilhelm Scherers Deutsche Literaturzeschichte.

dem Lichte der Zivilisation und Entwicklung auch ihre Befreiung aus der
finstern Nacht, worin sie nach so vielen Thaten Kämpfen und zu leben noch
verurteilt sind, erwarten,

Franz von Löser sagt in seinen „Griechischen Küstenfahrten": „Vielleicht
haben Wenige soviele Küsten und Inseln, an und auf denen Neugriechen
wohnen, im ganzen Bereich des griechischen Meeres besucht als der Ver¬
fasser dieser Zeilen. Überall traf er ans das eine gleichartige Nationalgefühl,
überall lebte in den Bewohnern nur der Gedanke, daß sie lebendige Teile
des Vvlkskörpers der Neugriechen seien, daß in diesem das edelste Blut
des Morgenlandes fließe, daß ihm die Zukunft des Orients gehöre." Die
Größe und die Lebenskraft der Nationen ist weder nach der Zahl ihrer Glieder,
noch »ach der Ausdehnung ihrer Länder zu ermessen. Hat sich aber in der
Geschichte der Völker diese Ansicht als zutreffend erwiesen, wie vielmehr leuchtet
sie uns ein, wenn man die verschiednen Perioden der griechischen Geschichte
durchmustert! Unzählige Barbarenhorden, Slaven, Bulgaren, Avaren, Albanesen
haben fast das ganze Hellas überschwemmt. Dabei hat freilich im Laufe der
Jahrhunderte das hellenische Volk nicht unbeträchtliche Mischungen mit fremdem
Blute erfahren, aber doch immer nur in so geringen Portionen, daß es sich
die fremden Bestandteile vermöge seiner Geisteskraft fast völlig assimilirt hat
>ab in keiner Weise von ihnen absorbirt worden ist. Schon seit sechs Jahr¬
hunderten spricht und denkt in Hellas alles, was vordem slavisch war, griechisch.

Mit Zuversicht also darf man an der Vergrößerung und Kräftigung des
jetzt noch kleinen Hellas arbeiten und nicht vor vorübergehenden Hindernissen und
Schwierigkeiten zurückschrecken. Noch viele dunkle Stnrmwvlkcn werden sich viel¬
leicht über jene schönen Gefilde wälzen, schwere, unabsehbare Verwicklungen
können sich noch einstellen; doch die Griechen werden ausdauern und wachse».
Und auch wer in den heutigen Griechen nicht die legitimen Erben des alten
hellenischen Geistes erblickt, wird nicht bezweifeln, daß sie noch zu einer poli¬
tischen Rolle im Orient berufen sind.




Wilhelm Scherers Deutsche Literaturgeschichte.

urz vor Weihnachten vorigen Jahres erschien, von den Besitzern
der übrigen Lieferungen sehnsüchtig erwartet, die neunte, d. h. die
Schlußlicferung von Wilhelm Scherers „Geschichte der deutschen
Literatur" (Berlin, Weidmann). Fast vier Jahre sind also ver¬
flossen, seitdem die erste Lieferung dieses Werkes zur Ausgabe
gelangte. Allgemein hatte man einen schnelleren Fortgang erwartet, und sicher


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[0301] Wilhelm Scherers Deutsche Literaturzeschichte. dem Lichte der Zivilisation und Entwicklung auch ihre Befreiung aus der finstern Nacht, worin sie nach so vielen Thaten Kämpfen und zu leben noch verurteilt sind, erwarten, Franz von Löser sagt in seinen „Griechischen Küstenfahrten": „Vielleicht haben Wenige soviele Küsten und Inseln, an und auf denen Neugriechen wohnen, im ganzen Bereich des griechischen Meeres besucht als der Ver¬ fasser dieser Zeilen. Überall traf er ans das eine gleichartige Nationalgefühl, überall lebte in den Bewohnern nur der Gedanke, daß sie lebendige Teile des Vvlkskörpers der Neugriechen seien, daß in diesem das edelste Blut des Morgenlandes fließe, daß ihm die Zukunft des Orients gehöre." Die Größe und die Lebenskraft der Nationen ist weder nach der Zahl ihrer Glieder, noch »ach der Ausdehnung ihrer Länder zu ermessen. Hat sich aber in der Geschichte der Völker diese Ansicht als zutreffend erwiesen, wie vielmehr leuchtet sie uns ein, wenn man die verschiednen Perioden der griechischen Geschichte durchmustert! Unzählige Barbarenhorden, Slaven, Bulgaren, Avaren, Albanesen haben fast das ganze Hellas überschwemmt. Dabei hat freilich im Laufe der Jahrhunderte das hellenische Volk nicht unbeträchtliche Mischungen mit fremdem Blute erfahren, aber doch immer nur in so geringen Portionen, daß es sich die fremden Bestandteile vermöge seiner Geisteskraft fast völlig assimilirt hat >ab in keiner Weise von ihnen absorbirt worden ist. Schon seit sechs Jahr¬ hunderten spricht und denkt in Hellas alles, was vordem slavisch war, griechisch. Mit Zuversicht also darf man an der Vergrößerung und Kräftigung des jetzt noch kleinen Hellas arbeiten und nicht vor vorübergehenden Hindernissen und Schwierigkeiten zurückschrecken. Noch viele dunkle Stnrmwvlkcn werden sich viel¬ leicht über jene schönen Gefilde wälzen, schwere, unabsehbare Verwicklungen können sich noch einstellen; doch die Griechen werden ausdauern und wachse». Und auch wer in den heutigen Griechen nicht die legitimen Erben des alten hellenischen Geistes erblickt, wird nicht bezweifeln, daß sie noch zu einer poli¬ tischen Rolle im Orient berufen sind. Wilhelm Scherers Deutsche Literaturgeschichte. urz vor Weihnachten vorigen Jahres erschien, von den Besitzern der übrigen Lieferungen sehnsüchtig erwartet, die neunte, d. h. die Schlußlicferung von Wilhelm Scherers „Geschichte der deutschen Literatur" (Berlin, Weidmann). Fast vier Jahre sind also ver¬ flossen, seitdem die erste Lieferung dieses Werkes zur Ausgabe gelangte. Allgemein hatte man einen schnelleren Fortgang erwartet, und sicher

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/301>, abgerufen am 03.07.2024.