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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Die ägyptische Krisis.

förderlich gewordene Maßregel hin- und herstritten, bis daran sich ein großer
Krieg entzündete.

Selbst die jetzige Verlegenheit im Sudan läßt sich auf die Einmischung
der Westmächte, besonders Frankreichs, zurückführen. Hätte man Ismail Pascha
die Vollendung der Eisenbahn nach dem Sudan gestattet, so würde jetzt eine
bequeme Straße aus Ägypten nach jenem weiten Gebiete vorhanden sei". Jetzt
machen Waaren auf ihrem Wege von Chartum nach Kairo nicht weniger als
fünf Umladungen durch: zuerst gehen sie von Chartum bis Ahnt Hammed auf
Nilbooten, dann auf den Rücken von Kamelen nach Korosko, darauf wieder zu
Wasser bis zum zweiten Katarakt, von da wieder auf Kamelen nach Assuan
und zuletzt nilabwärts nach Bulak, dem Hafen Kairos. Die beabsichtigte Eisen¬
bahn von Wady Halfa am zweiten Katarakt nach Chartum würde viel Mühe
und viel Aufwand an Zeit und Geld erspart haben; aber der Druck der Staats¬
gläubiger, hinter denen die westmächtliche Diplomatie stand, verhinderte die
Ausführung des Planes Ismails und zwang ihn, ein Werk liegen zu lassen,
welches die Hilfsquellen des Sudan erschlossen, das Land fest an Ägypten ge¬
knüpft und es ihm zehn Tagereisen näher gerückt hätte. Vor kurzem hat Lord
Dufferin in einer Depesche die kürzere Route von Suakin nach Berber em¬
pfohlen, aber für jetzt ruhen alle solche Unternehmungen, und wir wollen hoffen,
daß daraus nicht eine große Niedermetzelung der im Sudan noch befindlichen
Europäer hervorgeht. Eine solche Katastrophe würde einen starken Ausbruch
der Entrüstung über frühere Mißgriffe des Ministeriums Gladstone zur Folge
haben und dessen Dauerhaftigkeit auf eine harte Probe stellen.

"Europa und das ägyptische Volk haben," so schrieb etwa vor Jahresfrist
Lord Dufferin, "das Recht zu verlangen, daß unsre Einmischung eine wohl¬
thätige sei und ihre Ergebnisse Dauer haben, daß sie aller Gefahr zukünftiger
Störungen vorbeuge, und daß sie die Grundsätze der Gerechtigkeit, der Freiheit
und des öffentlichen Wohlergehens festgegründet zurücklasse."

Schöne Gedanken! Aber nun lasse man die Ägypter und die, welche
ihnen in Europa wohlwollen, bald auch dementsprechende Thaten sehen. Es
ging damit bisher recht langsam, auf alle Fälle viel langsamer mit dem Neu¬
bauer, als es mit dem Niederreißen gegangen war.




Die ägyptische Krisis.

förderlich gewordene Maßregel hin- und herstritten, bis daran sich ein großer
Krieg entzündete.

Selbst die jetzige Verlegenheit im Sudan läßt sich auf die Einmischung
der Westmächte, besonders Frankreichs, zurückführen. Hätte man Ismail Pascha
die Vollendung der Eisenbahn nach dem Sudan gestattet, so würde jetzt eine
bequeme Straße aus Ägypten nach jenem weiten Gebiete vorhanden sei». Jetzt
machen Waaren auf ihrem Wege von Chartum nach Kairo nicht weniger als
fünf Umladungen durch: zuerst gehen sie von Chartum bis Ahnt Hammed auf
Nilbooten, dann auf den Rücken von Kamelen nach Korosko, darauf wieder zu
Wasser bis zum zweiten Katarakt, von da wieder auf Kamelen nach Assuan
und zuletzt nilabwärts nach Bulak, dem Hafen Kairos. Die beabsichtigte Eisen¬
bahn von Wady Halfa am zweiten Katarakt nach Chartum würde viel Mühe
und viel Aufwand an Zeit und Geld erspart haben; aber der Druck der Staats¬
gläubiger, hinter denen die westmächtliche Diplomatie stand, verhinderte die
Ausführung des Planes Ismails und zwang ihn, ein Werk liegen zu lassen,
welches die Hilfsquellen des Sudan erschlossen, das Land fest an Ägypten ge¬
knüpft und es ihm zehn Tagereisen näher gerückt hätte. Vor kurzem hat Lord
Dufferin in einer Depesche die kürzere Route von Suakin nach Berber em¬
pfohlen, aber für jetzt ruhen alle solche Unternehmungen, und wir wollen hoffen,
daß daraus nicht eine große Niedermetzelung der im Sudan noch befindlichen
Europäer hervorgeht. Eine solche Katastrophe würde einen starken Ausbruch
der Entrüstung über frühere Mißgriffe des Ministeriums Gladstone zur Folge
haben und dessen Dauerhaftigkeit auf eine harte Probe stellen.

„Europa und das ägyptische Volk haben," so schrieb etwa vor Jahresfrist
Lord Dufferin, „das Recht zu verlangen, daß unsre Einmischung eine wohl¬
thätige sei und ihre Ergebnisse Dauer haben, daß sie aller Gefahr zukünftiger
Störungen vorbeuge, und daß sie die Grundsätze der Gerechtigkeit, der Freiheit
und des öffentlichen Wohlergehens festgegründet zurücklasse."

Schöne Gedanken! Aber nun lasse man die Ägypter und die, welche
ihnen in Europa wohlwollen, bald auch dementsprechende Thaten sehen. Es
ging damit bisher recht langsam, auf alle Fälle viel langsamer mit dem Neu¬
bauer, als es mit dem Niederreißen gegangen war.




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[0232] Die ägyptische Krisis. förderlich gewordene Maßregel hin- und herstritten, bis daran sich ein großer Krieg entzündete. Selbst die jetzige Verlegenheit im Sudan läßt sich auf die Einmischung der Westmächte, besonders Frankreichs, zurückführen. Hätte man Ismail Pascha die Vollendung der Eisenbahn nach dem Sudan gestattet, so würde jetzt eine bequeme Straße aus Ägypten nach jenem weiten Gebiete vorhanden sei». Jetzt machen Waaren auf ihrem Wege von Chartum nach Kairo nicht weniger als fünf Umladungen durch: zuerst gehen sie von Chartum bis Ahnt Hammed auf Nilbooten, dann auf den Rücken von Kamelen nach Korosko, darauf wieder zu Wasser bis zum zweiten Katarakt, von da wieder auf Kamelen nach Assuan und zuletzt nilabwärts nach Bulak, dem Hafen Kairos. Die beabsichtigte Eisen¬ bahn von Wady Halfa am zweiten Katarakt nach Chartum würde viel Mühe und viel Aufwand an Zeit und Geld erspart haben; aber der Druck der Staats¬ gläubiger, hinter denen die westmächtliche Diplomatie stand, verhinderte die Ausführung des Planes Ismails und zwang ihn, ein Werk liegen zu lassen, welches die Hilfsquellen des Sudan erschlossen, das Land fest an Ägypten ge¬ knüpft und es ihm zehn Tagereisen näher gerückt hätte. Vor kurzem hat Lord Dufferin in einer Depesche die kürzere Route von Suakin nach Berber em¬ pfohlen, aber für jetzt ruhen alle solche Unternehmungen, und wir wollen hoffen, daß daraus nicht eine große Niedermetzelung der im Sudan noch befindlichen Europäer hervorgeht. Eine solche Katastrophe würde einen starken Ausbruch der Entrüstung über frühere Mißgriffe des Ministeriums Gladstone zur Folge haben und dessen Dauerhaftigkeit auf eine harte Probe stellen. „Europa und das ägyptische Volk haben," so schrieb etwa vor Jahresfrist Lord Dufferin, „das Recht zu verlangen, daß unsre Einmischung eine wohl¬ thätige sei und ihre Ergebnisse Dauer haben, daß sie aller Gefahr zukünftiger Störungen vorbeuge, und daß sie die Grundsätze der Gerechtigkeit, der Freiheit und des öffentlichen Wohlergehens festgegründet zurücklasse." Schöne Gedanken! Aber nun lasse man die Ägypter und die, welche ihnen in Europa wohlwollen, bald auch dementsprechende Thaten sehen. Es ging damit bisher recht langsam, auf alle Fälle viel langsamer mit dem Neu¬ bauer, als es mit dem Niederreißen gegangen war.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/232>, abgerufen am 24.08.2024.