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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Lari von Noorden,

das Übrige die Frucht einer augenblicklichen Eingebung gewesen wäre. Es gründete
sich auf eine sorgsame Vorbereitung, auf eine energische Gedankenarbeit, Nicht in
behaglicher Breite floß darum der Strom seiner Erzählung dahin, gedrungen
vielmehr und zielbewußt arbeitete die Darstellung stets einem bestimmten End¬
punkte zu. Die Rede selbst war eilig und erschwerte dem Ungeübten das
Nachschreiben ungemein. In einen Satz womöglich sollte ein ganzer Gedanken-
gang zusammengepreßt werden. Lange Perioden bildeten darum ein Haupt¬
merkmal des Noordenschen Vortrage?. "Aus innerer Erregung heraus,"
selbst von seinem Gegenstände gepackt, mit gehobener Stimme und in getragenem
Stil sprach er -- alles unnütze rhetorische Beiwerk verschmähend -- mit jener
eindringlichen Energie, mit jener überzeugungsvollen Wucht, die ihre Wirkung
ans die empfängliche" Gemüter seiner Hörer nicht verfehlte.

Einen Hauptreiz der Noordenschen Vorlesungen für die Mehrzahl seiner
Zuhörer bildeten die Charakteristiken, Er selbst legte gerade ans sie einen
besonderen Nachdruck. Seiner Natur war von jeher eine kräftige Beimischung
künstlerischen Hanges und Sinnes eigen. Wie er einst im Ernst hatte daran
denken können, sich ganz der Musik zu widmen, wie er in einer freischöpferischcu
Nachdichtung der Eddasage von Helgi seine poetische Ader erprobt hatte, so
blieb auch in späteren Jahren dem Gelehrten die Künstlernatur vermählt.
Wesentlich ein künstlerisches Versenken war es, aus dem seine vielbewunderten
Charakterschilderungen hervorgingen. Jedem Leser seiner "Europäischen Geschichte"
sind die Bilder eines Wilhelm von Oranien und Auto" Heinsius, eines Marl-
borough und Boliugbroke, eines Ludwig XIV. und einer Maintenou unvergeßlich.
Kann man sie als wahre Kabinetsstücke des historischen Porträts bezeichnen,
so gaben ihnen die Charakterschilderungen der Vorlesungen an plastischer Gegen¬
ständlichkeit nichts nach. Natürlich fehlte diesen das feinere Detail, jenen aus¬
geführten Gemälden treten sie als bloß skizzirte Umrißzcichnungen gegenüber.
Diese" wie jenen aber war in gleicher Weise die Wahrheit und die Lebendigkeit
des Ausdrucks, die Tiefe der Auffassung und die Meisterschaft der Darstellung eigen.

Die Vorlesungen umfaßten nur einen Teil von Noordens akademischer
Wirksamkeit, Der Kreis, der sich im historischen Seminar um ihn versammelte,
war naturgemäß kleiner, umso intensiver aber war die Arbeit des Lrhrers wie
der Schüler, Hier war die Stätte, wo die künftigen Historiker gebildet werden
sollten. Mit welcher Hingabe, ja mit welcher Aufopferung seiner Kräfte und
Hintansetzung seiner eigensten Bequemlichkeit -- der Bequemlichkeit des Hauses --
Noorden sich der Leitung dieses Instituts widmete, das wird lange im dank¬
baren Gedächtnis seiner Schüler fortleben. Um die Förderung der historischen
Seminare auf den deutschen Universitäten hat sich Noorden auch über den
engern Kreis seiner persönlichen Wirksamkeit hinaus dauernd verdient gemacht.
Historische Übungen, in denen ein Professor seine Studenten methodisch mit den
Aufgaben der Geschichtsforschung, den Quellen und ihrer kritischen Benutzung


Lari von Noorden,

das Übrige die Frucht einer augenblicklichen Eingebung gewesen wäre. Es gründete
sich auf eine sorgsame Vorbereitung, auf eine energische Gedankenarbeit, Nicht in
behaglicher Breite floß darum der Strom seiner Erzählung dahin, gedrungen
vielmehr und zielbewußt arbeitete die Darstellung stets einem bestimmten End¬
punkte zu. Die Rede selbst war eilig und erschwerte dem Ungeübten das
Nachschreiben ungemein. In einen Satz womöglich sollte ein ganzer Gedanken-
gang zusammengepreßt werden. Lange Perioden bildeten darum ein Haupt¬
merkmal des Noordenschen Vortrage?. „Aus innerer Erregung heraus,"
selbst von seinem Gegenstände gepackt, mit gehobener Stimme und in getragenem
Stil sprach er — alles unnütze rhetorische Beiwerk verschmähend — mit jener
eindringlichen Energie, mit jener überzeugungsvollen Wucht, die ihre Wirkung
ans die empfängliche» Gemüter seiner Hörer nicht verfehlte.

Einen Hauptreiz der Noordenschen Vorlesungen für die Mehrzahl seiner
Zuhörer bildeten die Charakteristiken, Er selbst legte gerade ans sie einen
besonderen Nachdruck. Seiner Natur war von jeher eine kräftige Beimischung
künstlerischen Hanges und Sinnes eigen. Wie er einst im Ernst hatte daran
denken können, sich ganz der Musik zu widmen, wie er in einer freischöpferischcu
Nachdichtung der Eddasage von Helgi seine poetische Ader erprobt hatte, so
blieb auch in späteren Jahren dem Gelehrten die Künstlernatur vermählt.
Wesentlich ein künstlerisches Versenken war es, aus dem seine vielbewunderten
Charakterschilderungen hervorgingen. Jedem Leser seiner „Europäischen Geschichte"
sind die Bilder eines Wilhelm von Oranien und Auto» Heinsius, eines Marl-
borough und Boliugbroke, eines Ludwig XIV. und einer Maintenou unvergeßlich.
Kann man sie als wahre Kabinetsstücke des historischen Porträts bezeichnen,
so gaben ihnen die Charakterschilderungen der Vorlesungen an plastischer Gegen¬
ständlichkeit nichts nach. Natürlich fehlte diesen das feinere Detail, jenen aus¬
geführten Gemälden treten sie als bloß skizzirte Umrißzcichnungen gegenüber.
Diese» wie jenen aber war in gleicher Weise die Wahrheit und die Lebendigkeit
des Ausdrucks, die Tiefe der Auffassung und die Meisterschaft der Darstellung eigen.

Die Vorlesungen umfaßten nur einen Teil von Noordens akademischer
Wirksamkeit, Der Kreis, der sich im historischen Seminar um ihn versammelte,
war naturgemäß kleiner, umso intensiver aber war die Arbeit des Lrhrers wie
der Schüler, Hier war die Stätte, wo die künftigen Historiker gebildet werden
sollten. Mit welcher Hingabe, ja mit welcher Aufopferung seiner Kräfte und
Hintansetzung seiner eigensten Bequemlichkeit — der Bequemlichkeit des Hauses —
Noorden sich der Leitung dieses Instituts widmete, das wird lange im dank¬
baren Gedächtnis seiner Schüler fortleben. Um die Förderung der historischen
Seminare auf den deutschen Universitäten hat sich Noorden auch über den
engern Kreis seiner persönlichen Wirksamkeit hinaus dauernd verdient gemacht.
Historische Übungen, in denen ein Professor seine Studenten methodisch mit den
Aufgaben der Geschichtsforschung, den Quellen und ihrer kritischen Benutzung


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[0237] Lari von Noorden, das Übrige die Frucht einer augenblicklichen Eingebung gewesen wäre. Es gründete sich auf eine sorgsame Vorbereitung, auf eine energische Gedankenarbeit, Nicht in behaglicher Breite floß darum der Strom seiner Erzählung dahin, gedrungen vielmehr und zielbewußt arbeitete die Darstellung stets einem bestimmten End¬ punkte zu. Die Rede selbst war eilig und erschwerte dem Ungeübten das Nachschreiben ungemein. In einen Satz womöglich sollte ein ganzer Gedanken- gang zusammengepreßt werden. Lange Perioden bildeten darum ein Haupt¬ merkmal des Noordenschen Vortrage?. „Aus innerer Erregung heraus," selbst von seinem Gegenstände gepackt, mit gehobener Stimme und in getragenem Stil sprach er — alles unnütze rhetorische Beiwerk verschmähend — mit jener eindringlichen Energie, mit jener überzeugungsvollen Wucht, die ihre Wirkung ans die empfängliche» Gemüter seiner Hörer nicht verfehlte. Einen Hauptreiz der Noordenschen Vorlesungen für die Mehrzahl seiner Zuhörer bildeten die Charakteristiken, Er selbst legte gerade ans sie einen besonderen Nachdruck. Seiner Natur war von jeher eine kräftige Beimischung künstlerischen Hanges und Sinnes eigen. Wie er einst im Ernst hatte daran denken können, sich ganz der Musik zu widmen, wie er in einer freischöpferischcu Nachdichtung der Eddasage von Helgi seine poetische Ader erprobt hatte, so blieb auch in späteren Jahren dem Gelehrten die Künstlernatur vermählt. Wesentlich ein künstlerisches Versenken war es, aus dem seine vielbewunderten Charakterschilderungen hervorgingen. Jedem Leser seiner „Europäischen Geschichte" sind die Bilder eines Wilhelm von Oranien und Auto» Heinsius, eines Marl- borough und Boliugbroke, eines Ludwig XIV. und einer Maintenou unvergeßlich. Kann man sie als wahre Kabinetsstücke des historischen Porträts bezeichnen, so gaben ihnen die Charakterschilderungen der Vorlesungen an plastischer Gegen¬ ständlichkeit nichts nach. Natürlich fehlte diesen das feinere Detail, jenen aus¬ geführten Gemälden treten sie als bloß skizzirte Umrißzcichnungen gegenüber. Diese» wie jenen aber war in gleicher Weise die Wahrheit und die Lebendigkeit des Ausdrucks, die Tiefe der Auffassung und die Meisterschaft der Darstellung eigen. Die Vorlesungen umfaßten nur einen Teil von Noordens akademischer Wirksamkeit, Der Kreis, der sich im historischen Seminar um ihn versammelte, war naturgemäß kleiner, umso intensiver aber war die Arbeit des Lrhrers wie der Schüler, Hier war die Stätte, wo die künftigen Historiker gebildet werden sollten. Mit welcher Hingabe, ja mit welcher Aufopferung seiner Kräfte und Hintansetzung seiner eigensten Bequemlichkeit — der Bequemlichkeit des Hauses — Noorden sich der Leitung dieses Instituts widmete, das wird lange im dank¬ baren Gedächtnis seiner Schüler fortleben. Um die Förderung der historischen Seminare auf den deutschen Universitäten hat sich Noorden auch über den engern Kreis seiner persönlichen Wirksamkeit hinaus dauernd verdient gemacht. Historische Übungen, in denen ein Professor seine Studenten methodisch mit den Aufgaben der Geschichtsforschung, den Quellen und ihrer kritischen Benutzung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/237>, abgerufen am 02.10.2024.