Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.E. Geibels und F. A. v, Schacks sämtliche Werke. Herr Paul Lindau mit der Parole "Schulmeister" brandmarken- Schulmeister Emanuel Gelb el gehört zu den wenigenpvetischen Naturen des verflossenen Ruft man sich ins Gedächtnis zurück, unter welchen Umständen Geibels E. Geibels und F. A. v, Schacks sämtliche Werke. Herr Paul Lindau mit der Parole „Schulmeister" brandmarken- Schulmeister Emanuel Gelb el gehört zu den wenigenpvetischen Naturen des verflossenen Ruft man sich ins Gedächtnis zurück, unter welchen Umständen Geibels <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0029" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/154912"/> <fw type="header" place="top"> E. Geibels und F. A. v, Schacks sämtliche Werke.</fw><lb/> <p xml:id="ID_63" prev="#ID_62"> Herr Paul Lindau mit der Parole „Schulmeister" brandmarken- Schulmeister<lb/> sind alle, die kritisch andre Maßstäbe als die der Aktualität anlegen, Schul¬<lb/> meister wahrscheinlich auch die Dichter, welche das Prädikat des „aktuellen"<lb/> nicht in Anspruch nehmen können.</p><lb/> <p xml:id="ID_64"> Emanuel Gelb el gehört zu den wenigenpvetischen Naturen des verflossenen<lb/> Menschenalters, die unter dieser Afterkritik verhältnismäßig wenig gelitten haben.<lb/> Nicht etwa, daß sie für ihn eine Ausnahme gemacht, für die Anlage, die Be¬<lb/> strebungen und die in der That bedeutende Entwicklung, deren vollgiltiges<lb/> Zeugnis die „Gesammelten Werke" (in acht Bänden, Stuttgart, I. G. Cotta)<lb/> sind, je etwas andres gehabt hätte als das mitleidige Zugeständnis, daß er<lb/> „schöne Verse" schreibe. Aber der Dichter der „Juniuslieder" hatte seinen Weg<lb/> und sein Publikum so sehr ohne die Tageskritik gefunden, daß er ihrer Souverä¬<lb/> nität als ein poetischer Rebell trotzen konnte und sogar jene besser berechtigte<lb/> Kritik unbeachtet lassen durfte, welche bei Geibels erstem Auftreten das liebens¬<lb/> würdige Talent des Dichters voll anerkannte, jedoch die Besorgnis aussprach,<lb/> daß seine zum Weichen und Zarten neigende Natur und die Frühreife seiner<lb/> Form, welche schon seine ersten und am weitesten verbreiteten Gedichte an den<lb/> Tag legten, einer größern Entwicklung hinderlich sein würden. Er hätte sie unbeachtet<lb/> lassen dürfen, sein Publikum war ihm gewiß genug. Daß er es nicht gethan, daß<lb/> er selbst den innern Mangel, oder sagen wir besser die enge Begrenzung des<lb/> poetischen Horizontes seiner ersten und gefeiertsten „Gedichte" gefühlt hat, daß<lb/> er höher gewachsen ist, als selbst enthusiastische Freunde seiner Poetenjugend in<lb/> den vierziger Jahren je für möglich gehalten hätten, das erweisen die „Ge¬<lb/> sammelten Werke" unwiderleglich, und das scheint uns des Dichters höchste Ehre.</p><lb/> <p xml:id="ID_65" next="#ID_66"> Ruft man sich ins Gedächtnis zurück, unter welchen Umständen Geibels<lb/> Name zuerst einen gewissen Klang gewonnen, so muß man auch betonen, in wie<lb/> hochfahrender Weise zu Ausgang der dreißiger Jahre die Tendcnzliteratur aller<lb/> Lyrik, soweit sie nicht politische Poesie sein wollte, den Krieg auf Leben und<lb/> Tod ankündigte. Jeder Anschluß an die Dichtung der klassischen und nach¬<lb/> klassischen Zeit galt als Zeichen innerer Leere und Unselbständigkeit, jede Aus¬<lb/> sprache in den alten, gleichsam ewigen Weisen des volkstümlichen Liedes für<lb/> Gedudel und Leierkastenmusik. Was Wunder, wenn diejenigen, die das Bedürfnis<lb/> der unmittelbaren und künstlerisch schönen Gefühlsaussprache empfanden, welche<lb/> die Überlieferungen der klassischen und romantischen Dichtung nicht verloren geben<lb/> wollten, auf der andern Seite nur zu geneigt waren, einen neuauftauchenden<lb/> jungen Dichter in ihrem Sinne zu überschätzen. Es war eine kleine Gruppe<lb/> von besondern Talenten, unter der Geibel mit seinen Anfängen auftauchte. „Vom<lb/> Boden des Gegebenen und einer gewissen Nachbildung aus erhoben sie sich zur<lb/> Selbständigkeit, die sonach niemals eine energische, scharfgeprägte, gleichsam in die<lb/> Augen springende ward, wie diejenige der umwälzenden und kraftgenialen Naturen.<lb/> Die Behauptung und Weiterbildung des klaren und reinen poetischen Ausdruckes,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0029]
E. Geibels und F. A. v, Schacks sämtliche Werke.
Herr Paul Lindau mit der Parole „Schulmeister" brandmarken- Schulmeister
sind alle, die kritisch andre Maßstäbe als die der Aktualität anlegen, Schul¬
meister wahrscheinlich auch die Dichter, welche das Prädikat des „aktuellen"
nicht in Anspruch nehmen können.
Emanuel Gelb el gehört zu den wenigenpvetischen Naturen des verflossenen
Menschenalters, die unter dieser Afterkritik verhältnismäßig wenig gelitten haben.
Nicht etwa, daß sie für ihn eine Ausnahme gemacht, für die Anlage, die Be¬
strebungen und die in der That bedeutende Entwicklung, deren vollgiltiges
Zeugnis die „Gesammelten Werke" (in acht Bänden, Stuttgart, I. G. Cotta)
sind, je etwas andres gehabt hätte als das mitleidige Zugeständnis, daß er
„schöne Verse" schreibe. Aber der Dichter der „Juniuslieder" hatte seinen Weg
und sein Publikum so sehr ohne die Tageskritik gefunden, daß er ihrer Souverä¬
nität als ein poetischer Rebell trotzen konnte und sogar jene besser berechtigte
Kritik unbeachtet lassen durfte, welche bei Geibels erstem Auftreten das liebens¬
würdige Talent des Dichters voll anerkannte, jedoch die Besorgnis aussprach,
daß seine zum Weichen und Zarten neigende Natur und die Frühreife seiner
Form, welche schon seine ersten und am weitesten verbreiteten Gedichte an den
Tag legten, einer größern Entwicklung hinderlich sein würden. Er hätte sie unbeachtet
lassen dürfen, sein Publikum war ihm gewiß genug. Daß er es nicht gethan, daß
er selbst den innern Mangel, oder sagen wir besser die enge Begrenzung des
poetischen Horizontes seiner ersten und gefeiertsten „Gedichte" gefühlt hat, daß
er höher gewachsen ist, als selbst enthusiastische Freunde seiner Poetenjugend in
den vierziger Jahren je für möglich gehalten hätten, das erweisen die „Ge¬
sammelten Werke" unwiderleglich, und das scheint uns des Dichters höchste Ehre.
Ruft man sich ins Gedächtnis zurück, unter welchen Umständen Geibels
Name zuerst einen gewissen Klang gewonnen, so muß man auch betonen, in wie
hochfahrender Weise zu Ausgang der dreißiger Jahre die Tendcnzliteratur aller
Lyrik, soweit sie nicht politische Poesie sein wollte, den Krieg auf Leben und
Tod ankündigte. Jeder Anschluß an die Dichtung der klassischen und nach¬
klassischen Zeit galt als Zeichen innerer Leere und Unselbständigkeit, jede Aus¬
sprache in den alten, gleichsam ewigen Weisen des volkstümlichen Liedes für
Gedudel und Leierkastenmusik. Was Wunder, wenn diejenigen, die das Bedürfnis
der unmittelbaren und künstlerisch schönen Gefühlsaussprache empfanden, welche
die Überlieferungen der klassischen und romantischen Dichtung nicht verloren geben
wollten, auf der andern Seite nur zu geneigt waren, einen neuauftauchenden
jungen Dichter in ihrem Sinne zu überschätzen. Es war eine kleine Gruppe
von besondern Talenten, unter der Geibel mit seinen Anfängen auftauchte. „Vom
Boden des Gegebenen und einer gewissen Nachbildung aus erhoben sie sich zur
Selbständigkeit, die sonach niemals eine energische, scharfgeprägte, gleichsam in die
Augen springende ward, wie diejenige der umwälzenden und kraftgenialen Naturen.
Die Behauptung und Weiterbildung des klaren und reinen poetischen Ausdruckes,
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