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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Der neue Unfallverstcherungsentwurf.

Völlig richtig ist, hier aber ganz und gar nicht paßt. Man preist das Hast¬
pflichtgesetz als ein höchst wertvolles Gesetz an, während es doch von allen
denen, welche von einem unbefangenen Staudpunkte aus damit zu thun gehabt
haben, als ein durchaus unbefriedigendes erkannt ist; unbefriedigend und un¬
gerecht nach beiden Seiten hin, sowohl für die Arbeiter als für die Arbeitgeber,
und in seiner Gefolgschaft eine Unsumme der häßlichsten Prozesse nach sich
ziehend. Wahrlich, wenn an jenen kleinlichen Interessen der große Gedanke
unsers Reichskanzlers, den verunglückten Arbeitern eine umfassende Hilfe zu
gewähren, scheitern sollte, es wäre eine tiefe Demütigung für unser deut¬
sches Volk.

Während wir hiernach dem aus der Existenz der Privatversicherungsgesell-
schafteu entnommenen'Einwände jede innere Berechtigung absprechen müssen, bietet
der neue Entwurf dagegen manche andre Zweifel dar, die wir hier von unserm
freien Standpunkte aus besprechen wollen.

Der neue Entwurf beschränkt die Verhinderungspflicht im wesentlichen auf
diejenigen Arbeiter, auf welche auch der § 2 des Haftpflichtgesetzes gestellt ist.
Es ist aber bereits vielfach empfunden worden, daß dieser Paragraph zu enge
Schranken zieht. Deswegen wollten auch die früheren Entwürfe weiter gehen
und namentlich mich die Bauarbeiter in den Kreis der Versicherung ziehen. Wenn
der gegenwärtige Entwurf hiervon wieder zurückgeht, so nehmen wir an, daß
er dies nur aus Vorsicht thue; um nämlich nicht der neuen Organisation durch
eine größere Ausdehnung eine noch schwerere Aufgabe zu stellen, als sie an sich
schon zu lösen übernimmt. Ist dies richtig, so würde die Ausdehnung der In¬
stitution auf weitere Klassen von Arbeitern nur eine Frage der Zeit sein. Sie
würde sich, sobald die Organisation innerhalb des jetzt ihr gegebenen Rahmens
sich bewährt haben wird, ohne Schwierigkeit bewirken lassen. Wenn man sich
hierüber verständigte, läge kein Grund vor, der Vorsicht des gegenwärtigen Ent¬
wurfes entgegenzutreten und auf einer Ausdehnung der Versicherung auf weitere
Arbeiterklassen zu bestehen.

Wir haben bereits oben bemerkt, daß der neue Entwurf den früher ge¬
planten Reichszuschuß zu der Versicherung nicht wieder aufgenommen hat. Die
wvrtführenden Gegner finden aber, daß dies nur scheinbar sei, einesteils, weil
der Entwurf (Ur. 6, Abs. 2) vorschreibe, daß wenn eine Genossenschaft dauernd
leistungsunfähig werde, ihre Verpflichtungen auf das Reich übergehen; andern-
teils, weil nach Nummer 37 des Entwurfs die PostVerwaltung im voraus die
Entschädigungen auszahlen und erst nach Ablauf des Rechnungsjahres die aus¬
gezahlten Beträge wieder erheben soll, hiernach aber die Reichskasse den Betriebs¬
fonds für die Versicherung stelle, während bei den Versicherungsgesellschaften
das Aktienkapital den Betriebsfonds bilde. Hiernach, wird gesagt, "trete die
Reichskasse in der Hauptsache an die Stelle des Aktienkapitals." Der erste
Punkt hängt genau zusammen mit den Grundsätzen, nach welchen die Aufbringung


Der neue Unfallverstcherungsentwurf.

Völlig richtig ist, hier aber ganz und gar nicht paßt. Man preist das Hast¬
pflichtgesetz als ein höchst wertvolles Gesetz an, während es doch von allen
denen, welche von einem unbefangenen Staudpunkte aus damit zu thun gehabt
haben, als ein durchaus unbefriedigendes erkannt ist; unbefriedigend und un¬
gerecht nach beiden Seiten hin, sowohl für die Arbeiter als für die Arbeitgeber,
und in seiner Gefolgschaft eine Unsumme der häßlichsten Prozesse nach sich
ziehend. Wahrlich, wenn an jenen kleinlichen Interessen der große Gedanke
unsers Reichskanzlers, den verunglückten Arbeitern eine umfassende Hilfe zu
gewähren, scheitern sollte, es wäre eine tiefe Demütigung für unser deut¬
sches Volk.

Während wir hiernach dem aus der Existenz der Privatversicherungsgesell-
schafteu entnommenen'Einwände jede innere Berechtigung absprechen müssen, bietet
der neue Entwurf dagegen manche andre Zweifel dar, die wir hier von unserm
freien Standpunkte aus besprechen wollen.

Der neue Entwurf beschränkt die Verhinderungspflicht im wesentlichen auf
diejenigen Arbeiter, auf welche auch der § 2 des Haftpflichtgesetzes gestellt ist.
Es ist aber bereits vielfach empfunden worden, daß dieser Paragraph zu enge
Schranken zieht. Deswegen wollten auch die früheren Entwürfe weiter gehen
und namentlich mich die Bauarbeiter in den Kreis der Versicherung ziehen. Wenn
der gegenwärtige Entwurf hiervon wieder zurückgeht, so nehmen wir an, daß
er dies nur aus Vorsicht thue; um nämlich nicht der neuen Organisation durch
eine größere Ausdehnung eine noch schwerere Aufgabe zu stellen, als sie an sich
schon zu lösen übernimmt. Ist dies richtig, so würde die Ausdehnung der In¬
stitution auf weitere Klassen von Arbeitern nur eine Frage der Zeit sein. Sie
würde sich, sobald die Organisation innerhalb des jetzt ihr gegebenen Rahmens
sich bewährt haben wird, ohne Schwierigkeit bewirken lassen. Wenn man sich
hierüber verständigte, läge kein Grund vor, der Vorsicht des gegenwärtigen Ent¬
wurfes entgegenzutreten und auf einer Ausdehnung der Versicherung auf weitere
Arbeiterklassen zu bestehen.

Wir haben bereits oben bemerkt, daß der neue Entwurf den früher ge¬
planten Reichszuschuß zu der Versicherung nicht wieder aufgenommen hat. Die
wvrtführenden Gegner finden aber, daß dies nur scheinbar sei, einesteils, weil
der Entwurf (Ur. 6, Abs. 2) vorschreibe, daß wenn eine Genossenschaft dauernd
leistungsunfähig werde, ihre Verpflichtungen auf das Reich übergehen; andern-
teils, weil nach Nummer 37 des Entwurfs die PostVerwaltung im voraus die
Entschädigungen auszahlen und erst nach Ablauf des Rechnungsjahres die aus¬
gezahlten Beträge wieder erheben soll, hiernach aber die Reichskasse den Betriebs¬
fonds für die Versicherung stelle, während bei den Versicherungsgesellschaften
das Aktienkapital den Betriebsfonds bilde. Hiernach, wird gesagt, „trete die
Reichskasse in der Hauptsache an die Stelle des Aktienkapitals." Der erste
Punkt hängt genau zusammen mit den Grundsätzen, nach welchen die Aufbringung


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[0173] Der neue Unfallverstcherungsentwurf. Völlig richtig ist, hier aber ganz und gar nicht paßt. Man preist das Hast¬ pflichtgesetz als ein höchst wertvolles Gesetz an, während es doch von allen denen, welche von einem unbefangenen Staudpunkte aus damit zu thun gehabt haben, als ein durchaus unbefriedigendes erkannt ist; unbefriedigend und un¬ gerecht nach beiden Seiten hin, sowohl für die Arbeiter als für die Arbeitgeber, und in seiner Gefolgschaft eine Unsumme der häßlichsten Prozesse nach sich ziehend. Wahrlich, wenn an jenen kleinlichen Interessen der große Gedanke unsers Reichskanzlers, den verunglückten Arbeitern eine umfassende Hilfe zu gewähren, scheitern sollte, es wäre eine tiefe Demütigung für unser deut¬ sches Volk. Während wir hiernach dem aus der Existenz der Privatversicherungsgesell- schafteu entnommenen'Einwände jede innere Berechtigung absprechen müssen, bietet der neue Entwurf dagegen manche andre Zweifel dar, die wir hier von unserm freien Standpunkte aus besprechen wollen. Der neue Entwurf beschränkt die Verhinderungspflicht im wesentlichen auf diejenigen Arbeiter, auf welche auch der § 2 des Haftpflichtgesetzes gestellt ist. Es ist aber bereits vielfach empfunden worden, daß dieser Paragraph zu enge Schranken zieht. Deswegen wollten auch die früheren Entwürfe weiter gehen und namentlich mich die Bauarbeiter in den Kreis der Versicherung ziehen. Wenn der gegenwärtige Entwurf hiervon wieder zurückgeht, so nehmen wir an, daß er dies nur aus Vorsicht thue; um nämlich nicht der neuen Organisation durch eine größere Ausdehnung eine noch schwerere Aufgabe zu stellen, als sie an sich schon zu lösen übernimmt. Ist dies richtig, so würde die Ausdehnung der In¬ stitution auf weitere Klassen von Arbeitern nur eine Frage der Zeit sein. Sie würde sich, sobald die Organisation innerhalb des jetzt ihr gegebenen Rahmens sich bewährt haben wird, ohne Schwierigkeit bewirken lassen. Wenn man sich hierüber verständigte, läge kein Grund vor, der Vorsicht des gegenwärtigen Ent¬ wurfes entgegenzutreten und auf einer Ausdehnung der Versicherung auf weitere Arbeiterklassen zu bestehen. Wir haben bereits oben bemerkt, daß der neue Entwurf den früher ge¬ planten Reichszuschuß zu der Versicherung nicht wieder aufgenommen hat. Die wvrtführenden Gegner finden aber, daß dies nur scheinbar sei, einesteils, weil der Entwurf (Ur. 6, Abs. 2) vorschreibe, daß wenn eine Genossenschaft dauernd leistungsunfähig werde, ihre Verpflichtungen auf das Reich übergehen; andern- teils, weil nach Nummer 37 des Entwurfs die PostVerwaltung im voraus die Entschädigungen auszahlen und erst nach Ablauf des Rechnungsjahres die aus¬ gezahlten Beträge wieder erheben soll, hiernach aber die Reichskasse den Betriebs¬ fonds für die Versicherung stelle, während bei den Versicherungsgesellschaften das Aktienkapital den Betriebsfonds bilde. Hiernach, wird gesagt, „trete die Reichskasse in der Hauptsache an die Stelle des Aktienkapitals." Der erste Punkt hängt genau zusammen mit den Grundsätzen, nach welchen die Aufbringung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/173>, abgerufen am 02.07.2024.