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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Die ägyptische Krisis.

dafür zu büßen. Wir haben uns Ägyptens bemächtigt, aber es ist ein Land,
das mit einer schweren, wenn mich nicht unerträglichen Staatsschuld be¬
laden ist."

Leroy Beaulieu, welcher zwar für Frankreich das Wort nimmt, aber das
Recht Englands, Ägypten zu anncktiren anerkennt, fügt hinzu: "Es müssen in
Betreff der Gläubiger Ägyptens Vorkehrungen getroffen werden. England wird
dabei vielleicht Abänderungen des Bisherigen verlangen. Dies muß Frankreich
zurückweisen. Wenn England die Übereinkünfte über die ägyptischen Schulden
irgendwie anders gestaltet zu sehen wünscht, so möge es thun, was Frankreich
in Tunis zu thun im Begriffe steht, so möge es die Schulden zurückkaufen
"ut die Verwaltung derselben übernehmen. Hinausgedrängt aus jenem reichen
Lande, darf Frankreich nicht auch noch gestatten, daß die Rechte von Franzosen
dort geschmälert werden."

Diese Gleichstellung Ägyptens mit Tunis sieht wie ein Scherz aus. Die
Schuld vou Tunis ist unbedeutend, die von Ägypten ungeheuer. Der Grund¬
gedanke des französischen Publizisten aber ist richtig. England befindet sich im
Besitz Ägyptens und ist für den Gang vou dessen Verwaltung verantwortlich.
Es kaun nicht einerseits die letztere überwachen und bestimmen und andrerseits
die Verantwortlichkeit für das Thun und Lassen der nominell am Staatsruder
stehenden eingebornen Minister von sich weisen. Diese Minister sind ja in
Wirklichkeit an der Lenkung des Staatsschiffes so wenig beteiligt wie bei einem
gewöhnlichen Schiffe Kapitän und Steuermann, wenn der Lotse an Bord ist.
England ist verpflichtet, die ägyptischen Finanzen so zu regeln, daß die gerechten
und billigen Ansprüche der ausländischen Staatsgläubiger nicht geschädigt und
geschmälert werden, und was in diesem Falle gerecht und billig ist, werden die
Herren Edgar Vincent und Blum Pascha zu entscheiden haben.

Die geschilderten Sünden waren nicht die einzigen, deren sich die dualistische
Kontrole schuldig machte. Dieselbe war auch Ursache der gemeinschaftlichen
Note, die im Januar 1882 so viel Aufregung hervorrief und, weil man ihr
nicht ohne Vorzug Folge gab, bald der Mißachtung verfiel. Dies führte zu
jenen Verzögerungen des Einschreitens, die Arabi erlaubten, seine Stellung zu
befestigen, und lähmte den Westen, wo vereintes und entschlossenes Handeln die
Notwendigkeit, Krieg zu führen, abgewendet haben würde. Der Aufstand der
Nationalpartei lind alles, was ihm folgte, waren die unmittelbaren Ergebnisse
der schlecht gefügten Vereinigung Englands und Frankreichs. Glücklicherweise
erwachte noch zu rechter Zeit in Frankreich die Furcht vor weiteren Schritten
in der Sache (eine, beiläufig gesagt, ganz unbegründete Furcht vor argen Ab¬
sichten der deutschen Politik), sonst würden wir jetzt in Ägypten ein Schauspiel
vor uns haben, ähnlich demjenigen, welches in den Jahren 1864 bis 1866 sich
in Schleswig-Holstein abspielte: ein Land besetzt von zwei Garnisonen, über
welches zwei Ministerien des Auswärtigen verhandelten und sich über jede er-


Die ägyptische Krisis.

dafür zu büßen. Wir haben uns Ägyptens bemächtigt, aber es ist ein Land,
das mit einer schweren, wenn mich nicht unerträglichen Staatsschuld be¬
laden ist."

Leroy Beaulieu, welcher zwar für Frankreich das Wort nimmt, aber das
Recht Englands, Ägypten zu anncktiren anerkennt, fügt hinzu: „Es müssen in
Betreff der Gläubiger Ägyptens Vorkehrungen getroffen werden. England wird
dabei vielleicht Abänderungen des Bisherigen verlangen. Dies muß Frankreich
zurückweisen. Wenn England die Übereinkünfte über die ägyptischen Schulden
irgendwie anders gestaltet zu sehen wünscht, so möge es thun, was Frankreich
in Tunis zu thun im Begriffe steht, so möge es die Schulden zurückkaufen
»ut die Verwaltung derselben übernehmen. Hinausgedrängt aus jenem reichen
Lande, darf Frankreich nicht auch noch gestatten, daß die Rechte von Franzosen
dort geschmälert werden."

Diese Gleichstellung Ägyptens mit Tunis sieht wie ein Scherz aus. Die
Schuld vou Tunis ist unbedeutend, die von Ägypten ungeheuer. Der Grund¬
gedanke des französischen Publizisten aber ist richtig. England befindet sich im
Besitz Ägyptens und ist für den Gang vou dessen Verwaltung verantwortlich.
Es kaun nicht einerseits die letztere überwachen und bestimmen und andrerseits
die Verantwortlichkeit für das Thun und Lassen der nominell am Staatsruder
stehenden eingebornen Minister von sich weisen. Diese Minister sind ja in
Wirklichkeit an der Lenkung des Staatsschiffes so wenig beteiligt wie bei einem
gewöhnlichen Schiffe Kapitän und Steuermann, wenn der Lotse an Bord ist.
England ist verpflichtet, die ägyptischen Finanzen so zu regeln, daß die gerechten
und billigen Ansprüche der ausländischen Staatsgläubiger nicht geschädigt und
geschmälert werden, und was in diesem Falle gerecht und billig ist, werden die
Herren Edgar Vincent und Blum Pascha zu entscheiden haben.

Die geschilderten Sünden waren nicht die einzigen, deren sich die dualistische
Kontrole schuldig machte. Dieselbe war auch Ursache der gemeinschaftlichen
Note, die im Januar 1882 so viel Aufregung hervorrief und, weil man ihr
nicht ohne Vorzug Folge gab, bald der Mißachtung verfiel. Dies führte zu
jenen Verzögerungen des Einschreitens, die Arabi erlaubten, seine Stellung zu
befestigen, und lähmte den Westen, wo vereintes und entschlossenes Handeln die
Notwendigkeit, Krieg zu führen, abgewendet haben würde. Der Aufstand der
Nationalpartei lind alles, was ihm folgte, waren die unmittelbaren Ergebnisse
der schlecht gefügten Vereinigung Englands und Frankreichs. Glücklicherweise
erwachte noch zu rechter Zeit in Frankreich die Furcht vor weiteren Schritten
in der Sache (eine, beiläufig gesagt, ganz unbegründete Furcht vor argen Ab¬
sichten der deutschen Politik), sonst würden wir jetzt in Ägypten ein Schauspiel
vor uns haben, ähnlich demjenigen, welches in den Jahren 1864 bis 1866 sich
in Schleswig-Holstein abspielte: ein Land besetzt von zwei Garnisonen, über
welches zwei Ministerien des Auswärtigen verhandelten und sich über jede er-


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[0231] Die ägyptische Krisis. dafür zu büßen. Wir haben uns Ägyptens bemächtigt, aber es ist ein Land, das mit einer schweren, wenn mich nicht unerträglichen Staatsschuld be¬ laden ist." Leroy Beaulieu, welcher zwar für Frankreich das Wort nimmt, aber das Recht Englands, Ägypten zu anncktiren anerkennt, fügt hinzu: „Es müssen in Betreff der Gläubiger Ägyptens Vorkehrungen getroffen werden. England wird dabei vielleicht Abänderungen des Bisherigen verlangen. Dies muß Frankreich zurückweisen. Wenn England die Übereinkünfte über die ägyptischen Schulden irgendwie anders gestaltet zu sehen wünscht, so möge es thun, was Frankreich in Tunis zu thun im Begriffe steht, so möge es die Schulden zurückkaufen »ut die Verwaltung derselben übernehmen. Hinausgedrängt aus jenem reichen Lande, darf Frankreich nicht auch noch gestatten, daß die Rechte von Franzosen dort geschmälert werden." Diese Gleichstellung Ägyptens mit Tunis sieht wie ein Scherz aus. Die Schuld vou Tunis ist unbedeutend, die von Ägypten ungeheuer. Der Grund¬ gedanke des französischen Publizisten aber ist richtig. England befindet sich im Besitz Ägyptens und ist für den Gang vou dessen Verwaltung verantwortlich. Es kaun nicht einerseits die letztere überwachen und bestimmen und andrerseits die Verantwortlichkeit für das Thun und Lassen der nominell am Staatsruder stehenden eingebornen Minister von sich weisen. Diese Minister sind ja in Wirklichkeit an der Lenkung des Staatsschiffes so wenig beteiligt wie bei einem gewöhnlichen Schiffe Kapitän und Steuermann, wenn der Lotse an Bord ist. England ist verpflichtet, die ägyptischen Finanzen so zu regeln, daß die gerechten und billigen Ansprüche der ausländischen Staatsgläubiger nicht geschädigt und geschmälert werden, und was in diesem Falle gerecht und billig ist, werden die Herren Edgar Vincent und Blum Pascha zu entscheiden haben. Die geschilderten Sünden waren nicht die einzigen, deren sich die dualistische Kontrole schuldig machte. Dieselbe war auch Ursache der gemeinschaftlichen Note, die im Januar 1882 so viel Aufregung hervorrief und, weil man ihr nicht ohne Vorzug Folge gab, bald der Mißachtung verfiel. Dies führte zu jenen Verzögerungen des Einschreitens, die Arabi erlaubten, seine Stellung zu befestigen, und lähmte den Westen, wo vereintes und entschlossenes Handeln die Notwendigkeit, Krieg zu führen, abgewendet haben würde. Der Aufstand der Nationalpartei lind alles, was ihm folgte, waren die unmittelbaren Ergebnisse der schlecht gefügten Vereinigung Englands und Frankreichs. Glücklicherweise erwachte noch zu rechter Zeit in Frankreich die Furcht vor weiteren Schritten in der Sache (eine, beiläufig gesagt, ganz unbegründete Furcht vor argen Ab¬ sichten der deutschen Politik), sonst würden wir jetzt in Ägypten ein Schauspiel vor uns haben, ähnlich demjenigen, welches in den Jahren 1864 bis 1866 sich in Schleswig-Holstein abspielte: ein Land besetzt von zwei Garnisonen, über welches zwei Ministerien des Auswärtigen verhandelten und sich über jede er-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/231>, abgerufen am 24.07.2024.