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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Die niederländische Genre- und Landschaftsmalerei.

dreizehnten und vierzehnten Jahrhundert bekannt war. Nur vervollkommnet
haben die Eycks diese Technik, wie es noch heute große Künstler thun, denen
die Ausdrucksmittel ihrer Vorgänger nicht mehr genügen. Ebensowenig haben
die Schöpfer des Genter Altars den nordische" Realismus "erfunden," sondern
denselben nur zu einer Vollkommenheit entwickelt, welche für alle Zeiten ver¬
ständlich ist. Die Bildnisse der Stifter des Altars, des Patriziers Jodokus
Vhd und seiner Gattin Lisbeth Bnrlnt, sind wahre Wunderwerke der Natur-
nachahmung, welche die Kunst der späteren Jahrhunderte nicht mehr übertreffen
konnte. Wohl vermochte sie das Bildnis einer Person mit einem stärkeren
Nimbus von Vornehmheit zu umgeben, wohl vermochte sie dem Porträt durch
die malerische Behandlung ganz andre, unendlich vielseitige Reize zu verleihen,
aber der Ausdruck unmittelbaren Lebens innerhalb einer schlichten bürgerlichen
Existenz ist niemals mit gleich einfachen Mitteln schlagender wiedergegeben worden
als in dem Bildnisse des Jvdokns Vyd und seiner Ehefrau.

Auf der Hauptdarstellung des aus achtzehn Tafeln bestehenden Altarwerkes
ist es vornehmlich die Landschaft, die uns fesselt, weil sich in ihr wiederum die
treueste Beobachtung der Natur offenbart. In ihrer ganzen Anordnung wird
diese Landschaft schwerlich ein Vorbild in der Natur gehabt haben; aber dafür
ist jedes Detail getreu der Natur nachgebildet worden, die Pflanzen, Gräser
und Blumen im Vordergrunde, die blühenden Rosensträucher, die Gebüsche, das
Weinlaub und die einsame Palme, welche den Horizont weit überragt. Jan
van Eyck war im Süden, in Portugal, gewesen und hatte dort eine herrlichere
Natur mit Orangen-, Mhrthen- und Lorberbäumen kennen gelernt, die ihm
würdig zu sein schien, den Hintergrund für die bedeutungsvolle Anbetung des
heiligen Lammes abzugeben. Auf den vier Seitenflügeln, welche diese Dar¬
stellung fortsetzen, sind die Produkte eines glücklicheren Klimas noch reicher ver¬
wertet. Aber die Bauwerke, welche in diese südliche Landschaft versetzt sind,
die hohen, spitzen Kirchthürme und die viereckigen, grnndgewaltigen, mit zier¬
lichen, spitzen Eckthürmen besetzten Besfrois, die Wacht-, Thor- und Mauerthürme,
diese Bauten haben ein echt flandrisches Gepräge. Und wenn man das üppige
Thal mit seinen nackten, schroff emporsteigenden, aber oben von Buschwerk ge¬
krönten Felsenwänden, durch welches die Streiter Christi und die gerechten Richter
cinherreiten, näher ins Auge faßt, so wird schon der flüchtige Tourist, welcher
einmal mit der Eisenbahn von der deutschen Grenze über Verviers nach Lüttich
und Maestricht gefahren ist, auf die Verwandtschaft aufmerksam, welche zwischen
dieser den Schienenweg auf beiden Seiten begleitenden Thal- und Flnßland-
schaft und den Hintergründen der Eyckschen Gemälde besteht. Das ist nichts
auffallendes. Denn das Maasthal war die Wiege der Ehckschen Kunst und
somit auch die Wiege der nationalen Landschnftsmalerei. In Dinant an der
Maas, wo die malerischen Felsbildungen sich in besonders ausgeprägter Form
zeigen, wo die Häuser der einzigen Straße nur mit Mühe einen Platz zwischen


Die niederländische Genre- und Landschaftsmalerei.

dreizehnten und vierzehnten Jahrhundert bekannt war. Nur vervollkommnet
haben die Eycks diese Technik, wie es noch heute große Künstler thun, denen
die Ausdrucksmittel ihrer Vorgänger nicht mehr genügen. Ebensowenig haben
die Schöpfer des Genter Altars den nordische» Realismus „erfunden," sondern
denselben nur zu einer Vollkommenheit entwickelt, welche für alle Zeiten ver¬
ständlich ist. Die Bildnisse der Stifter des Altars, des Patriziers Jodokus
Vhd und seiner Gattin Lisbeth Bnrlnt, sind wahre Wunderwerke der Natur-
nachahmung, welche die Kunst der späteren Jahrhunderte nicht mehr übertreffen
konnte. Wohl vermochte sie das Bildnis einer Person mit einem stärkeren
Nimbus von Vornehmheit zu umgeben, wohl vermochte sie dem Porträt durch
die malerische Behandlung ganz andre, unendlich vielseitige Reize zu verleihen,
aber der Ausdruck unmittelbaren Lebens innerhalb einer schlichten bürgerlichen
Existenz ist niemals mit gleich einfachen Mitteln schlagender wiedergegeben worden
als in dem Bildnisse des Jvdokns Vyd und seiner Ehefrau.

Auf der Hauptdarstellung des aus achtzehn Tafeln bestehenden Altarwerkes
ist es vornehmlich die Landschaft, die uns fesselt, weil sich in ihr wiederum die
treueste Beobachtung der Natur offenbart. In ihrer ganzen Anordnung wird
diese Landschaft schwerlich ein Vorbild in der Natur gehabt haben; aber dafür
ist jedes Detail getreu der Natur nachgebildet worden, die Pflanzen, Gräser
und Blumen im Vordergrunde, die blühenden Rosensträucher, die Gebüsche, das
Weinlaub und die einsame Palme, welche den Horizont weit überragt. Jan
van Eyck war im Süden, in Portugal, gewesen und hatte dort eine herrlichere
Natur mit Orangen-, Mhrthen- und Lorberbäumen kennen gelernt, die ihm
würdig zu sein schien, den Hintergrund für die bedeutungsvolle Anbetung des
heiligen Lammes abzugeben. Auf den vier Seitenflügeln, welche diese Dar¬
stellung fortsetzen, sind die Produkte eines glücklicheren Klimas noch reicher ver¬
wertet. Aber die Bauwerke, welche in diese südliche Landschaft versetzt sind,
die hohen, spitzen Kirchthürme und die viereckigen, grnndgewaltigen, mit zier¬
lichen, spitzen Eckthürmen besetzten Besfrois, die Wacht-, Thor- und Mauerthürme,
diese Bauten haben ein echt flandrisches Gepräge. Und wenn man das üppige
Thal mit seinen nackten, schroff emporsteigenden, aber oben von Buschwerk ge¬
krönten Felsenwänden, durch welches die Streiter Christi und die gerechten Richter
cinherreiten, näher ins Auge faßt, so wird schon der flüchtige Tourist, welcher
einmal mit der Eisenbahn von der deutschen Grenze über Verviers nach Lüttich
und Maestricht gefahren ist, auf die Verwandtschaft aufmerksam, welche zwischen
dieser den Schienenweg auf beiden Seiten begleitenden Thal- und Flnßland-
schaft und den Hintergründen der Eyckschen Gemälde besteht. Das ist nichts
auffallendes. Denn das Maasthal war die Wiege der Ehckschen Kunst und
somit auch die Wiege der nationalen Landschnftsmalerei. In Dinant an der
Maas, wo die malerischen Felsbildungen sich in besonders ausgeprägter Form
zeigen, wo die Häuser der einzigen Straße nur mit Mühe einen Platz zwischen


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[0247] Die niederländische Genre- und Landschaftsmalerei. dreizehnten und vierzehnten Jahrhundert bekannt war. Nur vervollkommnet haben die Eycks diese Technik, wie es noch heute große Künstler thun, denen die Ausdrucksmittel ihrer Vorgänger nicht mehr genügen. Ebensowenig haben die Schöpfer des Genter Altars den nordische» Realismus „erfunden," sondern denselben nur zu einer Vollkommenheit entwickelt, welche für alle Zeiten ver¬ ständlich ist. Die Bildnisse der Stifter des Altars, des Patriziers Jodokus Vhd und seiner Gattin Lisbeth Bnrlnt, sind wahre Wunderwerke der Natur- nachahmung, welche die Kunst der späteren Jahrhunderte nicht mehr übertreffen konnte. Wohl vermochte sie das Bildnis einer Person mit einem stärkeren Nimbus von Vornehmheit zu umgeben, wohl vermochte sie dem Porträt durch die malerische Behandlung ganz andre, unendlich vielseitige Reize zu verleihen, aber der Ausdruck unmittelbaren Lebens innerhalb einer schlichten bürgerlichen Existenz ist niemals mit gleich einfachen Mitteln schlagender wiedergegeben worden als in dem Bildnisse des Jvdokns Vyd und seiner Ehefrau. Auf der Hauptdarstellung des aus achtzehn Tafeln bestehenden Altarwerkes ist es vornehmlich die Landschaft, die uns fesselt, weil sich in ihr wiederum die treueste Beobachtung der Natur offenbart. In ihrer ganzen Anordnung wird diese Landschaft schwerlich ein Vorbild in der Natur gehabt haben; aber dafür ist jedes Detail getreu der Natur nachgebildet worden, die Pflanzen, Gräser und Blumen im Vordergrunde, die blühenden Rosensträucher, die Gebüsche, das Weinlaub und die einsame Palme, welche den Horizont weit überragt. Jan van Eyck war im Süden, in Portugal, gewesen und hatte dort eine herrlichere Natur mit Orangen-, Mhrthen- und Lorberbäumen kennen gelernt, die ihm würdig zu sein schien, den Hintergrund für die bedeutungsvolle Anbetung des heiligen Lammes abzugeben. Auf den vier Seitenflügeln, welche diese Dar¬ stellung fortsetzen, sind die Produkte eines glücklicheren Klimas noch reicher ver¬ wertet. Aber die Bauwerke, welche in diese südliche Landschaft versetzt sind, die hohen, spitzen Kirchthürme und die viereckigen, grnndgewaltigen, mit zier¬ lichen, spitzen Eckthürmen besetzten Besfrois, die Wacht-, Thor- und Mauerthürme, diese Bauten haben ein echt flandrisches Gepräge. Und wenn man das üppige Thal mit seinen nackten, schroff emporsteigenden, aber oben von Buschwerk ge¬ krönten Felsenwänden, durch welches die Streiter Christi und die gerechten Richter cinherreiten, näher ins Auge faßt, so wird schon der flüchtige Tourist, welcher einmal mit der Eisenbahn von der deutschen Grenze über Verviers nach Lüttich und Maestricht gefahren ist, auf die Verwandtschaft aufmerksam, welche zwischen dieser den Schienenweg auf beiden Seiten begleitenden Thal- und Flnßland- schaft und den Hintergründen der Eyckschen Gemälde besteht. Das ist nichts auffallendes. Denn das Maasthal war die Wiege der Ehckschen Kunst und somit auch die Wiege der nationalen Landschnftsmalerei. In Dinant an der Maas, wo die malerischen Felsbildungen sich in besonders ausgeprägter Form zeigen, wo die Häuser der einzigen Straße nur mit Mühe einen Platz zwischen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/247>, abgerufen am 04.07.2024.