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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

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Die Leipziger Gewandhauskonzerte.

zu einem sehr naheliegenden Auskunftsmittel, gegen das sie sich merkwürdiger¬
weise lange gesträubt hatte: seit 1875 gestattet sie gegen ein mäßiges Eintritts¬
geld den Zutritt zu den Proben. Der Erfolg hat gezeigt, welchem ausgedehnten
Bedürfnis damit abgeholfen worden ist. Nach diesen Proben wird gewallfahrtet
wie nach den Konzerten selbst, der Saal ist immer voll, und mau behauptet
vielfach, die Proben seien sogar ein größerer Genuß als die Konzerte: als Zu¬
hörer befinde man sich unter einem empfänglicherer und begeisterteren Publikum
als in den Konzerten, wo die langjährigen deM xo8siäsillös die Bänke drücken,
und auch das Orchester sei in der Regel in animirterer Stimmung, ganz ab¬
gesehen von der größeren gesellschaftlichen Ungezwungenheit, die in den Proben
herrscht, und von dem Reiz, den es gewährt, den Kapellmeister einmal nicht
bloß mit dem Taktstock und mit stummem Kopfnicken ngiren zu sehen, sondern
mündlich mit dem Orchester verhandeln zu hören, das Orchester nicht in Gala,
sondern im Hauskleide beim Studium zu beobachten. Leider ist auch hier wieder
ein großes Aber dabei: diese Proben müssen, wiederum infolge der Verpflich¬
tungen des Orchesters gegen das Theater, vormittags (Mittwochs) von 9 bis
12 Uhr abgehalten werden. Wieviele Geschäftsleute, Beamte, Lehrer, die sie
gern besuchen würden -- sie zählen nach Hunderten! -- sind um diese Zeit
schlechterdings nicht imstande, von Amt und Beruf sich loszumachen. An diese
Hungrigen und Durstigen kommt nie etwas!

Daß diesem Notstände mit einem Schlage würde ein Ende gemacht werden,
das war die eine von den großen Hoffnungen, die sich an die Erbauung eines
neuen Konzerthauses in Leipzig knüpfte.

Leider ist es sogut wie sicher, daß diese Hoffnung unerfüllt bleiben wird.
Das neue Haus ist auf Stiftuugscmteile und Anlehensscheine gebant, und es
ist selbstverständlich, daß den "Stiftern" und den Inhabern von Anlehensscheinen
beim Abonnement der Vortritt gelassen worden ist, so sehr man es auch be¬
dauern mag, daß auf diese Weise eine Frage, die bisher doch wesentlich eine
Bildungs- und Geduldsfrage war, zu einer reinen Geldfrage geworden ist,
und daß in dem neuen Konzerthause ziemlich stark gewisse Elemente vertreten
sein werden, über welche die Gründer des Konzerts von 1781, wenn sie davon
wüßten, sich vermutlich im Grabe umdrehen würden. Das liebe Geld ist ja in
Leipzig eben so häufig anzutreffen wie der Kunstsinn, nur daß die beiden nicht
immer beisammen sind. Thatsache ist, daß das neue Haus schon durch die
"Stifter" und Anlehensscheininhciber beinahe gefüllt sein und für sonstige
Abonnementslustige wenig Raum mehr übrig bleiben wird. Der ganze Saal
hat etwa 1530 Plätze. Von diesen sind 1100 an die "Stifter" und die In¬
haber von Anlehensscheinen vergeben worden; 300 sollen an sonstige Abonnenten
abgegeben werden, 130 für den Einzelverkauf reservirt bleiben. Aber selbst bei
diesem Rest der Plätze wird das Geld eine viel bedeutendere Rolle spielen als
bisher. Wie man hört, wird der Abonnementpreis, der bisher 66 Mark für


Grenzboten IV. 1884. 6ö
Die Leipziger Gewandhauskonzerte.

zu einem sehr naheliegenden Auskunftsmittel, gegen das sie sich merkwürdiger¬
weise lange gesträubt hatte: seit 1875 gestattet sie gegen ein mäßiges Eintritts¬
geld den Zutritt zu den Proben. Der Erfolg hat gezeigt, welchem ausgedehnten
Bedürfnis damit abgeholfen worden ist. Nach diesen Proben wird gewallfahrtet
wie nach den Konzerten selbst, der Saal ist immer voll, und mau behauptet
vielfach, die Proben seien sogar ein größerer Genuß als die Konzerte: als Zu¬
hörer befinde man sich unter einem empfänglicherer und begeisterteren Publikum
als in den Konzerten, wo die langjährigen deM xo8siäsillös die Bänke drücken,
und auch das Orchester sei in der Regel in animirterer Stimmung, ganz ab¬
gesehen von der größeren gesellschaftlichen Ungezwungenheit, die in den Proben
herrscht, und von dem Reiz, den es gewährt, den Kapellmeister einmal nicht
bloß mit dem Taktstock und mit stummem Kopfnicken ngiren zu sehen, sondern
mündlich mit dem Orchester verhandeln zu hören, das Orchester nicht in Gala,
sondern im Hauskleide beim Studium zu beobachten. Leider ist auch hier wieder
ein großes Aber dabei: diese Proben müssen, wiederum infolge der Verpflich¬
tungen des Orchesters gegen das Theater, vormittags (Mittwochs) von 9 bis
12 Uhr abgehalten werden. Wieviele Geschäftsleute, Beamte, Lehrer, die sie
gern besuchen würden — sie zählen nach Hunderten! — sind um diese Zeit
schlechterdings nicht imstande, von Amt und Beruf sich loszumachen. An diese
Hungrigen und Durstigen kommt nie etwas!

Daß diesem Notstände mit einem Schlage würde ein Ende gemacht werden,
das war die eine von den großen Hoffnungen, die sich an die Erbauung eines
neuen Konzerthauses in Leipzig knüpfte.

Leider ist es sogut wie sicher, daß diese Hoffnung unerfüllt bleiben wird.
Das neue Haus ist auf Stiftuugscmteile und Anlehensscheine gebant, und es
ist selbstverständlich, daß den „Stiftern" und den Inhabern von Anlehensscheinen
beim Abonnement der Vortritt gelassen worden ist, so sehr man es auch be¬
dauern mag, daß auf diese Weise eine Frage, die bisher doch wesentlich eine
Bildungs- und Geduldsfrage war, zu einer reinen Geldfrage geworden ist,
und daß in dem neuen Konzerthause ziemlich stark gewisse Elemente vertreten
sein werden, über welche die Gründer des Konzerts von 1781, wenn sie davon
wüßten, sich vermutlich im Grabe umdrehen würden. Das liebe Geld ist ja in
Leipzig eben so häufig anzutreffen wie der Kunstsinn, nur daß die beiden nicht
immer beisammen sind. Thatsache ist, daß das neue Haus schon durch die
„Stifter" und Anlehensscheininhciber beinahe gefüllt sein und für sonstige
Abonnementslustige wenig Raum mehr übrig bleiben wird. Der ganze Saal
hat etwa 1530 Plätze. Von diesen sind 1100 an die „Stifter" und die In¬
haber von Anlehensscheinen vergeben worden; 300 sollen an sonstige Abonnenten
abgegeben werden, 130 für den Einzelverkauf reservirt bleiben. Aber selbst bei
diesem Rest der Plätze wird das Geld eine viel bedeutendere Rolle spielen als
bisher. Wie man hört, wird der Abonnementpreis, der bisher 66 Mark für


Grenzboten IV. 1884. 6ö
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/529>, abgerufen am 29.12.2024.