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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Friedenscmssichten,

nie kriegerischen Zielen. In der That, Fürst Bismarck verschanzte seine Stellung
und sicherte sich Verbündete, als ob nicht Frankreich, sondern Deutschland bei
sedem besiegt worden wäre. Das anmaßende und rücksichtslose Auftreten der
Franzosen nach Jena entsprang ohne Zweifel zum guten Teile der leidenschaft¬
lich selbstsüchtigen, nach Ruhm dürstenden und in Angelegenheiten fremder Leute
erstaunlich unwissenden Denkart dieses Volkes, und die im Vergleiche hiermit
auffällige Bescheidenheit und Billigkeit, sowie die weitblickende Vorsicht der
Deutschen nach sedem ist ebenso sicher großenteils auf entgegengesetzte Charakter¬
züge unsrer Nation zurückzuführen. Aber andrerseits haben mit dem Verhalten
Deutschlands auch die Bedingungen der heutigen Kriegführung zu thun. Eine
nationale Niederlage legt heutzutage furchtbare Bußen auf, während ein natio¬
naler Sieg nicht ohne gewaltige Opfer und Kosten an Blut und Geld errungen
wird. Die Kriegsentschädigung, die Frankreich uus zahlte, ist in unsern Truhen
zusammengeschmolzen und verschwunden wie dnrch Zauber erworbenes Gold im
Märchen. Statt daß sich die Schwere unsrer Rüstung seit 1871 vermindert
hätte, sind wir seitdem stärker belastet. Wir müssen gut Wache halten und
dürfen nicht auf dem Posten einschlafen, wenn uns bewahrt bleiben soll, was
wir damals erwarben. Das Augenmerk des Fürsten Bismarck ist daher stetig
darauf gerichtet, vor den Blicken des rachsüchtigen Frankreich soviel militärische,
moralische und finanzielle Hindernisse aufzuschichten, daß dort ein Angriffskrieg
gegen die östlichen Nachbarn selbst der träumenden und schwärmenden Unwissen¬
heit so wahnsinnig erscheinen muß wie der Versuch der Titanen, die Himmels¬
burg der Götter zu stürmen. Ganz Mitteleuropa von der Haderslebener Föhrde
bis zur Südecke Siziliens hinab und vom Wasgenwalde bis zur Weichsel und
.bis ans Eiserne Thor steht, durch Bündnisse geeint, zur Verteidigung des Friedens
gegen jede Störung gerüstet, die von Westen her droht. Frankreich würde dabei
ohne Alliirte sein, Deutschland würde Österreich und Italien zu Mitstreitern
bei seinem Widerstande haben. Dies neutralisirt Rußland; denn ein Zar, welcher
gegen das mit zwei Großstaaten alliirte Haus Hohenzollern ein Bündnis mit
den Eintagsfliegen schließen wollte, die man in Paris Minister titulirt, würde
so wahnsinnig sein wie Kaiser Paul. Das Ziel des Fürsten Bismarck war und
ist nicht, Deutschland in einem neuen Kriege Erfolge zu sichern, sondern alles,
was in seiner Macht steht, zu thun, um einen neuen Krieg unmöglich zu machen.
Es liegt etwas satirisches darin, wenn fast zweitausend Jahre nach der Geburt
Christi, des Friedenbringers, drei große Monarchien, die über drei Millionen
Krieger gebieten, zusammentreten mußten, um Europa den Frieden wahren zu
können. Aber besser ein bewachter Frieden als gar keiner.

Vergleichen wir zum Schlüsse den jetzigen Zustand mit den früheren Verhält¬
nissen. Das vorige Jahrhundert suchte, was man den Stein der Weisen in der Politik
nennen kann: das Gleichgewicht der Mächte. Als die Tories den Frieden von Utrecht
vermittelten, verteidigten sie ihn gegen Tadler daheim damit, daß bei weiterer De-


Friedenscmssichten,

nie kriegerischen Zielen. In der That, Fürst Bismarck verschanzte seine Stellung
und sicherte sich Verbündete, als ob nicht Frankreich, sondern Deutschland bei
sedem besiegt worden wäre. Das anmaßende und rücksichtslose Auftreten der
Franzosen nach Jena entsprang ohne Zweifel zum guten Teile der leidenschaft¬
lich selbstsüchtigen, nach Ruhm dürstenden und in Angelegenheiten fremder Leute
erstaunlich unwissenden Denkart dieses Volkes, und die im Vergleiche hiermit
auffällige Bescheidenheit und Billigkeit, sowie die weitblickende Vorsicht der
Deutschen nach sedem ist ebenso sicher großenteils auf entgegengesetzte Charakter¬
züge unsrer Nation zurückzuführen. Aber andrerseits haben mit dem Verhalten
Deutschlands auch die Bedingungen der heutigen Kriegführung zu thun. Eine
nationale Niederlage legt heutzutage furchtbare Bußen auf, während ein natio¬
naler Sieg nicht ohne gewaltige Opfer und Kosten an Blut und Geld errungen
wird. Die Kriegsentschädigung, die Frankreich uus zahlte, ist in unsern Truhen
zusammengeschmolzen und verschwunden wie dnrch Zauber erworbenes Gold im
Märchen. Statt daß sich die Schwere unsrer Rüstung seit 1871 vermindert
hätte, sind wir seitdem stärker belastet. Wir müssen gut Wache halten und
dürfen nicht auf dem Posten einschlafen, wenn uns bewahrt bleiben soll, was
wir damals erwarben. Das Augenmerk des Fürsten Bismarck ist daher stetig
darauf gerichtet, vor den Blicken des rachsüchtigen Frankreich soviel militärische,
moralische und finanzielle Hindernisse aufzuschichten, daß dort ein Angriffskrieg
gegen die östlichen Nachbarn selbst der träumenden und schwärmenden Unwissen¬
heit so wahnsinnig erscheinen muß wie der Versuch der Titanen, die Himmels¬
burg der Götter zu stürmen. Ganz Mitteleuropa von der Haderslebener Föhrde
bis zur Südecke Siziliens hinab und vom Wasgenwalde bis zur Weichsel und
.bis ans Eiserne Thor steht, durch Bündnisse geeint, zur Verteidigung des Friedens
gegen jede Störung gerüstet, die von Westen her droht. Frankreich würde dabei
ohne Alliirte sein, Deutschland würde Österreich und Italien zu Mitstreitern
bei seinem Widerstande haben. Dies neutralisirt Rußland; denn ein Zar, welcher
gegen das mit zwei Großstaaten alliirte Haus Hohenzollern ein Bündnis mit
den Eintagsfliegen schließen wollte, die man in Paris Minister titulirt, würde
so wahnsinnig sein wie Kaiser Paul. Das Ziel des Fürsten Bismarck war und
ist nicht, Deutschland in einem neuen Kriege Erfolge zu sichern, sondern alles,
was in seiner Macht steht, zu thun, um einen neuen Krieg unmöglich zu machen.
Es liegt etwas satirisches darin, wenn fast zweitausend Jahre nach der Geburt
Christi, des Friedenbringers, drei große Monarchien, die über drei Millionen
Krieger gebieten, zusammentreten mußten, um Europa den Frieden wahren zu
können. Aber besser ein bewachter Frieden als gar keiner.

Vergleichen wir zum Schlüsse den jetzigen Zustand mit den früheren Verhält¬
nissen. Das vorige Jahrhundert suchte, was man den Stein der Weisen in der Politik
nennen kann: das Gleichgewicht der Mächte. Als die Tories den Frieden von Utrecht
vermittelten, verteidigten sie ihn gegen Tadler daheim damit, daß bei weiterer De-


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[0127] Friedenscmssichten, nie kriegerischen Zielen. In der That, Fürst Bismarck verschanzte seine Stellung und sicherte sich Verbündete, als ob nicht Frankreich, sondern Deutschland bei sedem besiegt worden wäre. Das anmaßende und rücksichtslose Auftreten der Franzosen nach Jena entsprang ohne Zweifel zum guten Teile der leidenschaft¬ lich selbstsüchtigen, nach Ruhm dürstenden und in Angelegenheiten fremder Leute erstaunlich unwissenden Denkart dieses Volkes, und die im Vergleiche hiermit auffällige Bescheidenheit und Billigkeit, sowie die weitblickende Vorsicht der Deutschen nach sedem ist ebenso sicher großenteils auf entgegengesetzte Charakter¬ züge unsrer Nation zurückzuführen. Aber andrerseits haben mit dem Verhalten Deutschlands auch die Bedingungen der heutigen Kriegführung zu thun. Eine nationale Niederlage legt heutzutage furchtbare Bußen auf, während ein natio¬ naler Sieg nicht ohne gewaltige Opfer und Kosten an Blut und Geld errungen wird. Die Kriegsentschädigung, die Frankreich uus zahlte, ist in unsern Truhen zusammengeschmolzen und verschwunden wie dnrch Zauber erworbenes Gold im Märchen. Statt daß sich die Schwere unsrer Rüstung seit 1871 vermindert hätte, sind wir seitdem stärker belastet. Wir müssen gut Wache halten und dürfen nicht auf dem Posten einschlafen, wenn uns bewahrt bleiben soll, was wir damals erwarben. Das Augenmerk des Fürsten Bismarck ist daher stetig darauf gerichtet, vor den Blicken des rachsüchtigen Frankreich soviel militärische, moralische und finanzielle Hindernisse aufzuschichten, daß dort ein Angriffskrieg gegen die östlichen Nachbarn selbst der träumenden und schwärmenden Unwissen¬ heit so wahnsinnig erscheinen muß wie der Versuch der Titanen, die Himmels¬ burg der Götter zu stürmen. Ganz Mitteleuropa von der Haderslebener Föhrde bis zur Südecke Siziliens hinab und vom Wasgenwalde bis zur Weichsel und .bis ans Eiserne Thor steht, durch Bündnisse geeint, zur Verteidigung des Friedens gegen jede Störung gerüstet, die von Westen her droht. Frankreich würde dabei ohne Alliirte sein, Deutschland würde Österreich und Italien zu Mitstreitern bei seinem Widerstande haben. Dies neutralisirt Rußland; denn ein Zar, welcher gegen das mit zwei Großstaaten alliirte Haus Hohenzollern ein Bündnis mit den Eintagsfliegen schließen wollte, die man in Paris Minister titulirt, würde so wahnsinnig sein wie Kaiser Paul. Das Ziel des Fürsten Bismarck war und ist nicht, Deutschland in einem neuen Kriege Erfolge zu sichern, sondern alles, was in seiner Macht steht, zu thun, um einen neuen Krieg unmöglich zu machen. Es liegt etwas satirisches darin, wenn fast zweitausend Jahre nach der Geburt Christi, des Friedenbringers, drei große Monarchien, die über drei Millionen Krieger gebieten, zusammentreten mußten, um Europa den Frieden wahren zu können. Aber besser ein bewachter Frieden als gar keiner. Vergleichen wir zum Schlüsse den jetzigen Zustand mit den früheren Verhält¬ nissen. Das vorige Jahrhundert suchte, was man den Stein der Weisen in der Politik nennen kann: das Gleichgewicht der Mächte. Als die Tories den Frieden von Utrecht vermittelten, verteidigten sie ihn gegen Tadler daheim damit, daß bei weiterer De-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/127>, abgerufen am 01.07.2024.