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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Die Westmächte und die ägyptische Krisis.

Staatsmänner können nicht ohne Grund behaupten, daß England kein Recht
habe, seinen Einfluß in Kairo zur Schädigung der Interessen Frankreichs in
Nordafrika zu benutzen. Der Mcchdi ist, weil seine Macht sich auf die Religion
gründet, eine ernste Gefahr für Tunis. Vou jeder Befürchtung eines Angriffs
vonseiten Ägyptens befreit, kaun er oder ein Nachahmer feines Auftretens
die neue Provinz für die Franzosen recht unbequem machen, und diese könnten
dann sagen: "Wenn ihr Engländer den Ägyptern erlaubt hättet, den fälschen
Propheten niederzuwerfen, so würde uns diese Gefahr und diese Ausgabe erspart
geblieben sein." Auch die Pforte muß mit starken Befürchtungen auf den nun
unbehelligt bleibenden Mcchdi blicken. England will eine vttomauische Ein¬
mischung auf ottomcmische Kosten gestatten, aber der Sultan kaun hiergegen
geltend machen, daß, wenn sein Vasall im Sudan sich nach Englands Willen
zurückziehen muß, der Islam dort mit auf den Rücken gebundener rechter Hand
kämpfen wird. Die türkischen Politiker können behaupten, das sei nur ein neues
Glied in der Kette christlicher und besonders englischer Manöver, deren Ägypten
alle seine jetzigen Plagen verdanke. Es waren die Westmächte, welche die
Pforte zwangen, Ismail abzusetzen, eiuen starken Herrscher, der Arabi und den
Mcchdi unschädlich gemacht hätte, ehe sie gefährlich geworden wären. England
trat der Türkei drohend entgegen, als der Sultan Arabi einzuschränken ver¬
suchte. Lord Dufferin wollte 1882 keinen türkischen Soldaten in Ägypten
landen lassen, bevor nicht die englischen Bedingungen angenommen seien. Hätte
man den Einfluß des Kalifen vou Anfang an Ägypten und den Sudan durch-
dringen lassen, so hätte mau Ismail nicht abzusetzen brauchen, Arabi würde
sich nicht empört haben, und der Mcchdi wäre mühelos niedergeschlagen worden.
Diese Anschauung der Türken ist wahr, wenn anch nicht die ganze Wahrheit.
England entschloß sich aus Gründen, die in der Hauptsache auf Gladstones
Vorurteil gegen die Pforte hinausliefen, Ägypten nicht zu erlauben, wieder
türkische Provinz zu werden. Seine Weigerung gegenüber der Absicht des
Sultans, Ägypten zu retten, schließt Pflichten ein. Nachdem es der Pforte
den Weg vertreten, muß es die Verantwortlichkeit selbst übernehmen und Ägypten
schützen, das es so eifersüchtig sich selbst gewahrt hat. Und die Schwierigkeiten
für die Pforte haben hiermit noch kein Ende. Abgesehen davon, daß es an
dem für einen Feldzug nach dem Sudan erforderlichen Gelde fehlt, erhebt sich
die Frage, ob Frankreich ein solches Umsichgreifen der Türken in diesem Teile
Afrikas dulden würde. Seit 1840 war es dessen Bestreben, den Sultan, den
Kalifen von allen durch ihre geographische Lage oder durch die Religion mit
Algerien verknüpften Ländern fernzuhalten, und die halbe Unabhängigkeit
Ägyptens war ursprünglich eine Pariser Erfindung. Würde Frankreich es gern
sehen, wenn die Türkei jetzt einen Teil ihrer früheren Gewalt über das Nil¬
thal wiedererlangte?


Die Westmächte und die ägyptische Krisis.

Staatsmänner können nicht ohne Grund behaupten, daß England kein Recht
habe, seinen Einfluß in Kairo zur Schädigung der Interessen Frankreichs in
Nordafrika zu benutzen. Der Mcchdi ist, weil seine Macht sich auf die Religion
gründet, eine ernste Gefahr für Tunis. Vou jeder Befürchtung eines Angriffs
vonseiten Ägyptens befreit, kaun er oder ein Nachahmer feines Auftretens
die neue Provinz für die Franzosen recht unbequem machen, und diese könnten
dann sagen: „Wenn ihr Engländer den Ägyptern erlaubt hättet, den fälschen
Propheten niederzuwerfen, so würde uns diese Gefahr und diese Ausgabe erspart
geblieben sein." Auch die Pforte muß mit starken Befürchtungen auf den nun
unbehelligt bleibenden Mcchdi blicken. England will eine vttomauische Ein¬
mischung auf ottomcmische Kosten gestatten, aber der Sultan kaun hiergegen
geltend machen, daß, wenn sein Vasall im Sudan sich nach Englands Willen
zurückziehen muß, der Islam dort mit auf den Rücken gebundener rechter Hand
kämpfen wird. Die türkischen Politiker können behaupten, das sei nur ein neues
Glied in der Kette christlicher und besonders englischer Manöver, deren Ägypten
alle seine jetzigen Plagen verdanke. Es waren die Westmächte, welche die
Pforte zwangen, Ismail abzusetzen, eiuen starken Herrscher, der Arabi und den
Mcchdi unschädlich gemacht hätte, ehe sie gefährlich geworden wären. England
trat der Türkei drohend entgegen, als der Sultan Arabi einzuschränken ver¬
suchte. Lord Dufferin wollte 1882 keinen türkischen Soldaten in Ägypten
landen lassen, bevor nicht die englischen Bedingungen angenommen seien. Hätte
man den Einfluß des Kalifen vou Anfang an Ägypten und den Sudan durch-
dringen lassen, so hätte mau Ismail nicht abzusetzen brauchen, Arabi würde
sich nicht empört haben, und der Mcchdi wäre mühelos niedergeschlagen worden.
Diese Anschauung der Türken ist wahr, wenn anch nicht die ganze Wahrheit.
England entschloß sich aus Gründen, die in der Hauptsache auf Gladstones
Vorurteil gegen die Pforte hinausliefen, Ägypten nicht zu erlauben, wieder
türkische Provinz zu werden. Seine Weigerung gegenüber der Absicht des
Sultans, Ägypten zu retten, schließt Pflichten ein. Nachdem es der Pforte
den Weg vertreten, muß es die Verantwortlichkeit selbst übernehmen und Ägypten
schützen, das es so eifersüchtig sich selbst gewahrt hat. Und die Schwierigkeiten
für die Pforte haben hiermit noch kein Ende. Abgesehen davon, daß es an
dem für einen Feldzug nach dem Sudan erforderlichen Gelde fehlt, erhebt sich
die Frage, ob Frankreich ein solches Umsichgreifen der Türken in diesem Teile
Afrikas dulden würde. Seit 1840 war es dessen Bestreben, den Sultan, den
Kalifen von allen durch ihre geographische Lage oder durch die Religion mit
Algerien verknüpften Ländern fernzuhalten, und die halbe Unabhängigkeit
Ägyptens war ursprünglich eine Pariser Erfindung. Würde Frankreich es gern
sehen, wenn die Türkei jetzt einen Teil ihrer früheren Gewalt über das Nil¬
thal wiedererlangte?


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/210>, abgerufen am 24.08.2024.