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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Lin Vorläufer Lassalles.

Die Reaktion der fünfziger Jahre hielt es für eine ihrer Hauptaufgaben,
die Arbeitervereine zu unterdrücken. Es wurde dies durch Bundestagsbeschluß
den einzelnen Regierungen ausdrücklich eingeschärft. Und es gelang ihnen umso
vollkommener, ihr Ziel zu erreichen, als sämtliche Leiter der bisherigen sozia¬
listischen Agitation ausnahmslos verbannt waren. Der Versuch, den inter¬
nationalen Kommnnistenbund auch nach Deutschland zu verpflanzen, mißlang
gänzlich. Er führte zu dem bekannten Kölner Kommuuistenprozeß, der mit der
Verurteilung der dabei beteiligten Hauptpersonen endigte.

Aber trotz cilledem glomm der sozialistische Funke fort. Von Weitlings
Schriften zur neuen Lehre bekehrte Arbeiter sind es gewesen, welche die Idee
faßten -- wie Anno 1843 --, einen Arbeiterkongreß zu berufen, und im Ver¬
folg dieser Idee sich an Lassalle wandten. Und nicht nur in dieser Hinsicht
ist die Arbeiterbewegung der vierziger Jahre von Einfluß auf diejenige >der
neuesten Zeit gewesen. Zum Teil haben auch die Führer der ältern Be¬
wegung in die neuere direkt eingegriffen; ich erinnere nur an 5)eß, Engels und
Marx.

So interessant nun die Geschichte des Sozialismus in Deutschland vor
Lassalles Auftreten wäre, so würde sie uns hier doch zu weit führen. Es
genügt auch zu ihrer Kenntnis eine Skizze von dem Leben und den Lehren
Weitlings, des anerkannten kommunistischen Hauptagitators jener Zeit.

Wilhelm Weitling wurde im Jahre 1810 zu Magdeburg geboren. Über
seine Kindheit erzählt er selbst: "Ich wurde als Knabe im bittersten Elend
aufgezogen.... Mein Dasein vergrößerte das mich umgebende Elend, ohne daß
ich es Physisch mitfühlen durfte." Er erlernte das Schneiderhandwerk, und so
finden wir ihn zu Anfang der dreißiger Jahre als Schneidergesellen in Leipzig.
Später begab er sich nach London und von dort nach Paris, wo er wahr¬
scheinlich die kommunistischen Lehren in sich aufgenommen hat. In Paris ver¬
faßte er 1838 seine Erstlingsschrift "Die Menschheit, wie sie ist und sein sollte,"
welche von der dortigen deutsch-republikanischen Partei in 2000 Exemplaren
verbreitet wurde. Die Broschüre erlebte 1840 die zweite Auflage, nachdem sie
schon 1840 ins Ungarische übersetzt worden war. Nach der von Barbes in-
szenirten mißglückter kommunistischen Erneute (vom 12. Mai 1839) ging Weit¬
ling nach der Schweiz, wo er die deutschen Arbeiter zum Kommunismus zu
bekehren suchte. Dort gab er 1841 die erste sozialistische Zeitschrift in deutscher
Sprache heraus, den "Hilferuf an die deutsche Jugend," eine Monatsschrift,
seit 1842 unter dem Titel: "Die junge Generation." Sie mußte wegen der
fortwährenden, ihr von feiten der Schweizer Kantvnsregierungen in den Weg
gelegten Hindernisse öfters den Druckort wechseln und wurde nach einander in
Genf, Bern, Veveh und Langenthal hergestellt. Im ganzen sind von der Zeit¬
schrift (die in 1000 Exemplaren gedruckt wurde) 21 Nummern erschienen. 1842
gab Weitling zu Vevey sein Hauptwerk, die "Garantien der Harmonie und


Grmzbvle" I. 1834. 22
Lin Vorläufer Lassalles.

Die Reaktion der fünfziger Jahre hielt es für eine ihrer Hauptaufgaben,
die Arbeitervereine zu unterdrücken. Es wurde dies durch Bundestagsbeschluß
den einzelnen Regierungen ausdrücklich eingeschärft. Und es gelang ihnen umso
vollkommener, ihr Ziel zu erreichen, als sämtliche Leiter der bisherigen sozia¬
listischen Agitation ausnahmslos verbannt waren. Der Versuch, den inter¬
nationalen Kommnnistenbund auch nach Deutschland zu verpflanzen, mißlang
gänzlich. Er führte zu dem bekannten Kölner Kommuuistenprozeß, der mit der
Verurteilung der dabei beteiligten Hauptpersonen endigte.

Aber trotz cilledem glomm der sozialistische Funke fort. Von Weitlings
Schriften zur neuen Lehre bekehrte Arbeiter sind es gewesen, welche die Idee
faßten — wie Anno 1843 —, einen Arbeiterkongreß zu berufen, und im Ver¬
folg dieser Idee sich an Lassalle wandten. Und nicht nur in dieser Hinsicht
ist die Arbeiterbewegung der vierziger Jahre von Einfluß auf diejenige >der
neuesten Zeit gewesen. Zum Teil haben auch die Führer der ältern Be¬
wegung in die neuere direkt eingegriffen; ich erinnere nur an 5)eß, Engels und
Marx.

So interessant nun die Geschichte des Sozialismus in Deutschland vor
Lassalles Auftreten wäre, so würde sie uns hier doch zu weit führen. Es
genügt auch zu ihrer Kenntnis eine Skizze von dem Leben und den Lehren
Weitlings, des anerkannten kommunistischen Hauptagitators jener Zeit.

Wilhelm Weitling wurde im Jahre 1810 zu Magdeburg geboren. Über
seine Kindheit erzählt er selbst: „Ich wurde als Knabe im bittersten Elend
aufgezogen.... Mein Dasein vergrößerte das mich umgebende Elend, ohne daß
ich es Physisch mitfühlen durfte." Er erlernte das Schneiderhandwerk, und so
finden wir ihn zu Anfang der dreißiger Jahre als Schneidergesellen in Leipzig.
Später begab er sich nach London und von dort nach Paris, wo er wahr¬
scheinlich die kommunistischen Lehren in sich aufgenommen hat. In Paris ver¬
faßte er 1838 seine Erstlingsschrift „Die Menschheit, wie sie ist und sein sollte,"
welche von der dortigen deutsch-republikanischen Partei in 2000 Exemplaren
verbreitet wurde. Die Broschüre erlebte 1840 die zweite Auflage, nachdem sie
schon 1840 ins Ungarische übersetzt worden war. Nach der von Barbes in-
szenirten mißglückter kommunistischen Erneute (vom 12. Mai 1839) ging Weit¬
ling nach der Schweiz, wo er die deutschen Arbeiter zum Kommunismus zu
bekehren suchte. Dort gab er 1841 die erste sozialistische Zeitschrift in deutscher
Sprache heraus, den „Hilferuf an die deutsche Jugend," eine Monatsschrift,
seit 1842 unter dem Titel: „Die junge Generation." Sie mußte wegen der
fortwährenden, ihr von feiten der Schweizer Kantvnsregierungen in den Weg
gelegten Hindernisse öfters den Druckort wechseln und wurde nach einander in
Genf, Bern, Veveh und Langenthal hergestellt. Im ganzen sind von der Zeit¬
schrift (die in 1000 Exemplaren gedruckt wurde) 21 Nummern erschienen. 1842
gab Weitling zu Vevey sein Hauptwerk, die „Garantien der Harmonie und


Grmzbvle» I. 1834. 22
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[0179] Lin Vorläufer Lassalles. Die Reaktion der fünfziger Jahre hielt es für eine ihrer Hauptaufgaben, die Arbeitervereine zu unterdrücken. Es wurde dies durch Bundestagsbeschluß den einzelnen Regierungen ausdrücklich eingeschärft. Und es gelang ihnen umso vollkommener, ihr Ziel zu erreichen, als sämtliche Leiter der bisherigen sozia¬ listischen Agitation ausnahmslos verbannt waren. Der Versuch, den inter¬ nationalen Kommnnistenbund auch nach Deutschland zu verpflanzen, mißlang gänzlich. Er führte zu dem bekannten Kölner Kommuuistenprozeß, der mit der Verurteilung der dabei beteiligten Hauptpersonen endigte. Aber trotz cilledem glomm der sozialistische Funke fort. Von Weitlings Schriften zur neuen Lehre bekehrte Arbeiter sind es gewesen, welche die Idee faßten — wie Anno 1843 —, einen Arbeiterkongreß zu berufen, und im Ver¬ folg dieser Idee sich an Lassalle wandten. Und nicht nur in dieser Hinsicht ist die Arbeiterbewegung der vierziger Jahre von Einfluß auf diejenige >der neuesten Zeit gewesen. Zum Teil haben auch die Führer der ältern Be¬ wegung in die neuere direkt eingegriffen; ich erinnere nur an 5)eß, Engels und Marx. So interessant nun die Geschichte des Sozialismus in Deutschland vor Lassalles Auftreten wäre, so würde sie uns hier doch zu weit führen. Es genügt auch zu ihrer Kenntnis eine Skizze von dem Leben und den Lehren Weitlings, des anerkannten kommunistischen Hauptagitators jener Zeit. Wilhelm Weitling wurde im Jahre 1810 zu Magdeburg geboren. Über seine Kindheit erzählt er selbst: „Ich wurde als Knabe im bittersten Elend aufgezogen.... Mein Dasein vergrößerte das mich umgebende Elend, ohne daß ich es Physisch mitfühlen durfte." Er erlernte das Schneiderhandwerk, und so finden wir ihn zu Anfang der dreißiger Jahre als Schneidergesellen in Leipzig. Später begab er sich nach London und von dort nach Paris, wo er wahr¬ scheinlich die kommunistischen Lehren in sich aufgenommen hat. In Paris ver¬ faßte er 1838 seine Erstlingsschrift „Die Menschheit, wie sie ist und sein sollte," welche von der dortigen deutsch-republikanischen Partei in 2000 Exemplaren verbreitet wurde. Die Broschüre erlebte 1840 die zweite Auflage, nachdem sie schon 1840 ins Ungarische übersetzt worden war. Nach der von Barbes in- szenirten mißglückter kommunistischen Erneute (vom 12. Mai 1839) ging Weit¬ ling nach der Schweiz, wo er die deutschen Arbeiter zum Kommunismus zu bekehren suchte. Dort gab er 1841 die erste sozialistische Zeitschrift in deutscher Sprache heraus, den „Hilferuf an die deutsche Jugend," eine Monatsschrift, seit 1842 unter dem Titel: „Die junge Generation." Sie mußte wegen der fortwährenden, ihr von feiten der Schweizer Kantvnsregierungen in den Weg gelegten Hindernisse öfters den Druckort wechseln und wurde nach einander in Genf, Bern, Veveh und Langenthal hergestellt. Im ganzen sind von der Zeit¬ schrift (die in 1000 Exemplaren gedruckt wurde) 21 Nummern erschienen. 1842 gab Weitling zu Vevey sein Hauptwerk, die „Garantien der Harmonie und Grmzbvle» I. 1834. 22

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/179>, abgerufen am 02.07.2024.