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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

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Die Leipziger Gewandhauskonzerte.

von einem Adel der Formen, einer Ruhe der Linien, einer Vornehmheit der
Verhältnisse, die das durch schwülstige und lärmende Barockformen verwöhnte
Auge unsrer Zeit kaum genügend würdigt. Es ist Schinkels Geist, der aus
diesem Gebäude spricht. Aber auch über die Schönheit des Innern herrscht
bei Urteilsfähigen nur eine Stimme. Nicht über jeden Zweifel erhaben scheint
dagegen die Akustik des Saales zu sein. Wenigstens würde die Konzertdirektion
in den kleinen offiziösen Mitteilungen, die sie bisweilen in der Leipziger Tages¬
presse ausstreut, hinsichtlich dieses Punktes sicherlich einen siegesgewisseren Ton
anschlagen, wenn die bisher veranstalteten Proben dazu einen Anhalt böten.
Indessen geben wir vorläufig nichts auf die Unkenrufe, die über "mißlungene
Akustik" sich vernehmen lassen. Wir wollens ruhig abwarten. Aber was
soll man dazu sagen, daß die obenerwähnten 130 Plätze, die man für den
Einzelverkauf reservirt hat, nur deshalb nicht mit zum Abonnement gezogen
worden sind, weil sie bei Erweiterungen des Orchesters in Wegfall kommen!
Ist es glaublich? Also man baut ein prächtiges neues Haus, um endlich,
endlich einmal dem seit Jahrzehnten bestehenden Raummangel abzuhelfen, das
Haus ist fertig und -- es ist alles beim Alten! Und welcher Widerspruch!
Wenn einmal ein besonders hervorragendes Konzert stattfindet, in dem etwa
ein Händelsches Oratorium gesungen wird und zu dem der Einzelverkauf von
Billets erweitert und erleichtert werden sollte, da fallen gerade diese Einzelplätze
weg! Was soll man unter solchen Umständen von der zukünftigen Gestaltung
der Konzertprogramme erwarten? 130 Plätze repräsentiren für jedes Konzert
eine Einnahme von 650 Mark. Wie oft wird die Direktion Lust haben, auf
diese zu verzichten? Und wird man nicht über kurz oder lang wieder vor der
Notwendigkeit stehen, auch diese 130 Plätze zum Abonnement zu schlagen, und
auf diese Weise wieder bei der alten Entschuldigung augelangt sein, daß man
doch nicht gern die Abonnenten von ihren Plätzen verdrängen wolle? Wir
wollten schon sagen, jetzt, nachdem das neue Haus da sei, gehöre es zu
den nächsten und dringendsten Aufgaben der Konzertdirektion, einen Chordirektor
anzustellen, ein Soloquartett der besten und geschultesten Konzertsänger fest zu
engagiren, dafür zu sorgen, daß die Abonnenten in Zukunft bei Beginn jedes
Winters wenigstens im allgemeinen über die Pläne der Konzertdirektion unter¬
richtet werden u. s. w. u. s. w. Wer soll den Mut haben, nun an solche Dinge
zu denken?

Hoffen wir das Beste. Wir wünschen herzlich, daß von der edeln und
prächtigen Heimstätte, die den Leipziger Gewandhauskonzerten geschaffen worden
ist, eine belebende und verjüngende Kraft ausströmen möge ans alle, die darin
wirken werden, und daß nie ein Zeitpunkt kommen möge, wo besser als der Satz
des Seneca, der auch über dem neuen Orchester wieder geschrieben steht: Ks8
Wvsrs, sse vsruin AÄuclium (Es ist gar ein ernstes Ding um eine wahre
Freude) ein Satz des Plinius an diese Stelle paßte: Oirmis, wuo mslioiÄ,


Die Leipziger Gewandhauskonzerte.

von einem Adel der Formen, einer Ruhe der Linien, einer Vornehmheit der
Verhältnisse, die das durch schwülstige und lärmende Barockformen verwöhnte
Auge unsrer Zeit kaum genügend würdigt. Es ist Schinkels Geist, der aus
diesem Gebäude spricht. Aber auch über die Schönheit des Innern herrscht
bei Urteilsfähigen nur eine Stimme. Nicht über jeden Zweifel erhaben scheint
dagegen die Akustik des Saales zu sein. Wenigstens würde die Konzertdirektion
in den kleinen offiziösen Mitteilungen, die sie bisweilen in der Leipziger Tages¬
presse ausstreut, hinsichtlich dieses Punktes sicherlich einen siegesgewisseren Ton
anschlagen, wenn die bisher veranstalteten Proben dazu einen Anhalt böten.
Indessen geben wir vorläufig nichts auf die Unkenrufe, die über „mißlungene
Akustik" sich vernehmen lassen. Wir wollens ruhig abwarten. Aber was
soll man dazu sagen, daß die obenerwähnten 130 Plätze, die man für den
Einzelverkauf reservirt hat, nur deshalb nicht mit zum Abonnement gezogen
worden sind, weil sie bei Erweiterungen des Orchesters in Wegfall kommen!
Ist es glaublich? Also man baut ein prächtiges neues Haus, um endlich,
endlich einmal dem seit Jahrzehnten bestehenden Raummangel abzuhelfen, das
Haus ist fertig und — es ist alles beim Alten! Und welcher Widerspruch!
Wenn einmal ein besonders hervorragendes Konzert stattfindet, in dem etwa
ein Händelsches Oratorium gesungen wird und zu dem der Einzelverkauf von
Billets erweitert und erleichtert werden sollte, da fallen gerade diese Einzelplätze
weg! Was soll man unter solchen Umständen von der zukünftigen Gestaltung
der Konzertprogramme erwarten? 130 Plätze repräsentiren für jedes Konzert
eine Einnahme von 650 Mark. Wie oft wird die Direktion Lust haben, auf
diese zu verzichten? Und wird man nicht über kurz oder lang wieder vor der
Notwendigkeit stehen, auch diese 130 Plätze zum Abonnement zu schlagen, und
auf diese Weise wieder bei der alten Entschuldigung augelangt sein, daß man
doch nicht gern die Abonnenten von ihren Plätzen verdrängen wolle? Wir
wollten schon sagen, jetzt, nachdem das neue Haus da sei, gehöre es zu
den nächsten und dringendsten Aufgaben der Konzertdirektion, einen Chordirektor
anzustellen, ein Soloquartett der besten und geschultesten Konzertsänger fest zu
engagiren, dafür zu sorgen, daß die Abonnenten in Zukunft bei Beginn jedes
Winters wenigstens im allgemeinen über die Pläne der Konzertdirektion unter¬
richtet werden u. s. w. u. s. w. Wer soll den Mut haben, nun an solche Dinge
zu denken?

Hoffen wir das Beste. Wir wünschen herzlich, daß von der edeln und
prächtigen Heimstätte, die den Leipziger Gewandhauskonzerten geschaffen worden
ist, eine belebende und verjüngende Kraft ausströmen möge ans alle, die darin
wirken werden, und daß nie ein Zeitpunkt kommen möge, wo besser als der Satz
des Seneca, der auch über dem neuen Orchester wieder geschrieben steht: Ks8
Wvsrs, sse vsruin AÄuclium (Es ist gar ein ernstes Ding um eine wahre
Freude) ein Satz des Plinius an diese Stelle paßte: Oirmis, wuo mslioiÄ,


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[0533] Die Leipziger Gewandhauskonzerte. von einem Adel der Formen, einer Ruhe der Linien, einer Vornehmheit der Verhältnisse, die das durch schwülstige und lärmende Barockformen verwöhnte Auge unsrer Zeit kaum genügend würdigt. Es ist Schinkels Geist, der aus diesem Gebäude spricht. Aber auch über die Schönheit des Innern herrscht bei Urteilsfähigen nur eine Stimme. Nicht über jeden Zweifel erhaben scheint dagegen die Akustik des Saales zu sein. Wenigstens würde die Konzertdirektion in den kleinen offiziösen Mitteilungen, die sie bisweilen in der Leipziger Tages¬ presse ausstreut, hinsichtlich dieses Punktes sicherlich einen siegesgewisseren Ton anschlagen, wenn die bisher veranstalteten Proben dazu einen Anhalt böten. Indessen geben wir vorläufig nichts auf die Unkenrufe, die über „mißlungene Akustik" sich vernehmen lassen. Wir wollens ruhig abwarten. Aber was soll man dazu sagen, daß die obenerwähnten 130 Plätze, die man für den Einzelverkauf reservirt hat, nur deshalb nicht mit zum Abonnement gezogen worden sind, weil sie bei Erweiterungen des Orchesters in Wegfall kommen! Ist es glaublich? Also man baut ein prächtiges neues Haus, um endlich, endlich einmal dem seit Jahrzehnten bestehenden Raummangel abzuhelfen, das Haus ist fertig und — es ist alles beim Alten! Und welcher Widerspruch! Wenn einmal ein besonders hervorragendes Konzert stattfindet, in dem etwa ein Händelsches Oratorium gesungen wird und zu dem der Einzelverkauf von Billets erweitert und erleichtert werden sollte, da fallen gerade diese Einzelplätze weg! Was soll man unter solchen Umständen von der zukünftigen Gestaltung der Konzertprogramme erwarten? 130 Plätze repräsentiren für jedes Konzert eine Einnahme von 650 Mark. Wie oft wird die Direktion Lust haben, auf diese zu verzichten? Und wird man nicht über kurz oder lang wieder vor der Notwendigkeit stehen, auch diese 130 Plätze zum Abonnement zu schlagen, und auf diese Weise wieder bei der alten Entschuldigung augelangt sein, daß man doch nicht gern die Abonnenten von ihren Plätzen verdrängen wolle? Wir wollten schon sagen, jetzt, nachdem das neue Haus da sei, gehöre es zu den nächsten und dringendsten Aufgaben der Konzertdirektion, einen Chordirektor anzustellen, ein Soloquartett der besten und geschultesten Konzertsänger fest zu engagiren, dafür zu sorgen, daß die Abonnenten in Zukunft bei Beginn jedes Winters wenigstens im allgemeinen über die Pläne der Konzertdirektion unter¬ richtet werden u. s. w. u. s. w. Wer soll den Mut haben, nun an solche Dinge zu denken? Hoffen wir das Beste. Wir wünschen herzlich, daß von der edeln und prächtigen Heimstätte, die den Leipziger Gewandhauskonzerten geschaffen worden ist, eine belebende und verjüngende Kraft ausströmen möge ans alle, die darin wirken werden, und daß nie ein Zeitpunkt kommen möge, wo besser als der Satz des Seneca, der auch über dem neuen Orchester wieder geschrieben steht: Ks8 Wvsrs, sse vsruin AÄuclium (Es ist gar ein ernstes Ding um eine wahre Freude) ein Satz des Plinius an diese Stelle paßte: Oirmis, wuo mslioiÄ,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/533>, abgerufen am 29.12.2024.