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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Friedensaussichten.

In der deutschen Reichshauptstadt begegnen wir dem Prestige gewaltiger Siege,
dort befindet sich das Hauptquartier der riesigen Streitmacht, mit welcher das
mächtige Frankreich von seiner Stelle als Gebieter und Schiedsrichter der euro¬
päischen Staatcngruppc hinweggcstoßen wurde.

Aber in Berlin denkt und waltet kein Napoleon. Wenn der erste Kaiser
dieses Namens von siegreichen Feldzügen in seine Hauptstadt zurückkehrte, ließ
er in jeder Depesche und in jeder Äußerung seiner Gesandten an fremden Höfen
das Gewicht seines Degens fühlen. Sein Ton und seine Haltung waren durch¬
weg Anmaßung und Überhebung. Jedes Zugeständnis, das er gewann, führte
ihn zu neuen Ansprüchen und neuen gebieterischen Forderungen. Er war, von
jedem Erfolge mehr geschwellt, unersättlich in dem Verlangen nach neuen Ehren,
neuen Huldigungen und neuem Ländergewinn. Kaum hatte er bei Austerlitz
Rußland und Österreich gedemütigt, als er Streit mit Preußen vom Zaune
brach, und nicht lange nach dessen Niederwerfung entthronte er den König von
Spanien, um dann Kehrt zu machen zur Erdrückung des Papstes. Bevor der
spanische Aufstand gedämpft und der heilige Vater zu voller Unterwerfung
gezwungen war, zog er zur Bekämpfung Rußlands aus. Vor keinem Unter¬
nehmen schreckte er zurück, keine Ausdehnung seiner Grenzen und seines Einflusses
stillte seinen Durst nach Macht. Er war der verkörperte Länderraub auf einem
Throne. Napoleon der Dritte war maßvoller und vorsichtiger, er war kein
Soldat, und er lebte unter andern Verhältnissen als der erste Kaiser der
Franzosen, er konnte nicht, was er sonst wohl gewollt und gewagt hätte. Aber
der Grundzug seines Charakters glich dem seines Oheims, und wenn er nicht
so viele Länder eroberte als dieser, so strebte er wie dieser nach gebietendem
Einfluß, und jeder Erfolg steigerte sein Begehren nach mehr davon. Er fühlte
sich zum Schulmeister und Schiedsrichter nicht bloß der alten, sondern -- man
denke an Mexiko -- auch der neuen Welt berufen.

Es ist interessant, mit dem Charakter der Napoleons das Wesen und Ver¬
halten Bismarcks zu vergleichen. Er war Sieger in zwei große" Kriegen, er
hat Österreich geschlagen, Deutschland geeinigt und Frankreich erdrückt, und jetzt
steht das Heer, das für seine Ideen und Zwecke kämpfte, vermehrt hinter einem
Netzwerke der stärksten Festungslinien der Welt. Und doch hat das von ihm
geschaffene und geleitete Deutschland, statt den Empvrkömmlingsdünkel an den Tag
legen, der jedes Wort und jedes Thun des ersten Napoleon bezeichnete und auch dem
dritten nicht fremd war, die letzten dreizehn Jahre sich in allen Äußerungen seiner
Politik maßvoll, billig und bescheiden verhalten. Es hat selbst Frankreich immer
mit außerordentlichem Entgegenkommen behandelt und ist jeder Einmischung bei
der Erwerbung von Tunis und Tonkin ferngeblieben. Es hat sich niemals
anders als auf Einladung und dann stets nur als "ehrlicher Makler" an der
Entscheidung der großen politischen Tagcsfrngen beteiligt. Die Besuche der
kaiserlichen Familie in Wien, Madrid und Rom galten immer nur friedlichen,


Friedensaussichten.

In der deutschen Reichshauptstadt begegnen wir dem Prestige gewaltiger Siege,
dort befindet sich das Hauptquartier der riesigen Streitmacht, mit welcher das
mächtige Frankreich von seiner Stelle als Gebieter und Schiedsrichter der euro¬
päischen Staatcngruppc hinweggcstoßen wurde.

Aber in Berlin denkt und waltet kein Napoleon. Wenn der erste Kaiser
dieses Namens von siegreichen Feldzügen in seine Hauptstadt zurückkehrte, ließ
er in jeder Depesche und in jeder Äußerung seiner Gesandten an fremden Höfen
das Gewicht seines Degens fühlen. Sein Ton und seine Haltung waren durch¬
weg Anmaßung und Überhebung. Jedes Zugeständnis, das er gewann, führte
ihn zu neuen Ansprüchen und neuen gebieterischen Forderungen. Er war, von
jedem Erfolge mehr geschwellt, unersättlich in dem Verlangen nach neuen Ehren,
neuen Huldigungen und neuem Ländergewinn. Kaum hatte er bei Austerlitz
Rußland und Österreich gedemütigt, als er Streit mit Preußen vom Zaune
brach, und nicht lange nach dessen Niederwerfung entthronte er den König von
Spanien, um dann Kehrt zu machen zur Erdrückung des Papstes. Bevor der
spanische Aufstand gedämpft und der heilige Vater zu voller Unterwerfung
gezwungen war, zog er zur Bekämpfung Rußlands aus. Vor keinem Unter¬
nehmen schreckte er zurück, keine Ausdehnung seiner Grenzen und seines Einflusses
stillte seinen Durst nach Macht. Er war der verkörperte Länderraub auf einem
Throne. Napoleon der Dritte war maßvoller und vorsichtiger, er war kein
Soldat, und er lebte unter andern Verhältnissen als der erste Kaiser der
Franzosen, er konnte nicht, was er sonst wohl gewollt und gewagt hätte. Aber
der Grundzug seines Charakters glich dem seines Oheims, und wenn er nicht
so viele Länder eroberte als dieser, so strebte er wie dieser nach gebietendem
Einfluß, und jeder Erfolg steigerte sein Begehren nach mehr davon. Er fühlte
sich zum Schulmeister und Schiedsrichter nicht bloß der alten, sondern — man
denke an Mexiko — auch der neuen Welt berufen.

Es ist interessant, mit dem Charakter der Napoleons das Wesen und Ver¬
halten Bismarcks zu vergleichen. Er war Sieger in zwei große» Kriegen, er
hat Österreich geschlagen, Deutschland geeinigt und Frankreich erdrückt, und jetzt
steht das Heer, das für seine Ideen und Zwecke kämpfte, vermehrt hinter einem
Netzwerke der stärksten Festungslinien der Welt. Und doch hat das von ihm
geschaffene und geleitete Deutschland, statt den Empvrkömmlingsdünkel an den Tag
legen, der jedes Wort und jedes Thun des ersten Napoleon bezeichnete und auch dem
dritten nicht fremd war, die letzten dreizehn Jahre sich in allen Äußerungen seiner
Politik maßvoll, billig und bescheiden verhalten. Es hat selbst Frankreich immer
mit außerordentlichem Entgegenkommen behandelt und ist jeder Einmischung bei
der Erwerbung von Tunis und Tonkin ferngeblieben. Es hat sich niemals
anders als auf Einladung und dann stets nur als „ehrlicher Makler" an der
Entscheidung der großen politischen Tagcsfrngen beteiligt. Die Besuche der
kaiserlichen Familie in Wien, Madrid und Rom galten immer nur friedlichen,


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[0126] Friedensaussichten. In der deutschen Reichshauptstadt begegnen wir dem Prestige gewaltiger Siege, dort befindet sich das Hauptquartier der riesigen Streitmacht, mit welcher das mächtige Frankreich von seiner Stelle als Gebieter und Schiedsrichter der euro¬ päischen Staatcngruppc hinweggcstoßen wurde. Aber in Berlin denkt und waltet kein Napoleon. Wenn der erste Kaiser dieses Namens von siegreichen Feldzügen in seine Hauptstadt zurückkehrte, ließ er in jeder Depesche und in jeder Äußerung seiner Gesandten an fremden Höfen das Gewicht seines Degens fühlen. Sein Ton und seine Haltung waren durch¬ weg Anmaßung und Überhebung. Jedes Zugeständnis, das er gewann, führte ihn zu neuen Ansprüchen und neuen gebieterischen Forderungen. Er war, von jedem Erfolge mehr geschwellt, unersättlich in dem Verlangen nach neuen Ehren, neuen Huldigungen und neuem Ländergewinn. Kaum hatte er bei Austerlitz Rußland und Österreich gedemütigt, als er Streit mit Preußen vom Zaune brach, und nicht lange nach dessen Niederwerfung entthronte er den König von Spanien, um dann Kehrt zu machen zur Erdrückung des Papstes. Bevor der spanische Aufstand gedämpft und der heilige Vater zu voller Unterwerfung gezwungen war, zog er zur Bekämpfung Rußlands aus. Vor keinem Unter¬ nehmen schreckte er zurück, keine Ausdehnung seiner Grenzen und seines Einflusses stillte seinen Durst nach Macht. Er war der verkörperte Länderraub auf einem Throne. Napoleon der Dritte war maßvoller und vorsichtiger, er war kein Soldat, und er lebte unter andern Verhältnissen als der erste Kaiser der Franzosen, er konnte nicht, was er sonst wohl gewollt und gewagt hätte. Aber der Grundzug seines Charakters glich dem seines Oheims, und wenn er nicht so viele Länder eroberte als dieser, so strebte er wie dieser nach gebietendem Einfluß, und jeder Erfolg steigerte sein Begehren nach mehr davon. Er fühlte sich zum Schulmeister und Schiedsrichter nicht bloß der alten, sondern — man denke an Mexiko — auch der neuen Welt berufen. Es ist interessant, mit dem Charakter der Napoleons das Wesen und Ver¬ halten Bismarcks zu vergleichen. Er war Sieger in zwei große» Kriegen, er hat Österreich geschlagen, Deutschland geeinigt und Frankreich erdrückt, und jetzt steht das Heer, das für seine Ideen und Zwecke kämpfte, vermehrt hinter einem Netzwerke der stärksten Festungslinien der Welt. Und doch hat das von ihm geschaffene und geleitete Deutschland, statt den Empvrkömmlingsdünkel an den Tag legen, der jedes Wort und jedes Thun des ersten Napoleon bezeichnete und auch dem dritten nicht fremd war, die letzten dreizehn Jahre sich in allen Äußerungen seiner Politik maßvoll, billig und bescheiden verhalten. Es hat selbst Frankreich immer mit außerordentlichem Entgegenkommen behandelt und ist jeder Einmischung bei der Erwerbung von Tunis und Tonkin ferngeblieben. Es hat sich niemals anders als auf Einladung und dann stets nur als „ehrlicher Makler" an der Entscheidung der großen politischen Tagcsfrngen beteiligt. Die Besuche der kaiserlichen Familie in Wien, Madrid und Rom galten immer nur friedlichen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/126>, abgerufen am 03.07.2024.