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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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in den dazu bestimmten Sälen zur Durchsicht aufgelegt. Unterschreibt sich
dennoch für den Druck eines solchen Werkes eine gewisse Anzahl von Kommerz-
stundcn, so läßt die Akademie das Werk drucken. Dem Verfasser desselben
wird eine Anzahl Kommerzstunden ausgesetzt, die jedoch nicht größer sein darf
als die Summe, die ein Arbeiter im Laufe eines Jahres zu leisten imstande ist.

Das weibliche Geschlecht ist hinsichtlich der Arbeiten ebenso organisirt wie
das männliche. Es hat also genau so gut wie dieses seine Werkvorstände,
Meisterkompagnien, Akademien, Kommerzstunden und Geschäftssperren. Nur
können die Frauen nicht Mitglieder des Trio und der Zentralmeisterkompagnie
werden, solange sie nicht dem männlichen Geschlecht an Talent gleichkommen.
Hingegen haben die Frauen bei der Wahl der von allen zu verrichtenden Ar¬
beiten vor den Männern den Vorrang, sodaß sie sich also die leichtesten Ar¬
beiten wählen können, wenn sie darin an Geschick den Männern gleichkommen.
Die Mütter kleiner Kinder haben noch darin einen Vorzug, daß ihnen kein Ge¬
schäft gesperrt werden kann; auch sollen für dieselben in allen Geschäftszweigen
Plätze offen bleiben, damit sie sich die leichtesten Arbeiten sowie solche aus¬
wählen können, welche sie bequem zu Hause neben ihren Kindern verrichten
können.

Diese letztern treten mit einem gewissen Alter, von etwa drei bis sechs
Jahren, in die "Schularmee" ein. Zu dieser gehören sie dann bis zu den
Jahren, wo sie durch ein Examen bewiesen haben, daß sie die zum Eintritt in
die Gesellschaft erforderlichen Geschicklichkeiten und Kenntnisse in den Arbeiten und
Wissenschaften erworben haben.

Wir wollen uns nicht weiter auf das Erziehungssystem Weitlings ein¬
lassen, sondern uns mit der Bemerkung begnügen, daß den Fähigsten, die sich
bei ihrem Eintritt in die mündige Gesellschaft der Ausbildung in den Wissen¬
schaften auf den Universitäten widmen wollen, der Besuch derselben als Arbeits¬
zeit angerechnet wird.

Die Kinder, deren Eltern erkranken, sterben oder sich trennen -- Weitling
ist, wie alle deutschen Sozialisten des 19. Jahrhunderts ohne Ausnahme, für
Beibehaltung der Einehe --, nimmt der Staat ohne Rücksicht auf ihr Alter
M sich.

Der Weitlingsche Sozialstaat kennt weder Verbrechen noch Gesetze und
Strafen. Alles, was man heute Verbrechen nennt, ist nur Folge der gesell¬
schaftlichen Unordnung. Nachdem diese weggeräumt ist, bleibt nur ein natürlicher
Rest menschlicher Krankheiten und Schwächen, den man aber nicht durch Strafen,
sondern durch Heilmittel beseitigt. Hierüber gelten folgende Bestimmungen.
Alle Kranken stehen als Unmündige während der Dauer ihrer Krankheit unter
der Vormundschaft der Ärzte. Aus derselben wird niemand entlassen und der
Gesellschaft zurückgegeben, der nicht für vollkommen geheilt erachtet wird. Als
Kranke werden aber nicht nur diejenigen betrachtet, die wir heute dafür an-


Gernzboten I. 1384. 32
Lin Vorläufer Lassalles.

in den dazu bestimmten Sälen zur Durchsicht aufgelegt. Unterschreibt sich
dennoch für den Druck eines solchen Werkes eine gewisse Anzahl von Kommerz-
stundcn, so läßt die Akademie das Werk drucken. Dem Verfasser desselben
wird eine Anzahl Kommerzstunden ausgesetzt, die jedoch nicht größer sein darf
als die Summe, die ein Arbeiter im Laufe eines Jahres zu leisten imstande ist.

Das weibliche Geschlecht ist hinsichtlich der Arbeiten ebenso organisirt wie
das männliche. Es hat also genau so gut wie dieses seine Werkvorstände,
Meisterkompagnien, Akademien, Kommerzstunden und Geschäftssperren. Nur
können die Frauen nicht Mitglieder des Trio und der Zentralmeisterkompagnie
werden, solange sie nicht dem männlichen Geschlecht an Talent gleichkommen.
Hingegen haben die Frauen bei der Wahl der von allen zu verrichtenden Ar¬
beiten vor den Männern den Vorrang, sodaß sie sich also die leichtesten Ar¬
beiten wählen können, wenn sie darin an Geschick den Männern gleichkommen.
Die Mütter kleiner Kinder haben noch darin einen Vorzug, daß ihnen kein Ge¬
schäft gesperrt werden kann; auch sollen für dieselben in allen Geschäftszweigen
Plätze offen bleiben, damit sie sich die leichtesten Arbeiten sowie solche aus¬
wählen können, welche sie bequem zu Hause neben ihren Kindern verrichten
können.

Diese letztern treten mit einem gewissen Alter, von etwa drei bis sechs
Jahren, in die „Schularmee" ein. Zu dieser gehören sie dann bis zu den
Jahren, wo sie durch ein Examen bewiesen haben, daß sie die zum Eintritt in
die Gesellschaft erforderlichen Geschicklichkeiten und Kenntnisse in den Arbeiten und
Wissenschaften erworben haben.

Wir wollen uns nicht weiter auf das Erziehungssystem Weitlings ein¬
lassen, sondern uns mit der Bemerkung begnügen, daß den Fähigsten, die sich
bei ihrem Eintritt in die mündige Gesellschaft der Ausbildung in den Wissen¬
schaften auf den Universitäten widmen wollen, der Besuch derselben als Arbeits¬
zeit angerechnet wird.

Die Kinder, deren Eltern erkranken, sterben oder sich trennen — Weitling
ist, wie alle deutschen Sozialisten des 19. Jahrhunderts ohne Ausnahme, für
Beibehaltung der Einehe —, nimmt der Staat ohne Rücksicht auf ihr Alter
M sich.

Der Weitlingsche Sozialstaat kennt weder Verbrechen noch Gesetze und
Strafen. Alles, was man heute Verbrechen nennt, ist nur Folge der gesell¬
schaftlichen Unordnung. Nachdem diese weggeräumt ist, bleibt nur ein natürlicher
Rest menschlicher Krankheiten und Schwächen, den man aber nicht durch Strafen,
sondern durch Heilmittel beseitigt. Hierüber gelten folgende Bestimmungen.
Alle Kranken stehen als Unmündige während der Dauer ihrer Krankheit unter
der Vormundschaft der Ärzte. Aus derselben wird niemand entlassen und der
Gesellschaft zurückgegeben, der nicht für vollkommen geheilt erachtet wird. Als
Kranke werden aber nicht nur diejenigen betrachtet, die wir heute dafür an-


Gernzboten I. 1384. 32
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[0259] Lin Vorläufer Lassalles. in den dazu bestimmten Sälen zur Durchsicht aufgelegt. Unterschreibt sich dennoch für den Druck eines solchen Werkes eine gewisse Anzahl von Kommerz- stundcn, so läßt die Akademie das Werk drucken. Dem Verfasser desselben wird eine Anzahl Kommerzstunden ausgesetzt, die jedoch nicht größer sein darf als die Summe, die ein Arbeiter im Laufe eines Jahres zu leisten imstande ist. Das weibliche Geschlecht ist hinsichtlich der Arbeiten ebenso organisirt wie das männliche. Es hat also genau so gut wie dieses seine Werkvorstände, Meisterkompagnien, Akademien, Kommerzstunden und Geschäftssperren. Nur können die Frauen nicht Mitglieder des Trio und der Zentralmeisterkompagnie werden, solange sie nicht dem männlichen Geschlecht an Talent gleichkommen. Hingegen haben die Frauen bei der Wahl der von allen zu verrichtenden Ar¬ beiten vor den Männern den Vorrang, sodaß sie sich also die leichtesten Ar¬ beiten wählen können, wenn sie darin an Geschick den Männern gleichkommen. Die Mütter kleiner Kinder haben noch darin einen Vorzug, daß ihnen kein Ge¬ schäft gesperrt werden kann; auch sollen für dieselben in allen Geschäftszweigen Plätze offen bleiben, damit sie sich die leichtesten Arbeiten sowie solche aus¬ wählen können, welche sie bequem zu Hause neben ihren Kindern verrichten können. Diese letztern treten mit einem gewissen Alter, von etwa drei bis sechs Jahren, in die „Schularmee" ein. Zu dieser gehören sie dann bis zu den Jahren, wo sie durch ein Examen bewiesen haben, daß sie die zum Eintritt in die Gesellschaft erforderlichen Geschicklichkeiten und Kenntnisse in den Arbeiten und Wissenschaften erworben haben. Wir wollen uns nicht weiter auf das Erziehungssystem Weitlings ein¬ lassen, sondern uns mit der Bemerkung begnügen, daß den Fähigsten, die sich bei ihrem Eintritt in die mündige Gesellschaft der Ausbildung in den Wissen¬ schaften auf den Universitäten widmen wollen, der Besuch derselben als Arbeits¬ zeit angerechnet wird. Die Kinder, deren Eltern erkranken, sterben oder sich trennen — Weitling ist, wie alle deutschen Sozialisten des 19. Jahrhunderts ohne Ausnahme, für Beibehaltung der Einehe —, nimmt der Staat ohne Rücksicht auf ihr Alter M sich. Der Weitlingsche Sozialstaat kennt weder Verbrechen noch Gesetze und Strafen. Alles, was man heute Verbrechen nennt, ist nur Folge der gesell¬ schaftlichen Unordnung. Nachdem diese weggeräumt ist, bleibt nur ein natürlicher Rest menschlicher Krankheiten und Schwächen, den man aber nicht durch Strafen, sondern durch Heilmittel beseitigt. Hierüber gelten folgende Bestimmungen. Alle Kranken stehen als Unmündige während der Dauer ihrer Krankheit unter der Vormundschaft der Ärzte. Aus derselben wird niemand entlassen und der Gesellschaft zurückgegeben, der nicht für vollkommen geheilt erachtet wird. Als Kranke werden aber nicht nur diejenigen betrachtet, die wir heute dafür an- Gernzboten I. 1384. 32

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/259>, abgerufen am 23.07.2024.