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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Lin Vorläufer Lassalles.

Eigentum an sich selbst unbegründet sei. Hierauf hat schon mit Recht Stahl
in seiner "Philosophie des Rechts" (3. Auflage, Bd. II. S. 37) hingewiesen.
"Okkupation, Bearbeitung, Erhitzung u. s. w. -- sagt der berühmte Theoretiker
der Autorität --, alles dies sind Erwerbtitcl nur uuter der Voraussetzung und
aus dem Gründe, daß ohne dies und an sich die Notwendigkeit und Gerechtig¬
keit des Eigentums feststeht." Daß diese Notwendigkeit und Gerechtigkeit des
Eigentums besonders begründet werden müsse, dazu die Wissenschaft ge¬
zwungen zu haben, ist das große Verdienst jener sozialistischen Kritik, die mir
übrigens nicht konsequent erscheint. Denn wenn alle das gleiche Recht haben
sollen, so dürfte das Recht der Okkupation nicht anerkannt werden, wenn noch
Boden überhaupt in Überfluß vorhanden ist, sondern nur, wenn Boden von
genau der gleichen Qualität und der gleichen Lage in Bezug auf den Absatzort,
den gemeinsamen Versammlungsort u. s. w. wie das bereits bebaute Land ohne
Schwierigkeit zu erlangen ist. Da dies aber eine Unmöglichkeit ist, so müßte
das Okkupationsrccht vom sozialistischen Standpunkte aus ganz und gar ge¬
leugnet werden.

Aber Weitling sucht mich das Eigentum durch den Hinweis ans seine
schrecklichen Folgen für das Wohl und Wehe der Menschheit zu vernichten.
Selbst wenn wir nun aber anerkennten, daß alles das, was er dem Eigentum
in die Schuhe schiebt, für heute zuträfe, so wäre damit doch noch nicht die
Verwerflichkeit des Eigentums überhaupt bewiesen. Denn sollte auch der von
Weitling ersonnene Sozialstaat wirklich besser sein als der heutige Zustand
-- was wir auf das entschiedenste bestreiten so kann jene Gemeinschaftsfilm
doch immer noch hinter einen reformirten Privateigentumszustande zurückstehen,
welcher überdies noch den Vorzug haben würde, weit rascher und leichter durch¬
geführt werden zu können.

Weitlings Polemik gegen das Privateigentum kennzeichnet sich schon dadurch
als eine unwissenschaftliche, daß sie nie und nirgends zwischen den verschiednen
Eigentumsarten, vor allem nie zwischen dem Eigentum an Produktivmitteln und
demjenigen an Gebrauchsmiiteln unterscheidet. Wenn seine Deduktion einen Sinn
haben soll, so kann sie sich nur gegen jene Eigcntumskategorie richten; denn
da der Genuß individuell ist, so muß immer und ewig auch ein individuelles
Eigentum an den Mitteln zur Befriedigung dieses Genusses, d. h. an den Ge¬
brauchsmitteln koustituirt werden. Das hätte Weitling hervorheben müssen.

Sehen wir indeß -- um alle nnr erdenkliche Objektivität zu üben -- bei
unsrer Kritik seine Angriffe als nur gegen das Eigentum an Produktivmitteln
gerichtet an. Da ergiebt sich denn seine gänzliche Verkennung der Rolle, welche
dasselbe in der Geschichte der Zivilisation gespielt hat und großenteils heute
noch spielt. Jeder, meint unser Sozialist, verwaltet sein Eigentum "zu seinem
eignen Vorteile und also zum Nachteil der Gesellschaft." Er stellt also genau
die entgegengesetzte These auf wie der extreme Individualist. Dieser verschließt


Lin Vorläufer Lassalles.

Eigentum an sich selbst unbegründet sei. Hierauf hat schon mit Recht Stahl
in seiner „Philosophie des Rechts" (3. Auflage, Bd. II. S. 37) hingewiesen.
„Okkupation, Bearbeitung, Erhitzung u. s. w. — sagt der berühmte Theoretiker
der Autorität —, alles dies sind Erwerbtitcl nur uuter der Voraussetzung und
aus dem Gründe, daß ohne dies und an sich die Notwendigkeit und Gerechtig¬
keit des Eigentums feststeht." Daß diese Notwendigkeit und Gerechtigkeit des
Eigentums besonders begründet werden müsse, dazu die Wissenschaft ge¬
zwungen zu haben, ist das große Verdienst jener sozialistischen Kritik, die mir
übrigens nicht konsequent erscheint. Denn wenn alle das gleiche Recht haben
sollen, so dürfte das Recht der Okkupation nicht anerkannt werden, wenn noch
Boden überhaupt in Überfluß vorhanden ist, sondern nur, wenn Boden von
genau der gleichen Qualität und der gleichen Lage in Bezug auf den Absatzort,
den gemeinsamen Versammlungsort u. s. w. wie das bereits bebaute Land ohne
Schwierigkeit zu erlangen ist. Da dies aber eine Unmöglichkeit ist, so müßte
das Okkupationsrccht vom sozialistischen Standpunkte aus ganz und gar ge¬
leugnet werden.

Aber Weitling sucht mich das Eigentum durch den Hinweis ans seine
schrecklichen Folgen für das Wohl und Wehe der Menschheit zu vernichten.
Selbst wenn wir nun aber anerkennten, daß alles das, was er dem Eigentum
in die Schuhe schiebt, für heute zuträfe, so wäre damit doch noch nicht die
Verwerflichkeit des Eigentums überhaupt bewiesen. Denn sollte auch der von
Weitling ersonnene Sozialstaat wirklich besser sein als der heutige Zustand
— was wir auf das entschiedenste bestreiten so kann jene Gemeinschaftsfilm
doch immer noch hinter einen reformirten Privateigentumszustande zurückstehen,
welcher überdies noch den Vorzug haben würde, weit rascher und leichter durch¬
geführt werden zu können.

Weitlings Polemik gegen das Privateigentum kennzeichnet sich schon dadurch
als eine unwissenschaftliche, daß sie nie und nirgends zwischen den verschiednen
Eigentumsarten, vor allem nie zwischen dem Eigentum an Produktivmitteln und
demjenigen an Gebrauchsmiiteln unterscheidet. Wenn seine Deduktion einen Sinn
haben soll, so kann sie sich nur gegen jene Eigcntumskategorie richten; denn
da der Genuß individuell ist, so muß immer und ewig auch ein individuelles
Eigentum an den Mitteln zur Befriedigung dieses Genusses, d. h. an den Ge¬
brauchsmitteln koustituirt werden. Das hätte Weitling hervorheben müssen.

Sehen wir indeß — um alle nnr erdenkliche Objektivität zu üben — bei
unsrer Kritik seine Angriffe als nur gegen das Eigentum an Produktivmitteln
gerichtet an. Da ergiebt sich denn seine gänzliche Verkennung der Rolle, welche
dasselbe in der Geschichte der Zivilisation gespielt hat und großenteils heute
noch spielt. Jeder, meint unser Sozialist, verwaltet sein Eigentum „zu seinem
eignen Vorteile und also zum Nachteil der Gesellschaft." Er stellt also genau
die entgegengesetzte These auf wie der extreme Individualist. Dieser verschließt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/185>, abgerufen am 23.07.2024.