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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Auf der Leiter des Glücks.

Zügel, denn die Worte der Genngstigten kamen seinem Bewußtsein zurück. Wie
ich schlecht bin? fragte er, und erst jetzt bemerkend, daß die in seinem Arm
Ruhende die Besinnung verloren hatte, verkürzte er den Zügel noch mehr und
brachte das Pferd allmählich in ein minder ungestümes Tempo.

Sein Blut begann sich abzukühlen. Wie ich schlecht bin? wiederholte er.
Hermione, wachen Sie auf! Bin ich schlecht? Will ich nicht im Gegenteil Ihnen
zu Liebe alles opfern? Er zog die Regungslose an seine Brust und beugte sich
über ihre bleichen Lippen. Wachen Sie auf, wache auf, Geliebte! rief er; nimm
das böse Wort zurück! Sage mir, daß auch du fürs ganze Leben mir, einzig
mir gehören willst. Sieh, mein Pferd geht jetzt fast im Schritt. Ich entführe
dich nicht mit Gewalt. Ich küsse dich, damit du erwachest. Ich bin dein Arzt,
dein Freund, dein Beschützer. Schlage die lieben, himmlischen Augen auf! Sage
mir, daß du in meinen Armen gern und frohen Herzens ruhst! Laß mich um
deinetwillen die ganze Welt vergessen, und vergiß mir zu Liebe auch du sie!

Es dauerte lange, ehe die Ohnmächtige nur erst wieder mit den Wimpern
zuckte, und das Pferd hatte das flüchtige Paar tief in den Wald hineingetragen,
bevor dem Prinzen auf seine Fragen Antwort wurde. Besorgt um den unheim¬
lichen Zustand, in den sein Ungestüm das junge Mädchen versetzt hatte, hielt
der Prinz an einer Quelle an, hob die schöne Bewußtlose behutsam vom Pferde,
legte sie in einer nahen Lichtung auf den Rasen nieder und trug dann in hohler
Hand solange Wasser herbei und netzte damit die Stirn Hermionens, bis endlich
ihre Besinnung zurückkehrte.

Was haben Sie gethan? waren ihre ersten Worte. Hoheit, Sie sind ent¬
setzlich! Wo ist meine Mutter? Wo ist mein Haus? Sie haben kein Recht, mich
gefangen zu halten. Ich will fort. Lassen Sie mich! Zu Hilfe! Zu Hilfe!

Mit Mühe brachte der Prinz sie dahin, ihn ruhig anzuhören. Hermionens
Thränen flössen. Sie wurde sanfter. Sie nahm zurück, was sie über ihn gesagt
hatte. An seinem Arm richtete sie sich auf. Haben Sie mich geküßt? fragte sie
ihn vorwurfsvoll. Sie hatte es noch gestern zu verhindern gewußt. Räuber!
zürnte sie, als er mit neuen Küssen ihr antwortete; Räuber! wiederholte sie,
arger Räuber! Was machen Sie aus mir! Aber es klang schon wie die süßeste
Schmeichelrede.

In Wahrheit: wer Hütte dem Prinzen Ottokar widerstehen können? Selbst
wenn er minder schön gewesen wäre, hätte die sein ganzes Wesen erfüllende
Mischung von Treuherzigkeit und Empfiiidungsüberschwang ihm jedes Herz öffnen
müssen. Er war kein berechnender Don Inca. Alle seine Impulse waren echt,
überwältigten ihn selbst, hatten etwas tropisch Elementares, waren mit der
nämlichen Glut, wie hier auf erotischem Gebiete, oft schon in politischen Krisen
glänzend zum Durchbruch gekommen, hatten ihn längst zum Liebling des ganzen
Landes gemacht. Ihn,, dem Abgott aller, wurde jede Thorheit willig verziehen.
War er nicht die Herzensgüte selbst? Hatte er jemals ein menschliches Wesen


Auf der Leiter des Glücks.

Zügel, denn die Worte der Genngstigten kamen seinem Bewußtsein zurück. Wie
ich schlecht bin? fragte er, und erst jetzt bemerkend, daß die in seinem Arm
Ruhende die Besinnung verloren hatte, verkürzte er den Zügel noch mehr und
brachte das Pferd allmählich in ein minder ungestümes Tempo.

Sein Blut begann sich abzukühlen. Wie ich schlecht bin? wiederholte er.
Hermione, wachen Sie auf! Bin ich schlecht? Will ich nicht im Gegenteil Ihnen
zu Liebe alles opfern? Er zog die Regungslose an seine Brust und beugte sich
über ihre bleichen Lippen. Wachen Sie auf, wache auf, Geliebte! rief er; nimm
das böse Wort zurück! Sage mir, daß auch du fürs ganze Leben mir, einzig
mir gehören willst. Sieh, mein Pferd geht jetzt fast im Schritt. Ich entführe
dich nicht mit Gewalt. Ich küsse dich, damit du erwachest. Ich bin dein Arzt,
dein Freund, dein Beschützer. Schlage die lieben, himmlischen Augen auf! Sage
mir, daß du in meinen Armen gern und frohen Herzens ruhst! Laß mich um
deinetwillen die ganze Welt vergessen, und vergiß mir zu Liebe auch du sie!

Es dauerte lange, ehe die Ohnmächtige nur erst wieder mit den Wimpern
zuckte, und das Pferd hatte das flüchtige Paar tief in den Wald hineingetragen,
bevor dem Prinzen auf seine Fragen Antwort wurde. Besorgt um den unheim¬
lichen Zustand, in den sein Ungestüm das junge Mädchen versetzt hatte, hielt
der Prinz an einer Quelle an, hob die schöne Bewußtlose behutsam vom Pferde,
legte sie in einer nahen Lichtung auf den Rasen nieder und trug dann in hohler
Hand solange Wasser herbei und netzte damit die Stirn Hermionens, bis endlich
ihre Besinnung zurückkehrte.

Was haben Sie gethan? waren ihre ersten Worte. Hoheit, Sie sind ent¬
setzlich! Wo ist meine Mutter? Wo ist mein Haus? Sie haben kein Recht, mich
gefangen zu halten. Ich will fort. Lassen Sie mich! Zu Hilfe! Zu Hilfe!

Mit Mühe brachte der Prinz sie dahin, ihn ruhig anzuhören. Hermionens
Thränen flössen. Sie wurde sanfter. Sie nahm zurück, was sie über ihn gesagt
hatte. An seinem Arm richtete sie sich auf. Haben Sie mich geküßt? fragte sie
ihn vorwurfsvoll. Sie hatte es noch gestern zu verhindern gewußt. Räuber!
zürnte sie, als er mit neuen Küssen ihr antwortete; Räuber! wiederholte sie,
arger Räuber! Was machen Sie aus mir! Aber es klang schon wie die süßeste
Schmeichelrede.

In Wahrheit: wer Hütte dem Prinzen Ottokar widerstehen können? Selbst
wenn er minder schön gewesen wäre, hätte die sein ganzes Wesen erfüllende
Mischung von Treuherzigkeit und Empfiiidungsüberschwang ihm jedes Herz öffnen
müssen. Er war kein berechnender Don Inca. Alle seine Impulse waren echt,
überwältigten ihn selbst, hatten etwas tropisch Elementares, waren mit der
nämlichen Glut, wie hier auf erotischem Gebiete, oft schon in politischen Krisen
glänzend zum Durchbruch gekommen, hatten ihn längst zum Liebling des ganzen
Landes gemacht. Ihn,, dem Abgott aller, wurde jede Thorheit willig verziehen.
War er nicht die Herzensgüte selbst? Hatte er jemals ein menschliches Wesen


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[0217] Auf der Leiter des Glücks. Zügel, denn die Worte der Genngstigten kamen seinem Bewußtsein zurück. Wie ich schlecht bin? fragte er, und erst jetzt bemerkend, daß die in seinem Arm Ruhende die Besinnung verloren hatte, verkürzte er den Zügel noch mehr und brachte das Pferd allmählich in ein minder ungestümes Tempo. Sein Blut begann sich abzukühlen. Wie ich schlecht bin? wiederholte er. Hermione, wachen Sie auf! Bin ich schlecht? Will ich nicht im Gegenteil Ihnen zu Liebe alles opfern? Er zog die Regungslose an seine Brust und beugte sich über ihre bleichen Lippen. Wachen Sie auf, wache auf, Geliebte! rief er; nimm das böse Wort zurück! Sage mir, daß auch du fürs ganze Leben mir, einzig mir gehören willst. Sieh, mein Pferd geht jetzt fast im Schritt. Ich entführe dich nicht mit Gewalt. Ich küsse dich, damit du erwachest. Ich bin dein Arzt, dein Freund, dein Beschützer. Schlage die lieben, himmlischen Augen auf! Sage mir, daß du in meinen Armen gern und frohen Herzens ruhst! Laß mich um deinetwillen die ganze Welt vergessen, und vergiß mir zu Liebe auch du sie! Es dauerte lange, ehe die Ohnmächtige nur erst wieder mit den Wimpern zuckte, und das Pferd hatte das flüchtige Paar tief in den Wald hineingetragen, bevor dem Prinzen auf seine Fragen Antwort wurde. Besorgt um den unheim¬ lichen Zustand, in den sein Ungestüm das junge Mädchen versetzt hatte, hielt der Prinz an einer Quelle an, hob die schöne Bewußtlose behutsam vom Pferde, legte sie in einer nahen Lichtung auf den Rasen nieder und trug dann in hohler Hand solange Wasser herbei und netzte damit die Stirn Hermionens, bis endlich ihre Besinnung zurückkehrte. Was haben Sie gethan? waren ihre ersten Worte. Hoheit, Sie sind ent¬ setzlich! Wo ist meine Mutter? Wo ist mein Haus? Sie haben kein Recht, mich gefangen zu halten. Ich will fort. Lassen Sie mich! Zu Hilfe! Zu Hilfe! Mit Mühe brachte der Prinz sie dahin, ihn ruhig anzuhören. Hermionens Thränen flössen. Sie wurde sanfter. Sie nahm zurück, was sie über ihn gesagt hatte. An seinem Arm richtete sie sich auf. Haben Sie mich geküßt? fragte sie ihn vorwurfsvoll. Sie hatte es noch gestern zu verhindern gewußt. Räuber! zürnte sie, als er mit neuen Küssen ihr antwortete; Räuber! wiederholte sie, arger Räuber! Was machen Sie aus mir! Aber es klang schon wie die süßeste Schmeichelrede. In Wahrheit: wer Hütte dem Prinzen Ottokar widerstehen können? Selbst wenn er minder schön gewesen wäre, hätte die sein ganzes Wesen erfüllende Mischung von Treuherzigkeit und Empfiiidungsüberschwang ihm jedes Herz öffnen müssen. Er war kein berechnender Don Inca. Alle seine Impulse waren echt, überwältigten ihn selbst, hatten etwas tropisch Elementares, waren mit der nämlichen Glut, wie hier auf erotischem Gebiete, oft schon in politischen Krisen glänzend zum Durchbruch gekommen, hatten ihn längst zum Liebling des ganzen Landes gemacht. Ihn,, dem Abgott aller, wurde jede Thorheit willig verziehen. War er nicht die Herzensgüte selbst? Hatte er jemals ein menschliches Wesen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/217>, abgerufen am 25.08.2024.