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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Auf der Leiter des Glücks,

Orchester alles aufs feinste abgestimmt, sodaß jede wirkliche Änderung einen
grellen Mißton hervorgerufen haben würde.

Es kamen wiederum zahlreiche von dem Architekten, dem Hofgärtner, dem
Lieferanten der Sonnenuhr und dem Verfertiger der Mittagskanone auf die
Hartigsche Villa aufmerksam gemachte Besucher, und das Ehepaar erlebte von
neuem die Freude -- soweit es eine war --, das Besitztum für die gelungenste
Lösung der in dem Worte Villa liegenden Aufgabe erklärt zu sehen. Der junge
Prinz Ottokar selbst ließ um die Erlaubnis bitten, deu Garten und die Treib¬
häuser besehen zu dürfen, und so wenig das Hartigsche Paar auch in klein¬
städtischen Begriffen über die Größe der ihm dadurch zugedachten Ehre be¬
fangen war, und so schicklich einfach es sich auch für den Empfang des Prinzen
kostümirte, das Geschäft des Herumführens, Zeigers und Erklürens gestaltete
sich doch für Kaspar Benedikt zu einem nicht unbefriedigender Exerzitium im
Umgang mit Menschen höherer Gattung, für Frau Anna aber gar zu einem
wirklichen Vergnügen, das ihr noch Wochen lang Stoff zu allerhand kleinen
Bemerkungen über die beneidenswerte Tournllre vornehmer Leute bot.

Beim Weggehen sagte der Prinz übrigens ein Wort, das den Nagel auf
den Kopf traf. Lieber Herr Hartig, sagte er, ich danke Ihnen, und wenn Sie
erlauben, spreche ich einmal in andrer Jahreszeit in der Villa LÄns-xaieU
wieder vor. Ich hätte Sie anfangs fast beneidet; aber soweit soll es denn
doch nicht kommen. Sie haben das Glück, sich an fertigen Dingen freuen zu
können. Ich bin leider von jeher nur im fortwährenden Ungestalten, Einreißen
und Neuschaffen zu einiger Befriedigung gelangt. Gäbe der Herrgott mir das
Paradies selber in Hut, mit der Bedingung, daß ich zur Rolle eines bloßen
Custode darin verurteilt wäre, ich fürchte, ich müßte depreziren.

Custode -- ein fatales Wort! Glücklicherweise hatte niemand als der
Flügeladjutant das Wort gehört, nicht einmal Frau Anna.

Aber dem Fabrikanten war es im Ohre Hunger geblieben. Custode ...
es hatte einen sehr empfindlichen Nerv getroffen, das so harmlos hingesprochene
Wort.

Custode in dem eignen Besitztum! Man konnte sich nicht beißender aus¬
drücken. In der That, wem gehörte denn die Mustervilla? Die ganze gebildete
Welt hatte hier ein Recht, gegen ein Ungestalten, Einreißen, Neuschaffen, wie
der Prinz dergleichen liebte, Protest zu erheben. Der Prinz selbst war unter
den leidenschaftlichen Bewunderern der unübertrefflichen Schöpfung gewesen. Er
wollte wiederkommen. Es war unmöglich, daran zu rühren. Man hatte in
der Mustervilla etwas erworben, das mit dem Hildesheimer Silberfund, mit
der Venus von Milo, mit der Pyramide des Cheops auf gleicher Stufe stand.
Wie unglaublich die Sache auch war, antasten ließ sich die Villa nicht. Eigent¬
lich hätte sie Staatseigentum werden und solcherart für alle Zeit gegen Bar-
barenhünde geschlitzt werden sollen.


Auf der Leiter des Glücks,

Orchester alles aufs feinste abgestimmt, sodaß jede wirkliche Änderung einen
grellen Mißton hervorgerufen haben würde.

Es kamen wiederum zahlreiche von dem Architekten, dem Hofgärtner, dem
Lieferanten der Sonnenuhr und dem Verfertiger der Mittagskanone auf die
Hartigsche Villa aufmerksam gemachte Besucher, und das Ehepaar erlebte von
neuem die Freude — soweit es eine war —, das Besitztum für die gelungenste
Lösung der in dem Worte Villa liegenden Aufgabe erklärt zu sehen. Der junge
Prinz Ottokar selbst ließ um die Erlaubnis bitten, deu Garten und die Treib¬
häuser besehen zu dürfen, und so wenig das Hartigsche Paar auch in klein¬
städtischen Begriffen über die Größe der ihm dadurch zugedachten Ehre be¬
fangen war, und so schicklich einfach es sich auch für den Empfang des Prinzen
kostümirte, das Geschäft des Herumführens, Zeigers und Erklürens gestaltete
sich doch für Kaspar Benedikt zu einem nicht unbefriedigender Exerzitium im
Umgang mit Menschen höherer Gattung, für Frau Anna aber gar zu einem
wirklichen Vergnügen, das ihr noch Wochen lang Stoff zu allerhand kleinen
Bemerkungen über die beneidenswerte Tournllre vornehmer Leute bot.

Beim Weggehen sagte der Prinz übrigens ein Wort, das den Nagel auf
den Kopf traf. Lieber Herr Hartig, sagte er, ich danke Ihnen, und wenn Sie
erlauben, spreche ich einmal in andrer Jahreszeit in der Villa LÄns-xaieU
wieder vor. Ich hätte Sie anfangs fast beneidet; aber soweit soll es denn
doch nicht kommen. Sie haben das Glück, sich an fertigen Dingen freuen zu
können. Ich bin leider von jeher nur im fortwährenden Ungestalten, Einreißen
und Neuschaffen zu einiger Befriedigung gelangt. Gäbe der Herrgott mir das
Paradies selber in Hut, mit der Bedingung, daß ich zur Rolle eines bloßen
Custode darin verurteilt wäre, ich fürchte, ich müßte depreziren.

Custode — ein fatales Wort! Glücklicherweise hatte niemand als der
Flügeladjutant das Wort gehört, nicht einmal Frau Anna.

Aber dem Fabrikanten war es im Ohre Hunger geblieben. Custode ...
es hatte einen sehr empfindlichen Nerv getroffen, das so harmlos hingesprochene
Wort.

Custode in dem eignen Besitztum! Man konnte sich nicht beißender aus¬
drücken. In der That, wem gehörte denn die Mustervilla? Die ganze gebildete
Welt hatte hier ein Recht, gegen ein Ungestalten, Einreißen, Neuschaffen, wie
der Prinz dergleichen liebte, Protest zu erheben. Der Prinz selbst war unter
den leidenschaftlichen Bewunderern der unübertrefflichen Schöpfung gewesen. Er
wollte wiederkommen. Es war unmöglich, daran zu rühren. Man hatte in
der Mustervilla etwas erworben, das mit dem Hildesheimer Silberfund, mit
der Venus von Milo, mit der Pyramide des Cheops auf gleicher Stufe stand.
Wie unglaublich die Sache auch war, antasten ließ sich die Villa nicht. Eigent¬
lich hätte sie Staatseigentum werden und solcherart für alle Zeit gegen Bar-
barenhünde geschlitzt werden sollen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/110>, abgerufen am 30.06.2024.