Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Die elektrische Industrie.

standen worden, als sei in demselben die Verstaatlichung der gesamten elektrischen
Industrie gemeint gewesen. Eine solche Verstaatlichung ist überhaupt unmöglich.

Zur Verstaatlichung irgend eines Zweiges der wirtschaftlichen Thätigkeit
ist als erstes und unerläßliches Erfordernis anzusehen, daß jener Zweig seinen
"generellen" Charakter habe. Dieser besteht darin, daß die betreffende Industrie
nicht von individuellen, lokalen und sonstigen Verhältnissen abhängt und auch
in zeitlicher Beziehung nicht einer raschen Veränderung unterworfen ist, sondern
in Produktion und Verkauf in allen Teilen und an allen Orten des Landes im
wesentlichen dieselben Erscheinungen zeigt, ihr Betrieb also durch allgemeine
Grundsätze und Einrichtungen geleitet werden kann und spezielle Dispositionen
von Fall zu Fall nicht nötig macht. Eine "individuelle" Industrie, bei welcher
der Industrielle sich den Wünschen und Eigenheiten eines jeden Kunden, den
besondern lokalen Verhältnissen und der Mode anpassen muß, bei welcher auch
die Produktion nicht eine Massenproduktion ist, sondern in kleinen Stücken,
an vielen Stellen und in zahllosen Formen stattfindet, eine solche Industrie
kann schlechterdings nicht verstaatlicht werden, weil sie die Erhaltung der In¬
dividualität des Produzenten voraussetzt, was bei dem Staatsbetriebe nicht in
vollem Maße möglich ist.

Die Grenzscheide zwischen generellen und individuellen Industrien ist nun
keine feste und scharf bestimmte. Es kann ein Artikel, welcher bisher den indi¬
viduellen Charakter hatte, sehr wohl im Laufe der Zeit ein Massenartikel und
damit seine Herstellung im Staatsbetriebe möglich werden. Es kann auch bei
gewissen Artikeln Zweifel bestehen, ob sie den individuellen oder generellen Cha¬
rakter haben, wie dies die vielfachen Verhandlungen über das Tabaksmonopol
gezeigt haben. Immerhin giebt es Dinge, bei denen ein Zweifel über ihren
generellen oder individuellen Charakter nicht besteht. Zu den ersteren gehört
das Produkt der nationalen Kraftquellen, welches wir in der Form der Elek¬
trizität gewinnen werden, zu den letzteren der größere Teil der bei der Ver¬
wendung der Elektrizität für die verschiedenen Zwecke des Lebens dienenden
Vorrichtungen und Maschinen. Hiermit ist die Frage, ob die elektrische In¬
dustrie ein Privat- oder ein Staatsbetrieb sein soll, schon entschieden; denn
soweit ihr nicht der generelle Charakter zukommt -- und dies wird für abseh¬
bare Zeiten nur bei ihrem kleinsten Teile der Fall sein ---, kann sie mir von
Privaten ausgeübt werden.

Hierzu kommt aber noch ein besondrer Vorzug der Privatindustrie: die
"Findigkeit" derselben, welche sich besonders in kommerzieller Hinsicht geltend
macht, indem sie neue Artikel und Einrichtungen viel besser einzuführen vermag,
als es eine Staatsindustrie kann.

Bei dieser Gelegenheit möchte ich die Bemerkung einschalten, daß ein
eigentlicher feindseliger Gegensatz zwischen Privat- und Staatsindustrie nicht
besteht, sondern daß vielmehr beide bestimmt sind, einander zu ergänzen. Die


Die elektrische Industrie.

standen worden, als sei in demselben die Verstaatlichung der gesamten elektrischen
Industrie gemeint gewesen. Eine solche Verstaatlichung ist überhaupt unmöglich.

Zur Verstaatlichung irgend eines Zweiges der wirtschaftlichen Thätigkeit
ist als erstes und unerläßliches Erfordernis anzusehen, daß jener Zweig seinen
„generellen" Charakter habe. Dieser besteht darin, daß die betreffende Industrie
nicht von individuellen, lokalen und sonstigen Verhältnissen abhängt und auch
in zeitlicher Beziehung nicht einer raschen Veränderung unterworfen ist, sondern
in Produktion und Verkauf in allen Teilen und an allen Orten des Landes im
wesentlichen dieselben Erscheinungen zeigt, ihr Betrieb also durch allgemeine
Grundsätze und Einrichtungen geleitet werden kann und spezielle Dispositionen
von Fall zu Fall nicht nötig macht. Eine „individuelle" Industrie, bei welcher
der Industrielle sich den Wünschen und Eigenheiten eines jeden Kunden, den
besondern lokalen Verhältnissen und der Mode anpassen muß, bei welcher auch
die Produktion nicht eine Massenproduktion ist, sondern in kleinen Stücken,
an vielen Stellen und in zahllosen Formen stattfindet, eine solche Industrie
kann schlechterdings nicht verstaatlicht werden, weil sie die Erhaltung der In¬
dividualität des Produzenten voraussetzt, was bei dem Staatsbetriebe nicht in
vollem Maße möglich ist.

Die Grenzscheide zwischen generellen und individuellen Industrien ist nun
keine feste und scharf bestimmte. Es kann ein Artikel, welcher bisher den indi¬
viduellen Charakter hatte, sehr wohl im Laufe der Zeit ein Massenartikel und
damit seine Herstellung im Staatsbetriebe möglich werden. Es kann auch bei
gewissen Artikeln Zweifel bestehen, ob sie den individuellen oder generellen Cha¬
rakter haben, wie dies die vielfachen Verhandlungen über das Tabaksmonopol
gezeigt haben. Immerhin giebt es Dinge, bei denen ein Zweifel über ihren
generellen oder individuellen Charakter nicht besteht. Zu den ersteren gehört
das Produkt der nationalen Kraftquellen, welches wir in der Form der Elek¬
trizität gewinnen werden, zu den letzteren der größere Teil der bei der Ver¬
wendung der Elektrizität für die verschiedenen Zwecke des Lebens dienenden
Vorrichtungen und Maschinen. Hiermit ist die Frage, ob die elektrische In¬
dustrie ein Privat- oder ein Staatsbetrieb sein soll, schon entschieden; denn
soweit ihr nicht der generelle Charakter zukommt — und dies wird für abseh¬
bare Zeiten nur bei ihrem kleinsten Teile der Fall sein -—, kann sie mir von
Privaten ausgeübt werden.

Hierzu kommt aber noch ein besondrer Vorzug der Privatindustrie: die
„Findigkeit" derselben, welche sich besonders in kommerzieller Hinsicht geltend
macht, indem sie neue Artikel und Einrichtungen viel besser einzuführen vermag,
als es eine Staatsindustrie kann.

Bei dieser Gelegenheit möchte ich die Bemerkung einschalten, daß ein
eigentlicher feindseliger Gegensatz zwischen Privat- und Staatsindustrie nicht
besteht, sondern daß vielmehr beide bestimmt sind, einander zu ergänzen. Die


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0025" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/154908"/>
          <fw type="header" place="top"> Die elektrische Industrie.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_50" prev="#ID_49"> standen worden, als sei in demselben die Verstaatlichung der gesamten elektrischen<lb/>
Industrie gemeint gewesen. Eine solche Verstaatlichung ist überhaupt unmöglich.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_51"> Zur Verstaatlichung irgend eines Zweiges der wirtschaftlichen Thätigkeit<lb/>
ist als erstes und unerläßliches Erfordernis anzusehen, daß jener Zweig seinen<lb/>
&#x201E;generellen" Charakter habe. Dieser besteht darin, daß die betreffende Industrie<lb/>
nicht von individuellen, lokalen und sonstigen Verhältnissen abhängt und auch<lb/>
in zeitlicher Beziehung nicht einer raschen Veränderung unterworfen ist, sondern<lb/>
in Produktion und Verkauf in allen Teilen und an allen Orten des Landes im<lb/>
wesentlichen dieselben Erscheinungen zeigt, ihr Betrieb also durch allgemeine<lb/>
Grundsätze und Einrichtungen geleitet werden kann und spezielle Dispositionen<lb/>
von Fall zu Fall nicht nötig macht. Eine &#x201E;individuelle" Industrie, bei welcher<lb/>
der Industrielle sich den Wünschen und Eigenheiten eines jeden Kunden, den<lb/>
besondern lokalen Verhältnissen und der Mode anpassen muß, bei welcher auch<lb/>
die Produktion nicht eine Massenproduktion ist, sondern in kleinen Stücken,<lb/>
an vielen Stellen und in zahllosen Formen stattfindet, eine solche Industrie<lb/>
kann schlechterdings nicht verstaatlicht werden, weil sie die Erhaltung der In¬<lb/>
dividualität des Produzenten voraussetzt, was bei dem Staatsbetriebe nicht in<lb/>
vollem Maße möglich ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_52"> Die Grenzscheide zwischen generellen und individuellen Industrien ist nun<lb/>
keine feste und scharf bestimmte. Es kann ein Artikel, welcher bisher den indi¬<lb/>
viduellen Charakter hatte, sehr wohl im Laufe der Zeit ein Massenartikel und<lb/>
damit seine Herstellung im Staatsbetriebe möglich werden. Es kann auch bei<lb/>
gewissen Artikeln Zweifel bestehen, ob sie den individuellen oder generellen Cha¬<lb/>
rakter haben, wie dies die vielfachen Verhandlungen über das Tabaksmonopol<lb/>
gezeigt haben. Immerhin giebt es Dinge, bei denen ein Zweifel über ihren<lb/>
generellen oder individuellen Charakter nicht besteht. Zu den ersteren gehört<lb/>
das Produkt der nationalen Kraftquellen, welches wir in der Form der Elek¬<lb/>
trizität gewinnen werden, zu den letzteren der größere Teil der bei der Ver¬<lb/>
wendung der Elektrizität für die verschiedenen Zwecke des Lebens dienenden<lb/>
Vorrichtungen und Maschinen. Hiermit ist die Frage, ob die elektrische In¬<lb/>
dustrie ein Privat- oder ein Staatsbetrieb sein soll, schon entschieden; denn<lb/>
soweit ihr nicht der generelle Charakter zukommt &#x2014; und dies wird für abseh¬<lb/>
bare Zeiten nur bei ihrem kleinsten Teile der Fall sein -&#x2014;, kann sie mir von<lb/>
Privaten ausgeübt werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_53"> Hierzu kommt aber noch ein besondrer Vorzug der Privatindustrie: die<lb/>
&#x201E;Findigkeit" derselben, welche sich besonders in kommerzieller Hinsicht geltend<lb/>
macht, indem sie neue Artikel und Einrichtungen viel besser einzuführen vermag,<lb/>
als es eine Staatsindustrie kann.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_54" next="#ID_55"> Bei dieser Gelegenheit möchte ich die Bemerkung einschalten, daß ein<lb/>
eigentlicher feindseliger Gegensatz zwischen Privat- und Staatsindustrie nicht<lb/>
besteht, sondern daß vielmehr beide bestimmt sind, einander zu ergänzen. Die</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0025] Die elektrische Industrie. standen worden, als sei in demselben die Verstaatlichung der gesamten elektrischen Industrie gemeint gewesen. Eine solche Verstaatlichung ist überhaupt unmöglich. Zur Verstaatlichung irgend eines Zweiges der wirtschaftlichen Thätigkeit ist als erstes und unerläßliches Erfordernis anzusehen, daß jener Zweig seinen „generellen" Charakter habe. Dieser besteht darin, daß die betreffende Industrie nicht von individuellen, lokalen und sonstigen Verhältnissen abhängt und auch in zeitlicher Beziehung nicht einer raschen Veränderung unterworfen ist, sondern in Produktion und Verkauf in allen Teilen und an allen Orten des Landes im wesentlichen dieselben Erscheinungen zeigt, ihr Betrieb also durch allgemeine Grundsätze und Einrichtungen geleitet werden kann und spezielle Dispositionen von Fall zu Fall nicht nötig macht. Eine „individuelle" Industrie, bei welcher der Industrielle sich den Wünschen und Eigenheiten eines jeden Kunden, den besondern lokalen Verhältnissen und der Mode anpassen muß, bei welcher auch die Produktion nicht eine Massenproduktion ist, sondern in kleinen Stücken, an vielen Stellen und in zahllosen Formen stattfindet, eine solche Industrie kann schlechterdings nicht verstaatlicht werden, weil sie die Erhaltung der In¬ dividualität des Produzenten voraussetzt, was bei dem Staatsbetriebe nicht in vollem Maße möglich ist. Die Grenzscheide zwischen generellen und individuellen Industrien ist nun keine feste und scharf bestimmte. Es kann ein Artikel, welcher bisher den indi¬ viduellen Charakter hatte, sehr wohl im Laufe der Zeit ein Massenartikel und damit seine Herstellung im Staatsbetriebe möglich werden. Es kann auch bei gewissen Artikeln Zweifel bestehen, ob sie den individuellen oder generellen Cha¬ rakter haben, wie dies die vielfachen Verhandlungen über das Tabaksmonopol gezeigt haben. Immerhin giebt es Dinge, bei denen ein Zweifel über ihren generellen oder individuellen Charakter nicht besteht. Zu den ersteren gehört das Produkt der nationalen Kraftquellen, welches wir in der Form der Elek¬ trizität gewinnen werden, zu den letzteren der größere Teil der bei der Ver¬ wendung der Elektrizität für die verschiedenen Zwecke des Lebens dienenden Vorrichtungen und Maschinen. Hiermit ist die Frage, ob die elektrische In¬ dustrie ein Privat- oder ein Staatsbetrieb sein soll, schon entschieden; denn soweit ihr nicht der generelle Charakter zukommt — und dies wird für abseh¬ bare Zeiten nur bei ihrem kleinsten Teile der Fall sein -—, kann sie mir von Privaten ausgeübt werden. Hierzu kommt aber noch ein besondrer Vorzug der Privatindustrie: die „Findigkeit" derselben, welche sich besonders in kommerzieller Hinsicht geltend macht, indem sie neue Artikel und Einrichtungen viel besser einzuführen vermag, als es eine Staatsindustrie kann. Bei dieser Gelegenheit möchte ich die Bemerkung einschalten, daß ein eigentlicher feindseliger Gegensatz zwischen Privat- und Staatsindustrie nicht besteht, sondern daß vielmehr beide bestimmt sind, einander zu ergänzen. Die

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/25
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/25>, abgerufen am 28.09.2024.