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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

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Sachsens Runstleben im sechzehnten Jahrhundert.

früherer fürstlicher Pracht in der zum Teil unversehrt erhaltenen sächsischen Wappen¬
reihe über dem gewölbten Portale. Die Wiederherstellung der Kirche begann unter
Friedrich Wilhelm III. und endete mit der Einweihung im Jahre 1858. Aber
von den alten Kunstwerken sind nur noch die beiden Denkmäler Peter und
Hermann Wischers vorhanden. Der Reliquienschatz ist spurlos verschwunden.
Nach einer zeitgenössischen Notiz, die sich in dem Bamberger Exemplar des
Hciligtumsbüchleins befindet, soll er nach Einführung der Reformation unter
die protestantische Geistlichkeit verteilt worden sein; wahrscheinlich aber wurde
er in den Stürmen des schmalkaldischen Krieges geraubt. Nur in einem Punkte
war das Schicksal günstig: die hauptsächlichsten Bilder der Kirche sind erhalten.
Sie wurden schon lange vor dem Brande teils verschenkt, teils in Kunstkammern
versetzt und sind heute in verschieden Galerien zerstreut. Von Dürers
Werken befindet sich die Madonna mit den Engeln in Dresden, die Kreuzigung
Christi in Ober-Se. Veit bei Wien, die Anbetung der Könige in den Uffizien
zu Florenz, der Altar mit den Martern der Zehntausend im Wiener Belvedere,
während Burgkmairs Tafeln mit Sebastian und Veit im Germanischen Museum
zu Nürnberg prangen.

Besser erging es der Schöpfung Johann Friedrichs, dem Schlosse zu
Torgau. Der malerische Schmuck Lukas Cranachs ist freilich längst zerstört,
er fand bereits bei der Verwüstung des Schlosses durch die Spanier im schmal-
kaldischen Kriege seinen Untergang -- "schad umb die große Kunst!" setzt der
Schreiber der Zimmerischen Chronik, der von dem Ereignis berichtet, hinzu.
Das Schloß selbst aber steht noch und hat nach allerlei Schicksalen, nachdem
es im vorigen Jahrhundert zum Gefängnis, neuerdings zur Kaserne umge¬
wandelt wurde, noch jetzt sein ursprüngliches großartiges Gepräge bewahrt.

Über Dresden brach das Schicksal im dreißigjährigen Kriege herein. Die
Residenz der sächsischen Fürsten wurde zwar nie erobert oder belagert, verfiel
aber trotzdem mehr und mehr. Ein alter Chronist erzählt, man habe in jener
Zeit vom Markt aus über Brandstätten und Bantrümmer hinweg nach allen
vier Seiten ins Freie scheinen können. Ein Brand, welcher 1701 das Schloß
verwüstete, vollendete den Niedergang. Nicht eines von Dresdens Wahrzeichen
hat sich in alter Gestalt erhalten. Spätere Jahrhunderte drückten Dresden
ihren Stempel auf, anstatt einer Hauptstadt der Renaissance ist es für ganz
Deutschland die Wiege des Rococo geworden. Die Stiche Merians erscheinen
uns als etwas durchaus Fremdes, und man kann sich nur mühevoll die alte
Herrlichkeit einigermaßen zusammensetzen. Das Äußere des Schlosses erinnert
nur wenig mehr an jene Zeit. Von dem plastischen Schmucke des Georgcn-
baues ist fast nichts mehr an Ort und Stelle, nur wer nach dem Neustädter
Friedhof wandert, kann wenigstens den großen Totentanz dort noch bewundern.
Die prächtigen Fresken des Moritzbaues sind ebenfalls längst zerstört, und nur
im Innern, in den malerischen Höfen erhielt sich ein Hauch jeuer Zeit, während


Sachsens Runstleben im sechzehnten Jahrhundert.

früherer fürstlicher Pracht in der zum Teil unversehrt erhaltenen sächsischen Wappen¬
reihe über dem gewölbten Portale. Die Wiederherstellung der Kirche begann unter
Friedrich Wilhelm III. und endete mit der Einweihung im Jahre 1858. Aber
von den alten Kunstwerken sind nur noch die beiden Denkmäler Peter und
Hermann Wischers vorhanden. Der Reliquienschatz ist spurlos verschwunden.
Nach einer zeitgenössischen Notiz, die sich in dem Bamberger Exemplar des
Hciligtumsbüchleins befindet, soll er nach Einführung der Reformation unter
die protestantische Geistlichkeit verteilt worden sein; wahrscheinlich aber wurde
er in den Stürmen des schmalkaldischen Krieges geraubt. Nur in einem Punkte
war das Schicksal günstig: die hauptsächlichsten Bilder der Kirche sind erhalten.
Sie wurden schon lange vor dem Brande teils verschenkt, teils in Kunstkammern
versetzt und sind heute in verschieden Galerien zerstreut. Von Dürers
Werken befindet sich die Madonna mit den Engeln in Dresden, die Kreuzigung
Christi in Ober-Se. Veit bei Wien, die Anbetung der Könige in den Uffizien
zu Florenz, der Altar mit den Martern der Zehntausend im Wiener Belvedere,
während Burgkmairs Tafeln mit Sebastian und Veit im Germanischen Museum
zu Nürnberg prangen.

Besser erging es der Schöpfung Johann Friedrichs, dem Schlosse zu
Torgau. Der malerische Schmuck Lukas Cranachs ist freilich längst zerstört,
er fand bereits bei der Verwüstung des Schlosses durch die Spanier im schmal-
kaldischen Kriege seinen Untergang — „schad umb die große Kunst!" setzt der
Schreiber der Zimmerischen Chronik, der von dem Ereignis berichtet, hinzu.
Das Schloß selbst aber steht noch und hat nach allerlei Schicksalen, nachdem
es im vorigen Jahrhundert zum Gefängnis, neuerdings zur Kaserne umge¬
wandelt wurde, noch jetzt sein ursprüngliches großartiges Gepräge bewahrt.

Über Dresden brach das Schicksal im dreißigjährigen Kriege herein. Die
Residenz der sächsischen Fürsten wurde zwar nie erobert oder belagert, verfiel
aber trotzdem mehr und mehr. Ein alter Chronist erzählt, man habe in jener
Zeit vom Markt aus über Brandstätten und Bantrümmer hinweg nach allen
vier Seiten ins Freie scheinen können. Ein Brand, welcher 1701 das Schloß
verwüstete, vollendete den Niedergang. Nicht eines von Dresdens Wahrzeichen
hat sich in alter Gestalt erhalten. Spätere Jahrhunderte drückten Dresden
ihren Stempel auf, anstatt einer Hauptstadt der Renaissance ist es für ganz
Deutschland die Wiege des Rococo geworden. Die Stiche Merians erscheinen
uns als etwas durchaus Fremdes, und man kann sich nur mühevoll die alte
Herrlichkeit einigermaßen zusammensetzen. Das Äußere des Schlosses erinnert
nur wenig mehr an jene Zeit. Von dem plastischen Schmucke des Georgcn-
baues ist fast nichts mehr an Ort und Stelle, nur wer nach dem Neustädter
Friedhof wandert, kann wenigstens den großen Totentanz dort noch bewundern.
Die prächtigen Fresken des Moritzbaues sind ebenfalls längst zerstört, und nur
im Innern, in den malerischen Höfen erhielt sich ein Hauch jeuer Zeit, während


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[0096] Sachsens Runstleben im sechzehnten Jahrhundert. früherer fürstlicher Pracht in der zum Teil unversehrt erhaltenen sächsischen Wappen¬ reihe über dem gewölbten Portale. Die Wiederherstellung der Kirche begann unter Friedrich Wilhelm III. und endete mit der Einweihung im Jahre 1858. Aber von den alten Kunstwerken sind nur noch die beiden Denkmäler Peter und Hermann Wischers vorhanden. Der Reliquienschatz ist spurlos verschwunden. Nach einer zeitgenössischen Notiz, die sich in dem Bamberger Exemplar des Hciligtumsbüchleins befindet, soll er nach Einführung der Reformation unter die protestantische Geistlichkeit verteilt worden sein; wahrscheinlich aber wurde er in den Stürmen des schmalkaldischen Krieges geraubt. Nur in einem Punkte war das Schicksal günstig: die hauptsächlichsten Bilder der Kirche sind erhalten. Sie wurden schon lange vor dem Brande teils verschenkt, teils in Kunstkammern versetzt und sind heute in verschieden Galerien zerstreut. Von Dürers Werken befindet sich die Madonna mit den Engeln in Dresden, die Kreuzigung Christi in Ober-Se. Veit bei Wien, die Anbetung der Könige in den Uffizien zu Florenz, der Altar mit den Martern der Zehntausend im Wiener Belvedere, während Burgkmairs Tafeln mit Sebastian und Veit im Germanischen Museum zu Nürnberg prangen. Besser erging es der Schöpfung Johann Friedrichs, dem Schlosse zu Torgau. Der malerische Schmuck Lukas Cranachs ist freilich längst zerstört, er fand bereits bei der Verwüstung des Schlosses durch die Spanier im schmal- kaldischen Kriege seinen Untergang — „schad umb die große Kunst!" setzt der Schreiber der Zimmerischen Chronik, der von dem Ereignis berichtet, hinzu. Das Schloß selbst aber steht noch und hat nach allerlei Schicksalen, nachdem es im vorigen Jahrhundert zum Gefängnis, neuerdings zur Kaserne umge¬ wandelt wurde, noch jetzt sein ursprüngliches großartiges Gepräge bewahrt. Über Dresden brach das Schicksal im dreißigjährigen Kriege herein. Die Residenz der sächsischen Fürsten wurde zwar nie erobert oder belagert, verfiel aber trotzdem mehr und mehr. Ein alter Chronist erzählt, man habe in jener Zeit vom Markt aus über Brandstätten und Bantrümmer hinweg nach allen vier Seiten ins Freie scheinen können. Ein Brand, welcher 1701 das Schloß verwüstete, vollendete den Niedergang. Nicht eines von Dresdens Wahrzeichen hat sich in alter Gestalt erhalten. Spätere Jahrhunderte drückten Dresden ihren Stempel auf, anstatt einer Hauptstadt der Renaissance ist es für ganz Deutschland die Wiege des Rococo geworden. Die Stiche Merians erscheinen uns als etwas durchaus Fremdes, und man kann sich nur mühevoll die alte Herrlichkeit einigermaßen zusammensetzen. Das Äußere des Schlosses erinnert nur wenig mehr an jene Zeit. Von dem plastischen Schmucke des Georgcn- baues ist fast nichts mehr an Ort und Stelle, nur wer nach dem Neustädter Friedhof wandert, kann wenigstens den großen Totentanz dort noch bewundern. Die prächtigen Fresken des Moritzbaues sind ebenfalls längst zerstört, und nur im Innern, in den malerischen Höfen erhielt sich ein Hauch jeuer Zeit, während

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/96>, abgerufen am 29.12.2024.