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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Der neue Unfallversichemngsmtwurf.

von dem Umfange und der Schwierigkeit des in Nummer 13 des Entwurfs
beschriebenen. Wir zweifeln, daß dabei stets etwas Gedeihliches herauskommen
würde. Und weiter soll nun die ganze Verwaltung von einem aus den Ge-
"ossenschaftsgliedern gewählten Vorstande geführt werden. Wie soll man sich
nun wohl einen solchen Vorstand zusammengesetzt denken? Etwa ans Mit¬
gliedern, die allen weit auseinander liegenden Teilen Deutschlands angehören?
Aber ein solches Organ würde zu einer laufenden Geschäftsführung garnicht
fähig sein, Oder nur aus Mitgliedern, die in der nächsten Nähe eines be¬
stimmten Ortes zusainmenwohne"? Dann würde damit gewissermaßen ein ge-
schäftsführcnder Vorort geschaffen. Ob aber bei der großen Verschiedenheit
mancher obwaltenden Interessen ein solcher Vorort stets das allgemeine Ver¬
trauen genießen würde, das ist die Frage. Wir glauben, daß sowohl der Sache
wie den Personen eine Wohlthat erwiese" werden würde, wenn man von letz¬
teren nicht soviel in Anspruch nähme als der Entwurf es thut; und ferner, daß
für die Entwicklung des Ganzen es förderlicher wäre, wenn man als nächstes
Substrat der Organisation nicht das ganze deutsche Reich, sondern die einzelne
Provinz (wir verstehen darunter eine Gliederung des Reiches, etwa nach Art
der gegenwärtigen Oberlandesgerichtsbezirke) wählte. Dies würde dadurch er¬
reicht werden, daß man den "Vertreter des Reichsversicherungsamtes" nicht zu
einer bloß ephemeren Erscheinung, sondern zu einem ständigen, je in einer Pro¬
vinz seßhaften Beamten machte, welcher die formale Geschäftsleitung in die
Hand nähme, für die materielle Erledigung der Geschäfte aber sich mit Organen
der Selbstverwaltung, zunächst aus der Provinz, umgäbe. Haben wir oben
das Reichsversichernngsamt mit einem dem ganzen Organismus verliehenen
Rückgrat vergliche", so würde in diesen Beamten der Organismus anch für
seine einzelnen Glieder ein festes Knochengerüste gewinnen. Durch Vermittlung
des Reichsversicherungsamtes könnten dann die Provinzialverbände, behufs ge¬
meinsamer Tragung der Gefahr, zu höheren, das ganze Reich umfassenden Ver¬
bänden wieder vereinigt, und es könnten nach Befinden auch für diese höhern
Verbände besondre genossenschaftliche Organe geschaffen werden. Wir glauben,
daß auf diese Weise die Sache eine natürlichere und die praktische Durchführ¬
barkeit in höherm Maße sichernde Gestalt annehme,: würde.

Eine zweifelhafte Frage ist ferner die, nach welchem Grundsätze die Er¬
hebung der Beiträge zur Deckung der Entschädigungen stattfinden soll. Es
lassen sich hier zwei Systeme einander gegenüberstellen. Entweder man erhebt
die Beiträge nur im Umfange der jeweilig zu deckenden Ausgaben, oder man
erhebt die Beiträge im Umfange der jeweilig entstandenen, zum Teil in die Zu¬
kunft hinausreichenden Verpflichtungen, wobei dann der Umfang der letztern
durch eine Wahrscheinlichkeitsberechnung festgestellt werden muß. Der praktische
Unterschied ist der, daß nach dem ersten System in den ersten Jahren nach
Einführung der Institution nur ganz geringe Beiträge erhoben werden, die-


Der neue Unfallversichemngsmtwurf.

von dem Umfange und der Schwierigkeit des in Nummer 13 des Entwurfs
beschriebenen. Wir zweifeln, daß dabei stets etwas Gedeihliches herauskommen
würde. Und weiter soll nun die ganze Verwaltung von einem aus den Ge-
»ossenschaftsgliedern gewählten Vorstande geführt werden. Wie soll man sich
nun wohl einen solchen Vorstand zusammengesetzt denken? Etwa ans Mit¬
gliedern, die allen weit auseinander liegenden Teilen Deutschlands angehören?
Aber ein solches Organ würde zu einer laufenden Geschäftsführung garnicht
fähig sein, Oder nur aus Mitgliedern, die in der nächsten Nähe eines be¬
stimmten Ortes zusainmenwohne»? Dann würde damit gewissermaßen ein ge-
schäftsführcnder Vorort geschaffen. Ob aber bei der großen Verschiedenheit
mancher obwaltenden Interessen ein solcher Vorort stets das allgemeine Ver¬
trauen genießen würde, das ist die Frage. Wir glauben, daß sowohl der Sache
wie den Personen eine Wohlthat erwiese» werden würde, wenn man von letz¬
teren nicht soviel in Anspruch nähme als der Entwurf es thut; und ferner, daß
für die Entwicklung des Ganzen es förderlicher wäre, wenn man als nächstes
Substrat der Organisation nicht das ganze deutsche Reich, sondern die einzelne
Provinz (wir verstehen darunter eine Gliederung des Reiches, etwa nach Art
der gegenwärtigen Oberlandesgerichtsbezirke) wählte. Dies würde dadurch er¬
reicht werden, daß man den „Vertreter des Reichsversicherungsamtes" nicht zu
einer bloß ephemeren Erscheinung, sondern zu einem ständigen, je in einer Pro¬
vinz seßhaften Beamten machte, welcher die formale Geschäftsleitung in die
Hand nähme, für die materielle Erledigung der Geschäfte aber sich mit Organen
der Selbstverwaltung, zunächst aus der Provinz, umgäbe. Haben wir oben
das Reichsversichernngsamt mit einem dem ganzen Organismus verliehenen
Rückgrat vergliche», so würde in diesen Beamten der Organismus anch für
seine einzelnen Glieder ein festes Knochengerüste gewinnen. Durch Vermittlung
des Reichsversicherungsamtes könnten dann die Provinzialverbände, behufs ge¬
meinsamer Tragung der Gefahr, zu höheren, das ganze Reich umfassenden Ver¬
bänden wieder vereinigt, und es könnten nach Befinden auch für diese höhern
Verbände besondre genossenschaftliche Organe geschaffen werden. Wir glauben,
daß auf diese Weise die Sache eine natürlichere und die praktische Durchführ¬
barkeit in höherm Maße sichernde Gestalt annehme,: würde.

Eine zweifelhafte Frage ist ferner die, nach welchem Grundsätze die Er¬
hebung der Beiträge zur Deckung der Entschädigungen stattfinden soll. Es
lassen sich hier zwei Systeme einander gegenüberstellen. Entweder man erhebt
die Beiträge nur im Umfange der jeweilig zu deckenden Ausgaben, oder man
erhebt die Beiträge im Umfange der jeweilig entstandenen, zum Teil in die Zu¬
kunft hinausreichenden Verpflichtungen, wobei dann der Umfang der letztern
durch eine Wahrscheinlichkeitsberechnung festgestellt werden muß. Der praktische
Unterschied ist der, daß nach dem ersten System in den ersten Jahren nach
Einführung der Institution nur ganz geringe Beiträge erhoben werden, die-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/175>, abgerufen am 02.07.2024.