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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

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Ofisters Mühle.
Wilhelm Raabe. Ein Sommerferienheft von
(Fortsetzung.)

ÄWFräulein Albertine erhob sich von ihrem Stuhl am Fenster, und
wenn mein Exmentor sich vor der jungen Dame so sehr fürchtete,
so geschah doch augenblicklich nicht das geringste, was ihm ferner¬
hin Gründe dazu hätte geben können.
Ruhig reichte das Fräulein uns beiden ihre Hand.
Sie sind dem Vater nicht begegnet, Herr Doktor? Er hatte
die Absicht, Sie in der Mühle aufzusuchen, Herr Pfister -- wollen die Herren
sich nicht ein wenig setzen?

Sie wies uns an die zwei schlechten Bauerschemel mit der Handbewegung
einer königlichen Prinzessin, die sie auch war. So unbefangen, wie nur die vor¬
nehmste Dame unter den bänglichsten gesellschaftlichen Umständen sein kann,
nahm sie selber wieder Platz. Ihre schöne, mutige Seelenkraft trat in der ärm¬
lichsten, kahlsten, trostlosesten Umgebung nur umso glorreicher hervor, und sogar
lächelnd wiederholte sie ihre Handbewegung.

Aber Adam Asche, der vor Minuten noch alles, was er in der Welt be¬
deutete, für einen dieser Stühle hingegeben haben würde, zögerte jetzt in son¬
derbarer Unruhe, Besitz zu nehmen.

Er fingerte nervös an der Lehne des seinigen.

Nach Pfisters Mühle? . . . Dann müßte er uns doch begegnet sein! . . .
Sollte er nicht wieder einmal den Weg nach Krickerode gegangen sein, Fräu¬
lein A-- gnädiges Fräulein . . . ?

Nun war es eine Thatsache, daß der arme Tragödiendichter seit längerer
Zeit mit Krickerode auf dem vertrautesten Fuße lebte. Unter dem jüngern Be¬
amtenpersonal der großen Fabrik, den Kommis, Buchhaltern und Technikern,
hatte er Freunde gefunden, die, wenn sie nicht zu seinem Wohlergehen, so doch
zu seinem Wohlbehagen, wie er das jetzt leider verstand, ein erkleckliches bei¬
zutragen vermochten. Mit einer gewissen respektvollen Scheu noch machten sich
die Herren über ihn lustig; denn noch immer kamen Momente, in denen er die
jungen Leute durch sein Pathos, seinen grimmigen Witz und Sarkasmus und vor
allem durch sein Talent, seine Dichtungen selber vorzutragen, in Enthusiasmus
und auch Rührung versetzen konnte. Und da die Herren fast sämtlich Lebemänner




Ofisters Mühle.
Wilhelm Raabe. Ein Sommerferienheft von
(Fortsetzung.)

ÄWFräulein Albertine erhob sich von ihrem Stuhl am Fenster, und
wenn mein Exmentor sich vor der jungen Dame so sehr fürchtete,
so geschah doch augenblicklich nicht das geringste, was ihm ferner¬
hin Gründe dazu hätte geben können.
Ruhig reichte das Fräulein uns beiden ihre Hand.
Sie sind dem Vater nicht begegnet, Herr Doktor? Er hatte
die Absicht, Sie in der Mühle aufzusuchen, Herr Pfister — wollen die Herren
sich nicht ein wenig setzen?

Sie wies uns an die zwei schlechten Bauerschemel mit der Handbewegung
einer königlichen Prinzessin, die sie auch war. So unbefangen, wie nur die vor¬
nehmste Dame unter den bänglichsten gesellschaftlichen Umständen sein kann,
nahm sie selber wieder Platz. Ihre schöne, mutige Seelenkraft trat in der ärm¬
lichsten, kahlsten, trostlosesten Umgebung nur umso glorreicher hervor, und sogar
lächelnd wiederholte sie ihre Handbewegung.

Aber Adam Asche, der vor Minuten noch alles, was er in der Welt be¬
deutete, für einen dieser Stühle hingegeben haben würde, zögerte jetzt in son¬
derbarer Unruhe, Besitz zu nehmen.

Er fingerte nervös an der Lehne des seinigen.

Nach Pfisters Mühle? . . . Dann müßte er uns doch begegnet sein! . . .
Sollte er nicht wieder einmal den Weg nach Krickerode gegangen sein, Fräu¬
lein A— gnädiges Fräulein . . . ?

Nun war es eine Thatsache, daß der arme Tragödiendichter seit längerer
Zeit mit Krickerode auf dem vertrautesten Fuße lebte. Unter dem jüngern Be¬
amtenpersonal der großen Fabrik, den Kommis, Buchhaltern und Technikern,
hatte er Freunde gefunden, die, wenn sie nicht zu seinem Wohlergehen, so doch
zu seinem Wohlbehagen, wie er das jetzt leider verstand, ein erkleckliches bei¬
zutragen vermochten. Mit einer gewissen respektvollen Scheu noch machten sich
die Herren über ihn lustig; denn noch immer kamen Momente, in denen er die
jungen Leute durch sein Pathos, seinen grimmigen Witz und Sarkasmus und vor
allem durch sein Talent, seine Dichtungen selber vorzutragen, in Enthusiasmus
und auch Rührung versetzen konnte. Und da die Herren fast sämtlich Lebemänner


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[0598] [Abbildung] Ofisters Mühle. Wilhelm Raabe. Ein Sommerferienheft von (Fortsetzung.) ÄWFräulein Albertine erhob sich von ihrem Stuhl am Fenster, und wenn mein Exmentor sich vor der jungen Dame so sehr fürchtete, so geschah doch augenblicklich nicht das geringste, was ihm ferner¬ hin Gründe dazu hätte geben können. Ruhig reichte das Fräulein uns beiden ihre Hand. Sie sind dem Vater nicht begegnet, Herr Doktor? Er hatte die Absicht, Sie in der Mühle aufzusuchen, Herr Pfister — wollen die Herren sich nicht ein wenig setzen? Sie wies uns an die zwei schlechten Bauerschemel mit der Handbewegung einer königlichen Prinzessin, die sie auch war. So unbefangen, wie nur die vor¬ nehmste Dame unter den bänglichsten gesellschaftlichen Umständen sein kann, nahm sie selber wieder Platz. Ihre schöne, mutige Seelenkraft trat in der ärm¬ lichsten, kahlsten, trostlosesten Umgebung nur umso glorreicher hervor, und sogar lächelnd wiederholte sie ihre Handbewegung. Aber Adam Asche, der vor Minuten noch alles, was er in der Welt be¬ deutete, für einen dieser Stühle hingegeben haben würde, zögerte jetzt in son¬ derbarer Unruhe, Besitz zu nehmen. Er fingerte nervös an der Lehne des seinigen. Nach Pfisters Mühle? . . . Dann müßte er uns doch begegnet sein! . . . Sollte er nicht wieder einmal den Weg nach Krickerode gegangen sein, Fräu¬ lein A— gnädiges Fräulein . . . ? Nun war es eine Thatsache, daß der arme Tragödiendichter seit längerer Zeit mit Krickerode auf dem vertrautesten Fuße lebte. Unter dem jüngern Be¬ amtenpersonal der großen Fabrik, den Kommis, Buchhaltern und Technikern, hatte er Freunde gefunden, die, wenn sie nicht zu seinem Wohlergehen, so doch zu seinem Wohlbehagen, wie er das jetzt leider verstand, ein erkleckliches bei¬ zutragen vermochten. Mit einer gewissen respektvollen Scheu noch machten sich die Herren über ihn lustig; denn noch immer kamen Momente, in denen er die jungen Leute durch sein Pathos, seinen grimmigen Witz und Sarkasmus und vor allem durch sein Talent, seine Dichtungen selber vorzutragen, in Enthusiasmus und auch Rührung versetzen konnte. Und da die Herren fast sämtlich Lebemänner

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/598>, abgerufen am 29.12.2024.