Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.Die Leipziger Geivandhauskonzerte. jetzt noch nicht alles faßbar sei, dürften schwerlich über Wagner nachzuweisen sein. Und wenn wir nun zu unserm Goethischen Gleichnis zurückkehren und Die Leipziger Geivandhauskonzerte. jetzt noch nicht alles faßbar sei, dürften schwerlich über Wagner nachzuweisen sein. Und wenn wir nun zu unserm Goethischen Gleichnis zurückkehren und <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0647" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/157572"/> <fw type="header" place="top"> Die Leipziger Geivandhauskonzerte.</fw><lb/> <p xml:id="ID_2234" prev="#ID_2233"> jetzt noch nicht alles faßbar sei, dürften schwerlich über Wagner nachzuweisen sein.<lb/> Allzugrvße Tiefe ist wohl der letzte Vorwurf, der Wagners Musik zu machen<lb/> wäre; wie könnte sonst die große Masse sich an ihr berauschen? Wohl aber<lb/> sind genau solche Urteile, wie die von Rochlitz über Beethoven, dreißig Jahre<lb/> später wieder über Schumann, fünfzig Jahre später über Brahms gefällt<lb/> worden; auch an Kritikern g. In Fink und an noch beschränkteren hat es ihnen<lb/> nicht gefehlt. Aber auch hier hat sich später dieselbe Wandlung vollzogen<lb/> oder ist zum Teil noch im Begriffe sich zu vollziehen, wie in der Beurteilung<lb/> Beethovens. Als Schumanns Stern auftauchte, erschien er den spezifischen Freunden<lb/> Mendelssohns wie ein bedrohliches Meteor, das am Ende den Stern ihres Lieb¬<lb/> lings überstrahlen möchte; Schumann wurde vielfach angefeindet und niederge¬<lb/> halten. Allmählich bequemte man sich dazu, ihn ueben Mendelssohn gelten zu lassen.<lb/> Dann kam gar eine Zeit, wo selbst in den Leipziger Gewandhauskonzerten der -<lb/> Ruf erscholl: Zu viel Mendelssohn! auf den die exklusiven Mendelssohnverehrer<lb/> nur noch mit der resignirten Klage antworteten, es „werde jetzt leider Mode,"<lb/> geringschätzig auf Mendelssohn herabzublicken. Und heute? Nun, man ver¬<lb/> gleiche in unsrer Statistik die Namen Mendelssohn und Schumann während der<lb/> Jahre 1870-1881. In diesen zwölf Jahren sind zwölfmal Mendelssohnsche<lb/> Symphonien im Gewandhause aufgeführt worden, Schumanusche — einundvierzig-<lb/> mal! Ja, die bösen Zahlen, sie reden gar eine deutliche Sprache! Und genau<lb/> so wie Schumann ist es anfangs Brahms ergangen und ergeht ihm zum guten<lb/> Teil uoch heute so. Aber auch hier sind wir schon mitten drin im Umschwung.<lb/> Ganz wie einst bei Schumann, gewöhnen sich immer weitere Kreise, zunächst an<lb/> den kleineren, faßlicheren Formen des Liedes, an die neue und eigentümliche<lb/> Brahmsschc Sprache; ist sie ihnen nur da erst lieb und vertraut geworden, so<lb/> finden sie den Weg schon weiter.</p><lb/> <p xml:id="ID_2235"> Und wenn wir nun zu unserm Goethischen Gleichnis zurückkehren und<lb/> fragen: Wer von den genannten fünf wird nach fünfzig, nach hundert Jahren<lb/> bei den Göttern am sichern Ufer des Stromes stehen? so kann die Antwort<lb/> nur lauten: Lißt wird vergessen sein; Wagner und Mendelssohn werden uoch<lb/> lange im Strome treiben, ob sie aber jemals aus Ufer gelangen werden, ist zweifel¬<lb/> haft, ja es ist wohl so gut wie sicher, daß sie der Zeit ihren Tribut bringen<lb/> werden. Schumann aber und Brahms — sie werden am Ufer stehen bei<lb/> unsern großen Klassikern. Das ist zwar nichts als eine Prophezeiung, aber<lb/> doch eine Prophezeiung, für deren Richtigkeit die Statistik bereits anfängt<lb/> die Beweise zu liefern. Wenn unsre Gewandhauskonzerte ihrer Aufgabe und<lb/> ihrer großen Vergangenheit treu bleiben, so werden sie an ihrem Teile dazu bei¬<lb/> tragen, diese Prophezeiung wahr zu machen.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0647]
Die Leipziger Geivandhauskonzerte.
jetzt noch nicht alles faßbar sei, dürften schwerlich über Wagner nachzuweisen sein.
Allzugrvße Tiefe ist wohl der letzte Vorwurf, der Wagners Musik zu machen
wäre; wie könnte sonst die große Masse sich an ihr berauschen? Wohl aber
sind genau solche Urteile, wie die von Rochlitz über Beethoven, dreißig Jahre
später wieder über Schumann, fünfzig Jahre später über Brahms gefällt
worden; auch an Kritikern g. In Fink und an noch beschränkteren hat es ihnen
nicht gefehlt. Aber auch hier hat sich später dieselbe Wandlung vollzogen
oder ist zum Teil noch im Begriffe sich zu vollziehen, wie in der Beurteilung
Beethovens. Als Schumanns Stern auftauchte, erschien er den spezifischen Freunden
Mendelssohns wie ein bedrohliches Meteor, das am Ende den Stern ihres Lieb¬
lings überstrahlen möchte; Schumann wurde vielfach angefeindet und niederge¬
halten. Allmählich bequemte man sich dazu, ihn ueben Mendelssohn gelten zu lassen.
Dann kam gar eine Zeit, wo selbst in den Leipziger Gewandhauskonzerten der -
Ruf erscholl: Zu viel Mendelssohn! auf den die exklusiven Mendelssohnverehrer
nur noch mit der resignirten Klage antworteten, es „werde jetzt leider Mode,"
geringschätzig auf Mendelssohn herabzublicken. Und heute? Nun, man ver¬
gleiche in unsrer Statistik die Namen Mendelssohn und Schumann während der
Jahre 1870-1881. In diesen zwölf Jahren sind zwölfmal Mendelssohnsche
Symphonien im Gewandhause aufgeführt worden, Schumanusche — einundvierzig-
mal! Ja, die bösen Zahlen, sie reden gar eine deutliche Sprache! Und genau
so wie Schumann ist es anfangs Brahms ergangen und ergeht ihm zum guten
Teil uoch heute so. Aber auch hier sind wir schon mitten drin im Umschwung.
Ganz wie einst bei Schumann, gewöhnen sich immer weitere Kreise, zunächst an
den kleineren, faßlicheren Formen des Liedes, an die neue und eigentümliche
Brahmsschc Sprache; ist sie ihnen nur da erst lieb und vertraut geworden, so
finden sie den Weg schon weiter.
Und wenn wir nun zu unserm Goethischen Gleichnis zurückkehren und
fragen: Wer von den genannten fünf wird nach fünfzig, nach hundert Jahren
bei den Göttern am sichern Ufer des Stromes stehen? so kann die Antwort
nur lauten: Lißt wird vergessen sein; Wagner und Mendelssohn werden uoch
lange im Strome treiben, ob sie aber jemals aus Ufer gelangen werden, ist zweifel¬
haft, ja es ist wohl so gut wie sicher, daß sie der Zeit ihren Tribut bringen
werden. Schumann aber und Brahms — sie werden am Ufer stehen bei
unsern großen Klassikern. Das ist zwar nichts als eine Prophezeiung, aber
doch eine Prophezeiung, für deren Richtigkeit die Statistik bereits anfängt
die Beweise zu liefern. Wenn unsre Gewandhauskonzerte ihrer Aufgabe und
ihrer großen Vergangenheit treu bleiben, so werden sie an ihrem Teile dazu bei¬
tragen, diese Prophezeiung wahr zu machen.
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