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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

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Unsre überseeische Politik und ihre Gegner.

Vollkommen unrecht! Diese Zahlen beweisen nicht die ganze Wahrheit. "Em¬
pfindung! wird Herr Bamberger ausrufen, Empfindung gegen Zahlen! Em¬
pfindung in einer Frage der Politik, der Volkswirtschaft!"

Ja, Empfindung, das ist es gerade, was unsern Freihändlern nur zu oft
abgeht und weshalb ihre Zahlen oft Nullen sind. Die Empfindung für das.
was sich in Zahlen und Mark nicht einsperren läßt, für die wirklichen nationalen
staatlichen Kräfte und Bedürfnisse; Empfindung des nationalen Bedürfnisses,
zu handeln, auch wo das Ergebnis der That nicht genau voraus berechnet werden
kann; der Notwendigkeit, noch um andre Macht zu ringen als die bloße Geld¬
macht; des Dranges, Übersee mehr zu sein als bloße schweifende Geldsucher.
Unser Freihändler leidet eben auch etwas an Übersichtigkeit. Wäre es nach
ihm gegangen, Amerika wäre vielleicht hente noch nicht entdeckt und das Vor¬
gebirge der guten Hoffnung nicht umschifft; denn bei diesen Unternehmungen
war die Wahrscheinlichkeit des Verlustes großer als die des Gewinnes. Herr
Bamberger hätte eine ebenso schlagende Rede als am 14. Juni gegen die Ein¬
führung des Pfennigportos gehalten, denn tausend Briefe zu zehn Pfennig
bringen mehr ein als tausend zu einem Pfennig; und: "sollen wir das Brief¬
porto herabsetzen, weil der Briefverkehr stark ist? dann wäre es unnütz; oder
weil er schwach ist? dann verdient er keine Unterstützung." Der Reichskanzler
verglich am 1. Dezember zutreffend diesen Standpunkt mit demjenigen, von
welchem aus einstmals gegen die ersten Eisenbahnen geeifert wurde. Was gegen
die staatliche Unterstützung von Handel lind Kolonisation gesagt wird, konnte
ebenso gut gegen den Bau der Gotthardbahu gesagt werden oder paßt in Zu¬
kunft auf den Bau des Nord-Ostsee-Kanals; wenigstens insoweit, als die Ver¬
zinsung dieser Unternehmungen im voraus nicht hergerechnet werden konnte.
Herr Bamberger gehört eben, wie der Reichskanzler mit dem ihm eignen sichern
Empfinden entgegnete, zu den klugen Leuten, die mit ihrer Klugheit den Augen¬
blick des Handelns versäumen; er übersieht das Einfache und Nahe, während
er die Welt mit Zahlen umspannt. Er beweist ganz genau, daß in Afrika
nichts zu holen sei, während der Engländer ohne viel Besinnen hingeht und
Goldfelder entdeckt. Der Mann hat eben Instinkt und Unternehmungssiuu.
Der Börsenmann aber kommt dann allenfalls hinterher und errichtet eine Gold-
Wäscherei auf Aktien. Wer von ihnen ist der Mann der That, wem gehört
die Arbeit, der neu erschlossene Boden? Soll ein kräftiges Volk nur immer
hinterher durch Aktiengesellschaften gewinnen, oder soll es selbst Goldfelder
suchen?

Von dem Standpunkte des reinen Gelderwerbes aus wäre der Aktieugewiun
vorzuziehen, denn er ist sicherer, leichter zu berechnen. Wo der Engländer, der
Holländer und andre vorbereitet haben, mag der Deutsche hingehen und schaffe"
und gewinnen; das ist sicherer, als der Erste auf unbekanntem Boden zu sein.
Der Gewinn ist freilich weder bei der Dampfersnbvention noch bei Kolonial-


Unsre überseeische Politik und ihre Gegner.

Vollkommen unrecht! Diese Zahlen beweisen nicht die ganze Wahrheit. „Em¬
pfindung! wird Herr Bamberger ausrufen, Empfindung gegen Zahlen! Em¬
pfindung in einer Frage der Politik, der Volkswirtschaft!"

Ja, Empfindung, das ist es gerade, was unsern Freihändlern nur zu oft
abgeht und weshalb ihre Zahlen oft Nullen sind. Die Empfindung für das.
was sich in Zahlen und Mark nicht einsperren läßt, für die wirklichen nationalen
staatlichen Kräfte und Bedürfnisse; Empfindung des nationalen Bedürfnisses,
zu handeln, auch wo das Ergebnis der That nicht genau voraus berechnet werden
kann; der Notwendigkeit, noch um andre Macht zu ringen als die bloße Geld¬
macht; des Dranges, Übersee mehr zu sein als bloße schweifende Geldsucher.
Unser Freihändler leidet eben auch etwas an Übersichtigkeit. Wäre es nach
ihm gegangen, Amerika wäre vielleicht hente noch nicht entdeckt und das Vor¬
gebirge der guten Hoffnung nicht umschifft; denn bei diesen Unternehmungen
war die Wahrscheinlichkeit des Verlustes großer als die des Gewinnes. Herr
Bamberger hätte eine ebenso schlagende Rede als am 14. Juni gegen die Ein¬
führung des Pfennigportos gehalten, denn tausend Briefe zu zehn Pfennig
bringen mehr ein als tausend zu einem Pfennig; und: „sollen wir das Brief¬
porto herabsetzen, weil der Briefverkehr stark ist? dann wäre es unnütz; oder
weil er schwach ist? dann verdient er keine Unterstützung." Der Reichskanzler
verglich am 1. Dezember zutreffend diesen Standpunkt mit demjenigen, von
welchem aus einstmals gegen die ersten Eisenbahnen geeifert wurde. Was gegen
die staatliche Unterstützung von Handel lind Kolonisation gesagt wird, konnte
ebenso gut gegen den Bau der Gotthardbahu gesagt werden oder paßt in Zu¬
kunft auf den Bau des Nord-Ostsee-Kanals; wenigstens insoweit, als die Ver¬
zinsung dieser Unternehmungen im voraus nicht hergerechnet werden konnte.
Herr Bamberger gehört eben, wie der Reichskanzler mit dem ihm eignen sichern
Empfinden entgegnete, zu den klugen Leuten, die mit ihrer Klugheit den Augen¬
blick des Handelns versäumen; er übersieht das Einfache und Nahe, während
er die Welt mit Zahlen umspannt. Er beweist ganz genau, daß in Afrika
nichts zu holen sei, während der Engländer ohne viel Besinnen hingeht und
Goldfelder entdeckt. Der Mann hat eben Instinkt und Unternehmungssiuu.
Der Börsenmann aber kommt dann allenfalls hinterher und errichtet eine Gold-
Wäscherei auf Aktien. Wer von ihnen ist der Mann der That, wem gehört
die Arbeit, der neu erschlossene Boden? Soll ein kräftiges Volk nur immer
hinterher durch Aktiengesellschaften gewinnen, oder soll es selbst Goldfelder
suchen?

Von dem Standpunkte des reinen Gelderwerbes aus wäre der Aktieugewiun
vorzuziehen, denn er ist sicherer, leichter zu berechnen. Wo der Engländer, der
Holländer und andre vorbereitet haben, mag der Deutsche hingehen und schaffe»
und gewinnen; das ist sicherer, als der Erste auf unbekanntem Boden zu sein.
Der Gewinn ist freilich weder bei der Dampfersnbvention noch bei Kolonial-


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[0568] Unsre überseeische Politik und ihre Gegner. Vollkommen unrecht! Diese Zahlen beweisen nicht die ganze Wahrheit. „Em¬ pfindung! wird Herr Bamberger ausrufen, Empfindung gegen Zahlen! Em¬ pfindung in einer Frage der Politik, der Volkswirtschaft!" Ja, Empfindung, das ist es gerade, was unsern Freihändlern nur zu oft abgeht und weshalb ihre Zahlen oft Nullen sind. Die Empfindung für das. was sich in Zahlen und Mark nicht einsperren läßt, für die wirklichen nationalen staatlichen Kräfte und Bedürfnisse; Empfindung des nationalen Bedürfnisses, zu handeln, auch wo das Ergebnis der That nicht genau voraus berechnet werden kann; der Notwendigkeit, noch um andre Macht zu ringen als die bloße Geld¬ macht; des Dranges, Übersee mehr zu sein als bloße schweifende Geldsucher. Unser Freihändler leidet eben auch etwas an Übersichtigkeit. Wäre es nach ihm gegangen, Amerika wäre vielleicht hente noch nicht entdeckt und das Vor¬ gebirge der guten Hoffnung nicht umschifft; denn bei diesen Unternehmungen war die Wahrscheinlichkeit des Verlustes großer als die des Gewinnes. Herr Bamberger hätte eine ebenso schlagende Rede als am 14. Juni gegen die Ein¬ führung des Pfennigportos gehalten, denn tausend Briefe zu zehn Pfennig bringen mehr ein als tausend zu einem Pfennig; und: „sollen wir das Brief¬ porto herabsetzen, weil der Briefverkehr stark ist? dann wäre es unnütz; oder weil er schwach ist? dann verdient er keine Unterstützung." Der Reichskanzler verglich am 1. Dezember zutreffend diesen Standpunkt mit demjenigen, von welchem aus einstmals gegen die ersten Eisenbahnen geeifert wurde. Was gegen die staatliche Unterstützung von Handel lind Kolonisation gesagt wird, konnte ebenso gut gegen den Bau der Gotthardbahu gesagt werden oder paßt in Zu¬ kunft auf den Bau des Nord-Ostsee-Kanals; wenigstens insoweit, als die Ver¬ zinsung dieser Unternehmungen im voraus nicht hergerechnet werden konnte. Herr Bamberger gehört eben, wie der Reichskanzler mit dem ihm eignen sichern Empfinden entgegnete, zu den klugen Leuten, die mit ihrer Klugheit den Augen¬ blick des Handelns versäumen; er übersieht das Einfache und Nahe, während er die Welt mit Zahlen umspannt. Er beweist ganz genau, daß in Afrika nichts zu holen sei, während der Engländer ohne viel Besinnen hingeht und Goldfelder entdeckt. Der Mann hat eben Instinkt und Unternehmungssiuu. Der Börsenmann aber kommt dann allenfalls hinterher und errichtet eine Gold- Wäscherei auf Aktien. Wer von ihnen ist der Mann der That, wem gehört die Arbeit, der neu erschlossene Boden? Soll ein kräftiges Volk nur immer hinterher durch Aktiengesellschaften gewinnen, oder soll es selbst Goldfelder suchen? Von dem Standpunkte des reinen Gelderwerbes aus wäre der Aktieugewiun vorzuziehen, denn er ist sicherer, leichter zu berechnen. Wo der Engländer, der Holländer und andre vorbereitet haben, mag der Deutsche hingehen und schaffe» und gewinnen; das ist sicherer, als der Erste auf unbekanntem Boden zu sein. Der Gewinn ist freilich weder bei der Dampfersnbvention noch bei Kolonial-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/568>, abgerufen am 29.12.2024.