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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Lin Vorläufer kassalles.

triebfeder des gesellschaftlichen Organismus, dnrch welche alle übrigen geleitet
werden sollen, was bisher nicht in genügendem Maße geschah.

Die von allen zur Befriedigung der Erwerbsbegierden angewandten Fähig¬
keiten machen -- nach Weitling -- die Produktion aus, die von allen zur Be¬
friedigung der Genußbegierden angewandten Fähigkeiten die Konsumtion. Das
zur Kenntnis, Veredlung und Vervollkommnung der Begierden und Fähigkeiten
aller Angewandte ist das Wissen, und die durch dasselbe geführte Leitung der
Befriedigung der Begierden und des Austausches der Fähigkeiten aller ist die
Verwaltung. Damit nun die letztere wirklich von der Wissenschaft und nicht
von Individuen geleitet werde, stellt Weitling die Trennung des persönlichen
Interesses von der Wissenschaft und die Trennung dieser von den Individuen
als oberstes Prinzip auf. Auf Grund desselben darf die Verwaltung weder
an einen Fürsten noch an einen Diktator noch an eine republikanische Wahl¬
mehrheit übergehen. Denn alle diese Regierungsformen verwalten das persön¬
liche Interesse.

Die Aufgabe der Verwaltung ist die gleiche Verteilung der Arbeiten und
Genüsse nach denselben Gesetzen und die Vertilgung und Heilung der menschlichen
Schwächen und Krankheiten, welche die natürliche Richtung" stören. Deshalb
darf das Berwaltungspersonal nicht den mindesten Vorzug vor andern Indi¬
viduen haben. Zur Erreichung des Zweckes der Verwaltung muß ferner ihr
Personal aus den größten Genies der nützlichsten Wissenschaften bestehen. Diese
Wissenschaften sind aber: 1. die philosophische Heilkunde, die wichtigste Wissen¬
schaft, welche die ganze Physische und geistige Natur des Menschen, seine körper¬
lichen und geistigen Schwächen und Krankheiten und die Kenntnis der Vertilgung
"ud Ausrottung derselben umfaßt. In dieser Wissenschaft konzentrirt sich also
alles nützliche Wissen der heutigen Theologen, Rechtsgelehrten, Mediziner und
Philosophen. 2. Die Physik, d. h. die Kenntnis der Kräfte der Natur und
ihrer Anwendung zum Wohle der Menschheit. 3. Die Mechanik, d. h. die
vollkommene Kenntnis der Theorie und Praxis der verschiednen Hand- und
Maschinenarbeiten.

Es handelt sich nun darum, die größten Genies ausfindig zu machen, um
ihnen die Sozialverwaltung zu übertragen. Die Anwendung aller bisher be¬
stehenden oder vorgeschlagenen Wahlsysteme hierzu lehnt Weitling ab, da sie
alle das persönliche Interesse bestehen lassen. Er schlägt vielmehr vor, man
solle jene Genies durch Prüfung ihrer Fähigkeiten an schriftlichen Fixirungen
zu erkennen suchen. Dabei ist nicht die Gegenwart der Person, welche geprüft
wird, notwendig. Auf diese Weise kann man bei den Wahlen die Fähigkeiten
von den Individuen trennen. Gelehrtenkongresse aller Fächer mögen wichtige,
das Wohl der Gesellschaft bezweckende Fragen aufwerfen. Über diese reichen
dann diejenigen, welche sich um das denselben korrespondirmde Verwaltungsamt
bewerben wollen, ihre Ideen schriftlich ein. Der Verfasser der besten Lösung


Lin Vorläufer kassalles.

triebfeder des gesellschaftlichen Organismus, dnrch welche alle übrigen geleitet
werden sollen, was bisher nicht in genügendem Maße geschah.

Die von allen zur Befriedigung der Erwerbsbegierden angewandten Fähig¬
keiten machen — nach Weitling — die Produktion aus, die von allen zur Be¬
friedigung der Genußbegierden angewandten Fähigkeiten die Konsumtion. Das
zur Kenntnis, Veredlung und Vervollkommnung der Begierden und Fähigkeiten
aller Angewandte ist das Wissen, und die durch dasselbe geführte Leitung der
Befriedigung der Begierden und des Austausches der Fähigkeiten aller ist die
Verwaltung. Damit nun die letztere wirklich von der Wissenschaft und nicht
von Individuen geleitet werde, stellt Weitling die Trennung des persönlichen
Interesses von der Wissenschaft und die Trennung dieser von den Individuen
als oberstes Prinzip auf. Auf Grund desselben darf die Verwaltung weder
an einen Fürsten noch an einen Diktator noch an eine republikanische Wahl¬
mehrheit übergehen. Denn alle diese Regierungsformen verwalten das persön¬
liche Interesse.

Die Aufgabe der Verwaltung ist die gleiche Verteilung der Arbeiten und
Genüsse nach denselben Gesetzen und die Vertilgung und Heilung der menschlichen
Schwächen und Krankheiten, welche die natürliche Richtung" stören. Deshalb
darf das Berwaltungspersonal nicht den mindesten Vorzug vor andern Indi¬
viduen haben. Zur Erreichung des Zweckes der Verwaltung muß ferner ihr
Personal aus den größten Genies der nützlichsten Wissenschaften bestehen. Diese
Wissenschaften sind aber: 1. die philosophische Heilkunde, die wichtigste Wissen¬
schaft, welche die ganze Physische und geistige Natur des Menschen, seine körper¬
lichen und geistigen Schwächen und Krankheiten und die Kenntnis der Vertilgung
"ud Ausrottung derselben umfaßt. In dieser Wissenschaft konzentrirt sich also
alles nützliche Wissen der heutigen Theologen, Rechtsgelehrten, Mediziner und
Philosophen. 2. Die Physik, d. h. die Kenntnis der Kräfte der Natur und
ihrer Anwendung zum Wohle der Menschheit. 3. Die Mechanik, d. h. die
vollkommene Kenntnis der Theorie und Praxis der verschiednen Hand- und
Maschinenarbeiten.

Es handelt sich nun darum, die größten Genies ausfindig zu machen, um
ihnen die Sozialverwaltung zu übertragen. Die Anwendung aller bisher be¬
stehenden oder vorgeschlagenen Wahlsysteme hierzu lehnt Weitling ab, da sie
alle das persönliche Interesse bestehen lassen. Er schlägt vielmehr vor, man
solle jene Genies durch Prüfung ihrer Fähigkeiten an schriftlichen Fixirungen
zu erkennen suchen. Dabei ist nicht die Gegenwart der Person, welche geprüft
wird, notwendig. Auf diese Weise kann man bei den Wahlen die Fähigkeiten
von den Individuen trennen. Gelehrtenkongresse aller Fächer mögen wichtige,
das Wohl der Gesellschaft bezweckende Fragen aufwerfen. Über diese reichen
dann diejenigen, welche sich um das denselben korrespondirmde Verwaltungsamt
bewerben wollen, ihre Ideen schriftlich ein. Der Verfasser der besten Lösung


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[0255] Lin Vorläufer kassalles. triebfeder des gesellschaftlichen Organismus, dnrch welche alle übrigen geleitet werden sollen, was bisher nicht in genügendem Maße geschah. Die von allen zur Befriedigung der Erwerbsbegierden angewandten Fähig¬ keiten machen — nach Weitling — die Produktion aus, die von allen zur Be¬ friedigung der Genußbegierden angewandten Fähigkeiten die Konsumtion. Das zur Kenntnis, Veredlung und Vervollkommnung der Begierden und Fähigkeiten aller Angewandte ist das Wissen, und die durch dasselbe geführte Leitung der Befriedigung der Begierden und des Austausches der Fähigkeiten aller ist die Verwaltung. Damit nun die letztere wirklich von der Wissenschaft und nicht von Individuen geleitet werde, stellt Weitling die Trennung des persönlichen Interesses von der Wissenschaft und die Trennung dieser von den Individuen als oberstes Prinzip auf. Auf Grund desselben darf die Verwaltung weder an einen Fürsten noch an einen Diktator noch an eine republikanische Wahl¬ mehrheit übergehen. Denn alle diese Regierungsformen verwalten das persön¬ liche Interesse. Die Aufgabe der Verwaltung ist die gleiche Verteilung der Arbeiten und Genüsse nach denselben Gesetzen und die Vertilgung und Heilung der menschlichen Schwächen und Krankheiten, welche die natürliche Richtung" stören. Deshalb darf das Berwaltungspersonal nicht den mindesten Vorzug vor andern Indi¬ viduen haben. Zur Erreichung des Zweckes der Verwaltung muß ferner ihr Personal aus den größten Genies der nützlichsten Wissenschaften bestehen. Diese Wissenschaften sind aber: 1. die philosophische Heilkunde, die wichtigste Wissen¬ schaft, welche die ganze Physische und geistige Natur des Menschen, seine körper¬ lichen und geistigen Schwächen und Krankheiten und die Kenntnis der Vertilgung "ud Ausrottung derselben umfaßt. In dieser Wissenschaft konzentrirt sich also alles nützliche Wissen der heutigen Theologen, Rechtsgelehrten, Mediziner und Philosophen. 2. Die Physik, d. h. die Kenntnis der Kräfte der Natur und ihrer Anwendung zum Wohle der Menschheit. 3. Die Mechanik, d. h. die vollkommene Kenntnis der Theorie und Praxis der verschiednen Hand- und Maschinenarbeiten. Es handelt sich nun darum, die größten Genies ausfindig zu machen, um ihnen die Sozialverwaltung zu übertragen. Die Anwendung aller bisher be¬ stehenden oder vorgeschlagenen Wahlsysteme hierzu lehnt Weitling ab, da sie alle das persönliche Interesse bestehen lassen. Er schlägt vielmehr vor, man solle jene Genies durch Prüfung ihrer Fähigkeiten an schriftlichen Fixirungen zu erkennen suchen. Dabei ist nicht die Gegenwart der Person, welche geprüft wird, notwendig. Auf diese Weise kann man bei den Wahlen die Fähigkeiten von den Individuen trennen. Gelehrtenkongresse aller Fächer mögen wichtige, das Wohl der Gesellschaft bezweckende Fragen aufwerfen. Über diese reichen dann diejenigen, welche sich um das denselben korrespondirmde Verwaltungsamt bewerben wollen, ihre Ideen schriftlich ein. Der Verfasser der besten Lösung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/255>, abgerufen am 30.06.2024.