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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

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Die Leipziger Gewandhauskonzerte.

einen Sperrsitz, 40 Mark für einen ungesperrten Platz betrug, im neuen Hause
auf 100 Mark erhöht werden; ungesperrte Plätze wird es überhaupt nicht mehr
geben. Ein bescheiden situirter Mann, der bisher für 80 Mark sich und seiner
Frau den Genuß der Gewaudhauskonzerte verschaffe" konnte, steht also jetzt vor
der Frage, ob er in Zukunft 200 Mark dafür wird aufbringen können. Es ist
gar kein Zweifel, daß so manche kunstsinnige Familie, die lange Jahre hindurch
zu den ständigen Abonnenten der Konzerte gehört hat, von nun an begüterteren
den Platz wird räumen müssen. Hiermit fällt die im Eingange ausgesprochene
Hoffnung vollends in nichts zusammen.

Die Kapelle des Dresdner Hoftheaters veranstaltet jeden Winter im Saale
des Gewerbehauses in Dresden sechs Symphoniekonzerte. In jedem dieser Kon¬
zerte werden drei bis vier größere Orchesterwerke, darunter in der Regel zwei
Symphonien gespielt. Das Programm wird -- eine höchst löbliche Einrich¬
tung! -- für alle sechs Konzerte gleichzeitig veröffentlicht. Zu diesen Konzerten,
die sich, was die Leistungen des Orchesters betrifft, unzweifelhaft mit den Leip¬
ziger Gewandhauskonzerten messen können, giebt es ein vierfaches Abonnement:
zu 18, 12, 6 und -- 3 Mark (Stehplatz)! Für drei Mark wird also hier ein
Genuß geboten, der in Leipzig von jetzt an genau das Zehnfache kosten wird!
In Dresden kann sich ihn der letzte Volksschullehrer verschaffen, in Leipzig wird
er in Zukunft ein Privilegium der reichen Leute sein. Wie erscheint die Redens¬
art von der "Musikstadt" Leipzig solchen Thatsachen gegenüber?

Aber noch eine andre große Hoffnung ist an den Bau des neuen Konzert-
Hauses geknüpft worden: die nämlich, daß in dem neuen Hause auch ein neuer
Geist in die Konzerte einziehen, daß ganze Institut einen neuen Antrieb und
Schwung erhalten werde. Weniger was die Leistungen des Orchesters betrifft, denn
diese sind fast immer mustergiltig gewesen, selbst in der schweren Zeit, die das
Orchester durchmachen mußte, als ein jüdischer Operndirektor, um seinen Beutel
zu füllen, künstlich, mit allen Mitteln der Reklame, eine Art von Wagnertoll¬
heit in Leipzig erzeugte und die Kräfte des Orchesters dabei in unglaublicher
Weise ausnutzte; wohl aber was die musikalische Ausstattung der Programme
betrifft.

Als die Leipziger Gewandhauskonzerte im November 1781 unter Hillers
Leitung eröffnet wurden, traten sie an die Stelle eines Konzertiustituts, das
unter dem Namen des "Großen Konzerts" bereits seit 1743 in Leipzig bestanden
hatte. Sie entpuppten sich sozusagen aus einem Chorgesangverein, den Hiller
1778 gegründet und der dem etwas altersschwach gewordenen "Großen Konzert"
bereits einige Jahre lang Konkurrenz gemacht hatte. Der Name "Großes
Konzert" übertrug sich im Volksmundc auch auf das neue Institut und wurde
erst allmählich durch den Namen "Gewandhauskonzerte" verdrängt. Diesen
Namen -- "Großes Konzert" -- verdienten aber auch beide Institute
mit vollem Recht, nicht bloß wegen des für jene Zeit ungewöhnlich


Die Leipziger Gewandhauskonzerte.

einen Sperrsitz, 40 Mark für einen ungesperrten Platz betrug, im neuen Hause
auf 100 Mark erhöht werden; ungesperrte Plätze wird es überhaupt nicht mehr
geben. Ein bescheiden situirter Mann, der bisher für 80 Mark sich und seiner
Frau den Genuß der Gewaudhauskonzerte verschaffe» konnte, steht also jetzt vor
der Frage, ob er in Zukunft 200 Mark dafür wird aufbringen können. Es ist
gar kein Zweifel, daß so manche kunstsinnige Familie, die lange Jahre hindurch
zu den ständigen Abonnenten der Konzerte gehört hat, von nun an begüterteren
den Platz wird räumen müssen. Hiermit fällt die im Eingange ausgesprochene
Hoffnung vollends in nichts zusammen.

Die Kapelle des Dresdner Hoftheaters veranstaltet jeden Winter im Saale
des Gewerbehauses in Dresden sechs Symphoniekonzerte. In jedem dieser Kon¬
zerte werden drei bis vier größere Orchesterwerke, darunter in der Regel zwei
Symphonien gespielt. Das Programm wird — eine höchst löbliche Einrich¬
tung! — für alle sechs Konzerte gleichzeitig veröffentlicht. Zu diesen Konzerten,
die sich, was die Leistungen des Orchesters betrifft, unzweifelhaft mit den Leip¬
ziger Gewandhauskonzerten messen können, giebt es ein vierfaches Abonnement:
zu 18, 12, 6 und — 3 Mark (Stehplatz)! Für drei Mark wird also hier ein
Genuß geboten, der in Leipzig von jetzt an genau das Zehnfache kosten wird!
In Dresden kann sich ihn der letzte Volksschullehrer verschaffen, in Leipzig wird
er in Zukunft ein Privilegium der reichen Leute sein. Wie erscheint die Redens¬
art von der „Musikstadt" Leipzig solchen Thatsachen gegenüber?

Aber noch eine andre große Hoffnung ist an den Bau des neuen Konzert-
Hauses geknüpft worden: die nämlich, daß in dem neuen Hause auch ein neuer
Geist in die Konzerte einziehen, daß ganze Institut einen neuen Antrieb und
Schwung erhalten werde. Weniger was die Leistungen des Orchesters betrifft, denn
diese sind fast immer mustergiltig gewesen, selbst in der schweren Zeit, die das
Orchester durchmachen mußte, als ein jüdischer Operndirektor, um seinen Beutel
zu füllen, künstlich, mit allen Mitteln der Reklame, eine Art von Wagnertoll¬
heit in Leipzig erzeugte und die Kräfte des Orchesters dabei in unglaublicher
Weise ausnutzte; wohl aber was die musikalische Ausstattung der Programme
betrifft.

Als die Leipziger Gewandhauskonzerte im November 1781 unter Hillers
Leitung eröffnet wurden, traten sie an die Stelle eines Konzertiustituts, das
unter dem Namen des „Großen Konzerts" bereits seit 1743 in Leipzig bestanden
hatte. Sie entpuppten sich sozusagen aus einem Chorgesangverein, den Hiller
1778 gegründet und der dem etwas altersschwach gewordenen „Großen Konzert"
bereits einige Jahre lang Konkurrenz gemacht hatte. Der Name „Großes
Konzert" übertrug sich im Volksmundc auch auf das neue Institut und wurde
erst allmählich durch den Namen „Gewandhauskonzerte" verdrängt. Diesen
Namen — „Großes Konzert" — verdienten aber auch beide Institute
mit vollem Recht, nicht bloß wegen des für jene Zeit ungewöhnlich


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[0530] Die Leipziger Gewandhauskonzerte. einen Sperrsitz, 40 Mark für einen ungesperrten Platz betrug, im neuen Hause auf 100 Mark erhöht werden; ungesperrte Plätze wird es überhaupt nicht mehr geben. Ein bescheiden situirter Mann, der bisher für 80 Mark sich und seiner Frau den Genuß der Gewaudhauskonzerte verschaffe» konnte, steht also jetzt vor der Frage, ob er in Zukunft 200 Mark dafür wird aufbringen können. Es ist gar kein Zweifel, daß so manche kunstsinnige Familie, die lange Jahre hindurch zu den ständigen Abonnenten der Konzerte gehört hat, von nun an begüterteren den Platz wird räumen müssen. Hiermit fällt die im Eingange ausgesprochene Hoffnung vollends in nichts zusammen. Die Kapelle des Dresdner Hoftheaters veranstaltet jeden Winter im Saale des Gewerbehauses in Dresden sechs Symphoniekonzerte. In jedem dieser Kon¬ zerte werden drei bis vier größere Orchesterwerke, darunter in der Regel zwei Symphonien gespielt. Das Programm wird — eine höchst löbliche Einrich¬ tung! — für alle sechs Konzerte gleichzeitig veröffentlicht. Zu diesen Konzerten, die sich, was die Leistungen des Orchesters betrifft, unzweifelhaft mit den Leip¬ ziger Gewandhauskonzerten messen können, giebt es ein vierfaches Abonnement: zu 18, 12, 6 und — 3 Mark (Stehplatz)! Für drei Mark wird also hier ein Genuß geboten, der in Leipzig von jetzt an genau das Zehnfache kosten wird! In Dresden kann sich ihn der letzte Volksschullehrer verschaffen, in Leipzig wird er in Zukunft ein Privilegium der reichen Leute sein. Wie erscheint die Redens¬ art von der „Musikstadt" Leipzig solchen Thatsachen gegenüber? Aber noch eine andre große Hoffnung ist an den Bau des neuen Konzert- Hauses geknüpft worden: die nämlich, daß in dem neuen Hause auch ein neuer Geist in die Konzerte einziehen, daß ganze Institut einen neuen Antrieb und Schwung erhalten werde. Weniger was die Leistungen des Orchesters betrifft, denn diese sind fast immer mustergiltig gewesen, selbst in der schweren Zeit, die das Orchester durchmachen mußte, als ein jüdischer Operndirektor, um seinen Beutel zu füllen, künstlich, mit allen Mitteln der Reklame, eine Art von Wagnertoll¬ heit in Leipzig erzeugte und die Kräfte des Orchesters dabei in unglaublicher Weise ausnutzte; wohl aber was die musikalische Ausstattung der Programme betrifft. Als die Leipziger Gewandhauskonzerte im November 1781 unter Hillers Leitung eröffnet wurden, traten sie an die Stelle eines Konzertiustituts, das unter dem Namen des „Großen Konzerts" bereits seit 1743 in Leipzig bestanden hatte. Sie entpuppten sich sozusagen aus einem Chorgesangverein, den Hiller 1778 gegründet und der dem etwas altersschwach gewordenen „Großen Konzert" bereits einige Jahre lang Konkurrenz gemacht hatte. Der Name „Großes Konzert" übertrug sich im Volksmundc auch auf das neue Institut und wurde erst allmählich durch den Namen „Gewandhauskonzerte" verdrängt. Diesen Namen — „Großes Konzert" — verdienten aber auch beide Institute mit vollem Recht, nicht bloß wegen des für jene Zeit ungewöhnlich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/530>, abgerufen am 29.12.2024.