Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.Paul Heyses Gedichte. leugnen, daß viele moderne Lyriker hierin -- in dieser rückhaltlosen Offenheit -- Zu diesen Bemerkungen giebt der Dichter durch seine eigne Reflexion die Was den Modernen gebricht? Sie gehn zur Natur von der Kunst aus. dieses Motto darf gewiß, ohne Ungerechtigkeit, über Heyses eignen Entwicklungs¬
Paul Heyses Gedichte. leugnen, daß viele moderne Lyriker hierin — in dieser rückhaltlosen Offenheit — Zu diesen Bemerkungen giebt der Dichter durch seine eigne Reflexion die Was den Modernen gebricht? Sie gehn zur Natur von der Kunst aus. dieses Motto darf gewiß, ohne Ungerechtigkeit, über Heyses eignen Entwicklungs¬
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0632" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/157557"/> <fw type="header" place="top"> Paul Heyses Gedichte.</fw><lb/> <p xml:id="ID_2186" prev="#ID_2185"> leugnen, daß viele moderne Lyriker hierin — in dieser rückhaltlosen Offenheit —<lb/> weitergehen, als es unsre Klassiker, als Goethe und Schiller, vollends der so<lb/> keusche Uhland gethan haben. Die Lyrik gewann dadurch stark an subjektivem<lb/> Gepräge, und noch immer ist das energische Hervortreten der vollen Subjek¬<lb/> tivität von anziehendsten Reize gewesen; nur muß man diesen Reiz vom rein<lb/> künstlerisch formalen zu trennen wissen.</p><lb/> <p xml:id="ID_2187"> Zu diesen Bemerkungen giebt der Dichter durch seine eigne Reflexion die<lb/> Anregung. Überhaupt dürfte es schwer sein, etwas Wesentliches über ihn zu<lb/> sagen, was er nicht selbst schon mehr oder minder deutlich irgendwo ausge¬<lb/> sprochen hätte; auch dieser Zug gehört zu seinem persönlichen Charakterbild«.<lb/> Das Motto, welches er der Abteilung „Kunst und Künstler" voranstellt:</p><lb/> <quote> Was den Modernen gebricht? Sie gehn zur Natur von der Kunst aus.<lb/> Glückliche Alten! Natur leitet' euch sicher zur Kunst —</quote><lb/> <p xml:id="ID_2188"> dieses Motto darf gewiß, ohne Ungerechtigkeit, über Heyses eignen Entwicklungs¬<lb/> gang gesetzt werden. In wunderbarer Mischung vereinigt er in sich Naturell und<lb/> Reflexion. Nicht immer haben diese beiden Anlagen in Frieden bei einander<lb/> gestanden. Hesse hat die ganze Tiefe des Zwiespaltes derselben wie nur je<lb/> einer durchgefühlt, hat sie ja auch, beiläufig bemerkt, in einer seiner bedeu¬<lb/> tendsten Novellen geistvoll dargestellt (Erkenne dich selbst). Aus der ureigensten<lb/> Erfahrung, aus dem Selbsterlebnis beim Gange durch die Welt hat er sich<lb/> seine Lebensideale eben aus der Erkenntnis dieses Zwiespalts und der sehn¬<lb/> suchtsvollen Verehrung der harmonischen Natur geschaffen; was mau „Glück"<lb/> nennt, ist ihm ein relativer Begriff geworden, der nur durch die volle Befrie¬<lb/> digung des natürlichen Strebens nach Einheit mit sich selbst realisirt werden kann;<lb/> und seine Entwicklung als Künstler nahm schließlich den höchsten Zug, Natur<lb/> und Reflexion zu vereinigen, da ihm nur so allein persönliches Glück wie Meister¬<lb/> schaft in der Kunst bestehen kann. In einem der gehaltvollsten von den ge¬<lb/> dankenreichen „Reisebriefen," welche Heyse im Winter 1877 bis 1878 aus Rom<lb/> an seine Freunde schrieb, in den Terzinen an Arnold Böcklin in Florenz, faßt<lb/> er diese Gedanken in die schönste Form. Er erzählt, wie ihm bei der neulichen<lb/> Wanderung auf Stätten, wo er vor fünfundzwanzig Jahren, „ein grüner, junger<lb/> Dichter," in Gesellschaft mehrerer Maler eine bacchantisch übermütige Künstler¬<lb/> stunde verbracht, die Erinnerung an einen Freund Franz kam (das Original<lb/> des gleichnamigen Helden in „Erkenne dich selbst"?), der mitten aus dem tollen<lb/> Treiben der Künstler sich davonschlich, um seinen Grübeleien nachzuhängen.<lb/> Heyse schlich ihm damals nach und vernahm einen philosophirenden Monolog<lb/> des nachdenklichen Freundes. Und er schließt:</p><lb/> <quote> <lg xml:id="POEMID_20" type="poem"> <l> Genug! Laß mich Erinnrung nicht entweihn,<lb/> Nachstammelnd jene gottverworrnen Worte,<lb/> Die mir das Blut erregt wie heißer Wein.</l> </lg> </quote><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0632]
Paul Heyses Gedichte.
leugnen, daß viele moderne Lyriker hierin — in dieser rückhaltlosen Offenheit —
weitergehen, als es unsre Klassiker, als Goethe und Schiller, vollends der so
keusche Uhland gethan haben. Die Lyrik gewann dadurch stark an subjektivem
Gepräge, und noch immer ist das energische Hervortreten der vollen Subjek¬
tivität von anziehendsten Reize gewesen; nur muß man diesen Reiz vom rein
künstlerisch formalen zu trennen wissen.
Zu diesen Bemerkungen giebt der Dichter durch seine eigne Reflexion die
Anregung. Überhaupt dürfte es schwer sein, etwas Wesentliches über ihn zu
sagen, was er nicht selbst schon mehr oder minder deutlich irgendwo ausge¬
sprochen hätte; auch dieser Zug gehört zu seinem persönlichen Charakterbild«.
Das Motto, welches er der Abteilung „Kunst und Künstler" voranstellt:
Was den Modernen gebricht? Sie gehn zur Natur von der Kunst aus.
Glückliche Alten! Natur leitet' euch sicher zur Kunst —
dieses Motto darf gewiß, ohne Ungerechtigkeit, über Heyses eignen Entwicklungs¬
gang gesetzt werden. In wunderbarer Mischung vereinigt er in sich Naturell und
Reflexion. Nicht immer haben diese beiden Anlagen in Frieden bei einander
gestanden. Hesse hat die ganze Tiefe des Zwiespaltes derselben wie nur je
einer durchgefühlt, hat sie ja auch, beiläufig bemerkt, in einer seiner bedeu¬
tendsten Novellen geistvoll dargestellt (Erkenne dich selbst). Aus der ureigensten
Erfahrung, aus dem Selbsterlebnis beim Gange durch die Welt hat er sich
seine Lebensideale eben aus der Erkenntnis dieses Zwiespalts und der sehn¬
suchtsvollen Verehrung der harmonischen Natur geschaffen; was mau „Glück"
nennt, ist ihm ein relativer Begriff geworden, der nur durch die volle Befrie¬
digung des natürlichen Strebens nach Einheit mit sich selbst realisirt werden kann;
und seine Entwicklung als Künstler nahm schließlich den höchsten Zug, Natur
und Reflexion zu vereinigen, da ihm nur so allein persönliches Glück wie Meister¬
schaft in der Kunst bestehen kann. In einem der gehaltvollsten von den ge¬
dankenreichen „Reisebriefen," welche Heyse im Winter 1877 bis 1878 aus Rom
an seine Freunde schrieb, in den Terzinen an Arnold Böcklin in Florenz, faßt
er diese Gedanken in die schönste Form. Er erzählt, wie ihm bei der neulichen
Wanderung auf Stätten, wo er vor fünfundzwanzig Jahren, „ein grüner, junger
Dichter," in Gesellschaft mehrerer Maler eine bacchantisch übermütige Künstler¬
stunde verbracht, die Erinnerung an einen Freund Franz kam (das Original
des gleichnamigen Helden in „Erkenne dich selbst"?), der mitten aus dem tollen
Treiben der Künstler sich davonschlich, um seinen Grübeleien nachzuhängen.
Heyse schlich ihm damals nach und vernahm einen philosophirenden Monolog
des nachdenklichen Freundes. Und er schließt:
Genug! Laß mich Erinnrung nicht entweihn,
Nachstammelnd jene gottverworrnen Worte,
Die mir das Blut erregt wie heißer Wein.
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |