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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

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Die Leipziger Gewandhauskonzerte.

ein ziemlich weit ausladender Balkon. Vergleicht man diese Einrichtung mit
dem völlig schachtelförmig gebauten alten Saale, dessen Galerien und Logen
gleichsam hinter der durchbrochenen Schachtelwand liegen und in welchem die
Schallwellen völlig ungehindert an den glatten Wänden hinstreichen können, so
mußte man allerdings wegen des Einflusses, den namentlich die vorspringenden
Galerien des neuen Saales auf die Schallwellen haben würden, in einiger
Besorgnis sein. Der Klang erweist sich aber überall auch bei großer Kraft so
rund, weich und edel, daß man sich unwillkürlich fragt, ob die Rede von der
unvergleichlichen Akustik des alten Saales nicht am Ende eine bloße lÄbls
<Z0v.?suus gewesen.

Freilich wollen wir nicht übersehen, daß zu dem überraschend günstigen
Ergebnis, welches die ersten Konzerte geliefert haben, auch der überraschende
Eindruck beiträgt, den die reiche künstlerische Ausschmückung des imposanten
Saales auf jeden Besucher gemacht hat. Als die ersten Takte Beethoven er¬
klangen, hatte man das Gefühl wie Goethes Sänger:


Im Saal voll Pracht und Herrlichkeit
Schließt Augen euch, hier ist nicht Zeit,
Sich staunend zu ergötzen.

In den schlichten, anspruchslosen Räumen des kleinen alten Saales mit seinem
gedämpften Lichte und seinen verdeckten Logen wurde das Auge durch garnichts
in Anspruch genommen, höchstens durch einen oder ein paar in nächster Nähe
mechanisch wedelnde Damenfächer -- eine recht abscheuliche Unsitte mancher
Konzertbesucherinnen --; nur das Ohr war beschäftigt. Anders im neuen
Saale. Hier heißt es: AxeotÄtuiu vsuiuut, vöuwirt, "xeotsutur ut ixWs; eine
Flut von Licht ergießt sich bis in die äußersten Ecken und Winkel, nirgends,
vielleicht mit Ausnahme einiger Sitze unter der Galerie, ist ein Plätzchen, wo
man behaglich in reosWu lauschen könnte, das ganze Publikum sitzt wie auf
dem Präsentirteller, und dazu nun die Farbenpracht der Decken- und Wand¬
malereien, der Glanz der Orgel und der Kronleuchter -- ist es ein Wunder,
wenn die Sinneseindrücke sich anfangs vermengen, die Wonne des Schemens
und die Wonne des Hörens in einander fließen? Die Zeit erst wird hier volle
Klarheit schaffen, und sie wird es jedenfalls bald thun. An nichts gewöhnt
sich ja der Mensch schneller als an eine prächtige Umgebung; ist diese Gewöhnung
erst erfolgt, dann wird sich mit voller Bestimmtheit sagen lassen, ob der erste
Gesamteindruck auch der richtige gewesen. Wir zweifeln indes nicht daran, daß
dies der Fall sein wird, und darum stimmen wir schon jetzt mit vollem Herzen
in die Siegesfreude ein, die alle Beteiligten ob des gelungenen Werkes erfüllt.

Eben diese rasche Gewöhnungsfähigkeit des Menschen legt aber noch einen
andern Gedanken nahe. Die Konzertdirektion hat mit den drei Einweihungs¬
konzerten (Ouvertüre "Die Weihe des Hauses," Psalm von Mendelssohn und
Neunte Symphonie im ersten, der Messias im zweiten, Haydns Uf-aur-sha-


Die Leipziger Gewandhauskonzerte.

ein ziemlich weit ausladender Balkon. Vergleicht man diese Einrichtung mit
dem völlig schachtelförmig gebauten alten Saale, dessen Galerien und Logen
gleichsam hinter der durchbrochenen Schachtelwand liegen und in welchem die
Schallwellen völlig ungehindert an den glatten Wänden hinstreichen können, so
mußte man allerdings wegen des Einflusses, den namentlich die vorspringenden
Galerien des neuen Saales auf die Schallwellen haben würden, in einiger
Besorgnis sein. Der Klang erweist sich aber überall auch bei großer Kraft so
rund, weich und edel, daß man sich unwillkürlich fragt, ob die Rede von der
unvergleichlichen Akustik des alten Saales nicht am Ende eine bloße lÄbls
<Z0v.?suus gewesen.

Freilich wollen wir nicht übersehen, daß zu dem überraschend günstigen
Ergebnis, welches die ersten Konzerte geliefert haben, auch der überraschende
Eindruck beiträgt, den die reiche künstlerische Ausschmückung des imposanten
Saales auf jeden Besucher gemacht hat. Als die ersten Takte Beethoven er¬
klangen, hatte man das Gefühl wie Goethes Sänger:


Im Saal voll Pracht und Herrlichkeit
Schließt Augen euch, hier ist nicht Zeit,
Sich staunend zu ergötzen.

In den schlichten, anspruchslosen Räumen des kleinen alten Saales mit seinem
gedämpften Lichte und seinen verdeckten Logen wurde das Auge durch garnichts
in Anspruch genommen, höchstens durch einen oder ein paar in nächster Nähe
mechanisch wedelnde Damenfächer — eine recht abscheuliche Unsitte mancher
Konzertbesucherinnen —; nur das Ohr war beschäftigt. Anders im neuen
Saale. Hier heißt es: AxeotÄtuiu vsuiuut, vöuwirt, «xeotsutur ut ixWs; eine
Flut von Licht ergießt sich bis in die äußersten Ecken und Winkel, nirgends,
vielleicht mit Ausnahme einiger Sitze unter der Galerie, ist ein Plätzchen, wo
man behaglich in reosWu lauschen könnte, das ganze Publikum sitzt wie auf
dem Präsentirteller, und dazu nun die Farbenpracht der Decken- und Wand¬
malereien, der Glanz der Orgel und der Kronleuchter — ist es ein Wunder,
wenn die Sinneseindrücke sich anfangs vermengen, die Wonne des Schemens
und die Wonne des Hörens in einander fließen? Die Zeit erst wird hier volle
Klarheit schaffen, und sie wird es jedenfalls bald thun. An nichts gewöhnt
sich ja der Mensch schneller als an eine prächtige Umgebung; ist diese Gewöhnung
erst erfolgt, dann wird sich mit voller Bestimmtheit sagen lassen, ob der erste
Gesamteindruck auch der richtige gewesen. Wir zweifeln indes nicht daran, daß
dies der Fall sein wird, und darum stimmen wir schon jetzt mit vollem Herzen
in die Siegesfreude ein, die alle Beteiligten ob des gelungenen Werkes erfüllt.

Eben diese rasche Gewöhnungsfähigkeit des Menschen legt aber noch einen
andern Gedanken nahe. Die Konzertdirektion hat mit den drei Einweihungs¬
konzerten (Ouvertüre „Die Weihe des Hauses," Psalm von Mendelssohn und
Neunte Symphonie im ersten, der Messias im zweiten, Haydns Uf-aur-sha-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/640>, abgerufen am 28.12.2024.