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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Lin Vorläufer Lassalles.

stand ganz auf dem Boden der neuen Lehre. Sie vertrat speziell die Fouriersche
Richtung. Andre sozialistische Zeitschriften waren der "Hilferuf an die deutsche
Jugend" und die "Junge Generation" (beide redigirt von Weitling), die "Rhei¬
nischen Jahrbücher" (herausgegeben von Püttmann), die "Deutsch-Französischen
Jahrbücher" (herausgegeben von Rüge und dem erst jüngst verstorbenen Marx)
nud der "Gesellschaftsspiegel" (herausgegeben von Heß).

Nebenher lief eine nicht geringe kommunistische Bücherliteratur; ich erinnere
nur an Stromeyers "Organisation der Arbeit," an Karl Grüns "Soziale Be¬
wegung in Frankreich und Belgien," an Griebs "Populäre Gesellschaftsöko-
nomie," an Fröbels "System der sozialen Politik," an das Pseudonyme Werk
"Abbruch und Neubau," und vor allem an die zahlreichen Broschüren Weit¬
lings und seiner Anhänger.

Da der französische Sozialismus zu jener Zeit sehr ausgebildet war, so
war nichts natürlicher, als daß seine Schriften in Deutschland in Übersetzungen
verbreitet wurden. So ward Louis Blancs "Organisation der Arbeit" ins
Deutsche übertragen (von Bitzer), ebenso wie seine "Geschichte der zehn Jahre"
(von Fink) und seine "Geschichte der französischen Revolution" (von Buhl und
Köppen), ferner Cadets "Reise nach Jkarien" (von Hippler), Proudhons "Was
ist das Eigentum?" (von Meyer). Die "Widersprüche der Nationalökonomie"
von demselben Verfasser erschienen gleichzeitig in drei deutschen Übersetzungen
(von K. Grün, W. Jordan und M. Stirner.)

Das Mittel der Agitation durch das mündliche Wort konnte bei der
scharfen Handhabung der damaligen strengen Vereins- und Versammlungsgesetze
umsoweniger in Anwendung kommen, als naturgemäß die Veranstalter geheimer
Versammlungen viel leichter entdeckt werden als die Verbreiter verbotener Druck¬
schriften. Nichtsdestoweniger wurden auch Versammlungen abgehalten, z. B. ini
Wupperthale, in denen Friedrich Engels, M. Heß und andre Kommunisten
sprachen.

Wenn trotz alledem der Sozialismus in Deutschland keine große Ver¬
breitung fand, so ist das -- abgesehen von der Erschwerung der Agitation --
dem Umstände zuzuschreiben, daß die erst in der Entwicklung begriffene In¬
dustrie noch kein massenhaftes städtisches Proletariat erzeugt hatte. Dieses ist
es ja, welches bisher in allen Ländern den Stamm der sozialdemokratischen
Scharen gebildet hat.

Immerhin darf man die sozialistische Bewegung der damaligen Zeit nicht
unterschätzen. Im Jahre 1848 entstanden aller Orten Arbeitervereine, und es
kam sogar zu einem Arbeiterkongreß in Berlin, der vom 23. August bis zum
3. September tagte und eine Reihe radikaler Beschlüsse faßte.


vergessenen Materials wie auch Wichtiges in der Aiwrdnung und Durchführung dem Bres-
lauer Professor der Nationalökonomie, Dr. W. Lexis, verdankt, ans dessen Anregung sie
D. Vers. übrigens unternommen wurde.
Lin Vorläufer Lassalles.

stand ganz auf dem Boden der neuen Lehre. Sie vertrat speziell die Fouriersche
Richtung. Andre sozialistische Zeitschriften waren der „Hilferuf an die deutsche
Jugend" und die „Junge Generation" (beide redigirt von Weitling), die „Rhei¬
nischen Jahrbücher" (herausgegeben von Püttmann), die „Deutsch-Französischen
Jahrbücher" (herausgegeben von Rüge und dem erst jüngst verstorbenen Marx)
nud der „Gesellschaftsspiegel" (herausgegeben von Heß).

Nebenher lief eine nicht geringe kommunistische Bücherliteratur; ich erinnere
nur an Stromeyers „Organisation der Arbeit," an Karl Grüns „Soziale Be¬
wegung in Frankreich und Belgien," an Griebs „Populäre Gesellschaftsöko-
nomie," an Fröbels „System der sozialen Politik," an das Pseudonyme Werk
„Abbruch und Neubau," und vor allem an die zahlreichen Broschüren Weit¬
lings und seiner Anhänger.

Da der französische Sozialismus zu jener Zeit sehr ausgebildet war, so
war nichts natürlicher, als daß seine Schriften in Deutschland in Übersetzungen
verbreitet wurden. So ward Louis Blancs „Organisation der Arbeit" ins
Deutsche übertragen (von Bitzer), ebenso wie seine „Geschichte der zehn Jahre"
(von Fink) und seine „Geschichte der französischen Revolution" (von Buhl und
Köppen), ferner Cadets „Reise nach Jkarien" (von Hippler), Proudhons „Was
ist das Eigentum?" (von Meyer). Die „Widersprüche der Nationalökonomie"
von demselben Verfasser erschienen gleichzeitig in drei deutschen Übersetzungen
(von K. Grün, W. Jordan und M. Stirner.)

Das Mittel der Agitation durch das mündliche Wort konnte bei der
scharfen Handhabung der damaligen strengen Vereins- und Versammlungsgesetze
umsoweniger in Anwendung kommen, als naturgemäß die Veranstalter geheimer
Versammlungen viel leichter entdeckt werden als die Verbreiter verbotener Druck¬
schriften. Nichtsdestoweniger wurden auch Versammlungen abgehalten, z. B. ini
Wupperthale, in denen Friedrich Engels, M. Heß und andre Kommunisten
sprachen.

Wenn trotz alledem der Sozialismus in Deutschland keine große Ver¬
breitung fand, so ist das — abgesehen von der Erschwerung der Agitation —
dem Umstände zuzuschreiben, daß die erst in der Entwicklung begriffene In¬
dustrie noch kein massenhaftes städtisches Proletariat erzeugt hatte. Dieses ist
es ja, welches bisher in allen Ländern den Stamm der sozialdemokratischen
Scharen gebildet hat.

Immerhin darf man die sozialistische Bewegung der damaligen Zeit nicht
unterschätzen. Im Jahre 1848 entstanden aller Orten Arbeitervereine, und es
kam sogar zu einem Arbeiterkongreß in Berlin, der vom 23. August bis zum
3. September tagte und eine Reihe radikaler Beschlüsse faßte.


vergessenen Materials wie auch Wichtiges in der Aiwrdnung und Durchführung dem Bres-
lauer Professor der Nationalökonomie, Dr. W. Lexis, verdankt, ans dessen Anregung sie
D. Vers. übrigens unternommen wurde.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/178>, abgerufen am 30.06.2024.