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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Die jüdische Einwanderung in Deutschland.

liebe) sowie die der jüdischen Chirurgen, Bader und Barbiere (47 gegen 163
christliche). Dagegen fehlten jüdische Doktoren der Medizin, wenn auch natürlich
nicht jüdische Medizinalpfuscher. Ein Bericht der Preußischen Jahrbücher vom
Jahre 1798, der südpreußische Verhältnisse und Zustände schildert, sagt über
jene: "Der Jsraelit pfuschert in der Medizin, und der gemeine Pole bedient
sich seiner in Krankheitsfällen gern. Selbst vornehme Polen geben dem nach
einer berühmten Handelsstadt reisenden Juden den Auftrag, Medizin für sie
mitzubringen. Der Jude entwirft nur eine ungefähre Beschreibung der Krank¬
heit und läßt sich vom Apotheker Arznei dagegen mitgeben oder komponirt
auch wohl selber dergleichen." Wie sehr aber trotzdem der Handelsbetrieb unter
den Jsraeliten auch damals im Vordergrunde stand, ersehen wir daraus, daß
-- trotz der großen vorzugsweise von Handel und Handwerk lebenden deutschen
Bevölkerung der polnischen Städte -- die Juden, die im Jahre 1797 in Süd-
Preußen nur den achtzehnten Teil der Bevölkerung ausmachten, dort zwischen
elf- und zwölfhundert Handelsleute zählten, während unter dem gesamten Reste
der Bevölkerung nicht viel mehr als siebzehnhundert Handeltreibende zu finden
waren. Schon damals begannen denn auch die Bemühungen der Behörden,
die Juden durch Prämien und ähnliche Mittel in größerer Zahl zum Betreiben
andrer Gewerbe, insbesondre der Landwirtschaft, zu bestimmen.

In den Städten der Provinz Südpreußen zählte man im Jahre 1797
im ganzen 29118 Handwerker, von denen 4164 Juden waren, und allein in
den Städten des Posener Kammerbezirks gab es 17 573 Handwerker, unter
welchen sich 1930 Juden befanden. Zu ungünstig also erscheint diesen Daten
gegenüber das Urteil von Lukaseewiez-. "Faulheit war unter den Posener Juden
von Alters her allgemein. Anstrengung und Ausdauer erfordernde Handwerke,
wie z. B. das Schmiede-, Zimmer-, Schuhmacher- und Kupferschmiedegewerbe,
erfüllten die Juden mit Abscheu, dieselben hielten sich lieber an die leichteren,
mehr Vorteil bringenden, wie Kürschnerei, Schneiderei und Posamentierarbeit.
Allein auch diesen widmeten sie sich in sehr geringer Zahl, da fast die ganze
männliche Bevölkerung derselben lieber auf den Straßen Schacher trieb."

Zu den Eigentümlichkeiten der jüdischen Bevölkerung in der Provinz Posen
gehören noch jetzt ihre große Zahl auf relativ kleinem Raume und ihre geringe
Verbreitung ans dem Lande. So zählte man im Jahre 1862 deren

eins dem Lande in den Städten
im Regierungsbezirke Posen 2236 47 713,
Bromberg 2293 21 S2S,

dagegen z. B.:

im Regierungsbezirke Trier 4820 1234,
Koblenz 568L 3024.

Aus dieser starken Anhäufung jüdischer Elemente, namentlich in den klei¬
nern Städten der Provinz Posen, erklären sich auch die im Vergleich mit


Grenzboten I. 1384. 36
Die jüdische Einwanderung in Deutschland.

liebe) sowie die der jüdischen Chirurgen, Bader und Barbiere (47 gegen 163
christliche). Dagegen fehlten jüdische Doktoren der Medizin, wenn auch natürlich
nicht jüdische Medizinalpfuscher. Ein Bericht der Preußischen Jahrbücher vom
Jahre 1798, der südpreußische Verhältnisse und Zustände schildert, sagt über
jene: „Der Jsraelit pfuschert in der Medizin, und der gemeine Pole bedient
sich seiner in Krankheitsfällen gern. Selbst vornehme Polen geben dem nach
einer berühmten Handelsstadt reisenden Juden den Auftrag, Medizin für sie
mitzubringen. Der Jude entwirft nur eine ungefähre Beschreibung der Krank¬
heit und läßt sich vom Apotheker Arznei dagegen mitgeben oder komponirt
auch wohl selber dergleichen." Wie sehr aber trotzdem der Handelsbetrieb unter
den Jsraeliten auch damals im Vordergrunde stand, ersehen wir daraus, daß
— trotz der großen vorzugsweise von Handel und Handwerk lebenden deutschen
Bevölkerung der polnischen Städte — die Juden, die im Jahre 1797 in Süd-
Preußen nur den achtzehnten Teil der Bevölkerung ausmachten, dort zwischen
elf- und zwölfhundert Handelsleute zählten, während unter dem gesamten Reste
der Bevölkerung nicht viel mehr als siebzehnhundert Handeltreibende zu finden
waren. Schon damals begannen denn auch die Bemühungen der Behörden,
die Juden durch Prämien und ähnliche Mittel in größerer Zahl zum Betreiben
andrer Gewerbe, insbesondre der Landwirtschaft, zu bestimmen.

In den Städten der Provinz Südpreußen zählte man im Jahre 1797
im ganzen 29118 Handwerker, von denen 4164 Juden waren, und allein in
den Städten des Posener Kammerbezirks gab es 17 573 Handwerker, unter
welchen sich 1930 Juden befanden. Zu ungünstig also erscheint diesen Daten
gegenüber das Urteil von Lukaseewiez-. „Faulheit war unter den Posener Juden
von Alters her allgemein. Anstrengung und Ausdauer erfordernde Handwerke,
wie z. B. das Schmiede-, Zimmer-, Schuhmacher- und Kupferschmiedegewerbe,
erfüllten die Juden mit Abscheu, dieselben hielten sich lieber an die leichteren,
mehr Vorteil bringenden, wie Kürschnerei, Schneiderei und Posamentierarbeit.
Allein auch diesen widmeten sie sich in sehr geringer Zahl, da fast die ganze
männliche Bevölkerung derselben lieber auf den Straßen Schacher trieb."

Zu den Eigentümlichkeiten der jüdischen Bevölkerung in der Provinz Posen
gehören noch jetzt ihre große Zahl auf relativ kleinem Raume und ihre geringe
Verbreitung ans dem Lande. So zählte man im Jahre 1862 deren

eins dem Lande in den Städten
im Regierungsbezirke Posen 2236 47 713,
Bromberg 2293 21 S2S,

dagegen z. B.:

im Regierungsbezirke Trier 4820 1234,
Koblenz 568L 3024.

Aus dieser starken Anhäufung jüdischer Elemente, namentlich in den klei¬
nern Städten der Provinz Posen, erklären sich auch die im Vergleich mit


Grenzboten I. 1384. 36
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/291>, abgerufen am 23.07.2024.