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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Der neue Unfallverstcherungsentwurf.

selbe" aber allmählich anwachsen, bis sie -- man nimmt an, nach etwa
fünfzehn Jahren -- bis zurvvllcn Höhe des Beharrungszustandes gelangt sind.
Nach dem zweiten System müssen von Anfang an höhere Beiträge gezahlt
werden. Der Überschuß derselben über die laufenden Ausgaben sammelt sich
dann zu einem Kapital an, dessen Zinsen der spätern Zeit zu Gute kommen
und es bewirken, daß die nach eingetretenen! Beharrungszustande zu zahlenden
Beiträge sich erheblich niedriger stellen, als bei Anwendung des ersten Systems,
Der gegenwärtige Entwurf adoptirt (abweichend von dem Entwürfe von 1881,
dagegen übereinstimmend mit dem von 1882) das erste System, Es sollen
am Schluße jedes Jahres die in diesem erwachsenen Ausgaben auf die be¬
teiligten Kreise umgelegt und erhoben werden. Unzweifelhaft ist dieses System
das einfachere. Man braucht sich nicht mit Wahrscheiulichkeitsrechuuugeu zu
befassen. Man braucht auch kein Kapital anzusammeln und zu verwalten.
Auch würde nach diesem System die Industrie nach und nach in die
ihr ungewohnte Last hineinwachsen. Das sind unverkennbare Vorteile, Den¬
selben steht aber der Nachteil gegenüber, daß dieses System zu Gunsten der
Gegenwart der gesamten Zukunft eine schwerere Last auferlegt, als sie an
sich zu tragen verpflichtet wäre. Der Unterschied ist kein ganz unerheblicher.
Nach einer uns vorliegenden Berechnung würde" die innerhalb der ersten
fünfzehn Jahre angesammelten Beiträge bei vierprvzentigcr Verzinsung, und wenn
nur alljährlich die Zinsen zu dem Kapital geschlagen würden, es bewirke", daß bei
dem nach fünfzehn Jahren eintretenden Beharrungszustande die zu leistenden Bei¬
träge andauernd nur etwa sieben Neuntel desjenigen betragen würden, was nach
dem ersten System zu zahlen wäre. Bei noch höherer Verzinsung und bei noch
öftrer Kapitalisirung der Zinsen würde sich der Unterschied noch größer heraus-
stellen. Auch würde uach diesem zweiten System der oben berührte Vorwurf,
den man dem neue" Entwürfe daraus macht, daß für eine leisen"gsunfähig ge¬
wordene Genossenschaft das Reich die Verpflichtungen übernehmen soll, so gut
wie gegenstandslos werden. Denn die Leistungsunfähigkeit würde regelmäßig
doch nur daraus hervorgehe", daß jeder Verband leiste" müßte nicht nach dem
Maße der zur Zeit bei ihm eintretenden Unfälle, sondern nach dem Maße der
in der Vergangenheit eingetretenen Unfälle, Infolge hiervon wäre es aller¬
dings denkbar, daß eine Industrie im Laufe der Zeit dergestalt zurückginge,
daß ihr die Lasten der Vergangenheit zu schwer würden. Nach dem allen
würden wir es vorziehen, wenn das Gesetz das zweite System wählte, da es
das gerechtere ist. Allerdings aber würde dadurch die Institution auch noch
mit der Aufgabe belastet werde", eine Art Arbeiter-Jnvalidenfonds von vielleicht
hundert Millionen Mark andauernd zu verwalte". Wir nehmen an, daß dafür
nur eine einzige zentrale Verwaltung hergestellt würde.

Noch einen andern Punkt möchten wir hier zur Anregung bringen. Nach
Ur, 29 des Entwurfs soll die Erhebung der Thatsachen, welche der Feststellung


Der neue Unfallverstcherungsentwurf.

selbe» aber allmählich anwachsen, bis sie — man nimmt an, nach etwa
fünfzehn Jahren — bis zurvvllcn Höhe des Beharrungszustandes gelangt sind.
Nach dem zweiten System müssen von Anfang an höhere Beiträge gezahlt
werden. Der Überschuß derselben über die laufenden Ausgaben sammelt sich
dann zu einem Kapital an, dessen Zinsen der spätern Zeit zu Gute kommen
und es bewirken, daß die nach eingetretenen! Beharrungszustande zu zahlenden
Beiträge sich erheblich niedriger stellen, als bei Anwendung des ersten Systems,
Der gegenwärtige Entwurf adoptirt (abweichend von dem Entwürfe von 1881,
dagegen übereinstimmend mit dem von 1882) das erste System, Es sollen
am Schluße jedes Jahres die in diesem erwachsenen Ausgaben auf die be¬
teiligten Kreise umgelegt und erhoben werden. Unzweifelhaft ist dieses System
das einfachere. Man braucht sich nicht mit Wahrscheiulichkeitsrechuuugeu zu
befassen. Man braucht auch kein Kapital anzusammeln und zu verwalten.
Auch würde nach diesem System die Industrie nach und nach in die
ihr ungewohnte Last hineinwachsen. Das sind unverkennbare Vorteile, Den¬
selben steht aber der Nachteil gegenüber, daß dieses System zu Gunsten der
Gegenwart der gesamten Zukunft eine schwerere Last auferlegt, als sie an
sich zu tragen verpflichtet wäre. Der Unterschied ist kein ganz unerheblicher.
Nach einer uns vorliegenden Berechnung würde» die innerhalb der ersten
fünfzehn Jahre angesammelten Beiträge bei vierprvzentigcr Verzinsung, und wenn
nur alljährlich die Zinsen zu dem Kapital geschlagen würden, es bewirke», daß bei
dem nach fünfzehn Jahren eintretenden Beharrungszustande die zu leistenden Bei¬
träge andauernd nur etwa sieben Neuntel desjenigen betragen würden, was nach
dem ersten System zu zahlen wäre. Bei noch höherer Verzinsung und bei noch
öftrer Kapitalisirung der Zinsen würde sich der Unterschied noch größer heraus-
stellen. Auch würde uach diesem zweiten System der oben berührte Vorwurf,
den man dem neue» Entwürfe daraus macht, daß für eine leisen»gsunfähig ge¬
wordene Genossenschaft das Reich die Verpflichtungen übernehmen soll, so gut
wie gegenstandslos werden. Denn die Leistungsunfähigkeit würde regelmäßig
doch nur daraus hervorgehe», daß jeder Verband leiste» müßte nicht nach dem
Maße der zur Zeit bei ihm eintretenden Unfälle, sondern nach dem Maße der
in der Vergangenheit eingetretenen Unfälle, Infolge hiervon wäre es aller¬
dings denkbar, daß eine Industrie im Laufe der Zeit dergestalt zurückginge,
daß ihr die Lasten der Vergangenheit zu schwer würden. Nach dem allen
würden wir es vorziehen, wenn das Gesetz das zweite System wählte, da es
das gerechtere ist. Allerdings aber würde dadurch die Institution auch noch
mit der Aufgabe belastet werde», eine Art Arbeiter-Jnvalidenfonds von vielleicht
hundert Millionen Mark andauernd zu verwalte». Wir nehmen an, daß dafür
nur eine einzige zentrale Verwaltung hergestellt würde.

Noch einen andern Punkt möchten wir hier zur Anregung bringen. Nach
Ur, 29 des Entwurfs soll die Erhebung der Thatsachen, welche der Feststellung


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[0176] Der neue Unfallverstcherungsentwurf. selbe» aber allmählich anwachsen, bis sie — man nimmt an, nach etwa fünfzehn Jahren — bis zurvvllcn Höhe des Beharrungszustandes gelangt sind. Nach dem zweiten System müssen von Anfang an höhere Beiträge gezahlt werden. Der Überschuß derselben über die laufenden Ausgaben sammelt sich dann zu einem Kapital an, dessen Zinsen der spätern Zeit zu Gute kommen und es bewirken, daß die nach eingetretenen! Beharrungszustande zu zahlenden Beiträge sich erheblich niedriger stellen, als bei Anwendung des ersten Systems, Der gegenwärtige Entwurf adoptirt (abweichend von dem Entwürfe von 1881, dagegen übereinstimmend mit dem von 1882) das erste System, Es sollen am Schluße jedes Jahres die in diesem erwachsenen Ausgaben auf die be¬ teiligten Kreise umgelegt und erhoben werden. Unzweifelhaft ist dieses System das einfachere. Man braucht sich nicht mit Wahrscheiulichkeitsrechuuugeu zu befassen. Man braucht auch kein Kapital anzusammeln und zu verwalten. Auch würde nach diesem System die Industrie nach und nach in die ihr ungewohnte Last hineinwachsen. Das sind unverkennbare Vorteile, Den¬ selben steht aber der Nachteil gegenüber, daß dieses System zu Gunsten der Gegenwart der gesamten Zukunft eine schwerere Last auferlegt, als sie an sich zu tragen verpflichtet wäre. Der Unterschied ist kein ganz unerheblicher. Nach einer uns vorliegenden Berechnung würde» die innerhalb der ersten fünfzehn Jahre angesammelten Beiträge bei vierprvzentigcr Verzinsung, und wenn nur alljährlich die Zinsen zu dem Kapital geschlagen würden, es bewirke», daß bei dem nach fünfzehn Jahren eintretenden Beharrungszustande die zu leistenden Bei¬ träge andauernd nur etwa sieben Neuntel desjenigen betragen würden, was nach dem ersten System zu zahlen wäre. Bei noch höherer Verzinsung und bei noch öftrer Kapitalisirung der Zinsen würde sich der Unterschied noch größer heraus- stellen. Auch würde uach diesem zweiten System der oben berührte Vorwurf, den man dem neue» Entwürfe daraus macht, daß für eine leisen»gsunfähig ge¬ wordene Genossenschaft das Reich die Verpflichtungen übernehmen soll, so gut wie gegenstandslos werden. Denn die Leistungsunfähigkeit würde regelmäßig doch nur daraus hervorgehe», daß jeder Verband leiste» müßte nicht nach dem Maße der zur Zeit bei ihm eintretenden Unfälle, sondern nach dem Maße der in der Vergangenheit eingetretenen Unfälle, Infolge hiervon wäre es aller¬ dings denkbar, daß eine Industrie im Laufe der Zeit dergestalt zurückginge, daß ihr die Lasten der Vergangenheit zu schwer würden. Nach dem allen würden wir es vorziehen, wenn das Gesetz das zweite System wählte, da es das gerechtere ist. Allerdings aber würde dadurch die Institution auch noch mit der Aufgabe belastet werde», eine Art Arbeiter-Jnvalidenfonds von vielleicht hundert Millionen Mark andauernd zu verwalte». Wir nehmen an, daß dafür nur eine einzige zentrale Verwaltung hergestellt würde. Noch einen andern Punkt möchten wir hier zur Anregung bringen. Nach Ur, 29 des Entwurfs soll die Erhebung der Thatsachen, welche der Feststellung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/176>, abgerufen am 30.06.2024.