Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Aus der Diplomatenschule.

seines Hofes dort aufgenommen hatte. In Portugal wurde das Asylrecht durch
König Johann 1748 aufgehoben, in Dänemark 1774, in Venedig existirte es
noch in der Zeit nach 1772, wo man es auf zwei Häuser rechts und links von
den Wohnungen des spanischen und des französischen Gesandten beschränkte, in
Rom sollte es von 1815 an lediglich für Polizeivergehcn gelten. Gegenwärtig
erkennen alle europäischen Mächte den eigentlich selbstverständlichen Grundsatz an,
daß die Wohnung eines Gesandten kein Zufluchtsort für Verbrecher sein kann,
und flieht ein solcher in ein Haus jener Art, so hat ihn der Inhaber desselben
auf Requisition der Behörde ohne Zögern auszuliefern, widrigenfalls letztere
befugt ist, sich des Verfolgten mit Gewalt zu bemächtigen.

Da die Gesandten nicht Unterthanen des Staates sind, bei dessen Regie¬
rung man sie beglaubigt hat, vielmehr als Ausländer angesehen werden, die
in ihrem Hotel wie auf einer Insel oder in einer Enklave ihres Heimatslandes
leben, so genießen sie in der Regel vollständige Befreiung von allen Abgaben, die
in dem fremden Staate eingeführt sind, direkten sowohl wie indirekten: sie zahlen
also auch für die Gegenstände, die sie für sich und ihr Gefolge aus dem Aus¬
lande beziehen, keine Zölle, sie entrichten keine Accise und haben keine Ver¬
brauchssteuer zu erlegen. Die letztere Exemtion fließt indes nicht aus dem
natürlichen Völkerrechte, sondern beruht auf dem guten Willen der fremden Re¬
gierung, die ihre Zugeständnisse aus dem Herkommen ableitet und sie meist
darnach bemißt, was ihren Gesandten in der Heimat des bei ihr beglaubigten
Diplomaten bewilligt ist. Auch haben mehrere Regierungen infolge von Mi߬
bräuchen, die manche Diplomaten mit dieser Befreiung von Zöllen trieben, die¬
selbe entweder ganz beseitigt oder erheblich beschränkt und abgeändert. Solche
Fälle von unanständiger Benutzung der Exemption kamen früher nicht selten und
auch noch in der neuesten Zeit vor; denn Botschafter und Gesandte sind zwar immer
sehr vornehme Herren, aber mit Nichten allezeit Leute mit vornehmem Sinn
und Gefühl. So benutzte" früher der spanische, der französische und der tür¬
kische Ambassadeur am kaiserlichen Hofe zu Wien jene mmrauitö ass iinpo-
Mions in bezug auf das Tabaksmonopol, um sich zu großem Schaden der
Pächter des Gefälles zu bereichern, indem sie den Tabak in ungeheuern Massen
zollfrei einführten und dann öffentlich verkauften. Der Botschafter des Sultans
allein importirte jährlich tausend Ballen und verursachte damit dem "Appal-
tistcn," einem portugiesischen Juden, einen Verlust von etwa hunderttausend
Gulden. Der päpstliche Nuntius Passiani hielt es nicht für einen Raub, es
dem türkischen Heiden gleichzuthun. Moser erzählt nach der Beschreibung einer
Reise durch Dänemark von der Zollbefreiung: "Die fremden Minister haben
dieses Privilegium verloren, sie mögen sich dafür bei dem französischen Ge¬
sandten, Graf de Chamillh, bedanken, der sich unter dem Vorwande, es seien
Möbel, mehrere Kisten, gefüllt mit allerhand französischen Modewaaren, kommen
ließ, welche sein Kammerdiener uno andre Domestiken in mehreren Zimmern


Aus der Diplomatenschule.

seines Hofes dort aufgenommen hatte. In Portugal wurde das Asylrecht durch
König Johann 1748 aufgehoben, in Dänemark 1774, in Venedig existirte es
noch in der Zeit nach 1772, wo man es auf zwei Häuser rechts und links von
den Wohnungen des spanischen und des französischen Gesandten beschränkte, in
Rom sollte es von 1815 an lediglich für Polizeivergehcn gelten. Gegenwärtig
erkennen alle europäischen Mächte den eigentlich selbstverständlichen Grundsatz an,
daß die Wohnung eines Gesandten kein Zufluchtsort für Verbrecher sein kann,
und flieht ein solcher in ein Haus jener Art, so hat ihn der Inhaber desselben
auf Requisition der Behörde ohne Zögern auszuliefern, widrigenfalls letztere
befugt ist, sich des Verfolgten mit Gewalt zu bemächtigen.

Da die Gesandten nicht Unterthanen des Staates sind, bei dessen Regie¬
rung man sie beglaubigt hat, vielmehr als Ausländer angesehen werden, die
in ihrem Hotel wie auf einer Insel oder in einer Enklave ihres Heimatslandes
leben, so genießen sie in der Regel vollständige Befreiung von allen Abgaben, die
in dem fremden Staate eingeführt sind, direkten sowohl wie indirekten: sie zahlen
also auch für die Gegenstände, die sie für sich und ihr Gefolge aus dem Aus¬
lande beziehen, keine Zölle, sie entrichten keine Accise und haben keine Ver¬
brauchssteuer zu erlegen. Die letztere Exemtion fließt indes nicht aus dem
natürlichen Völkerrechte, sondern beruht auf dem guten Willen der fremden Re¬
gierung, die ihre Zugeständnisse aus dem Herkommen ableitet und sie meist
darnach bemißt, was ihren Gesandten in der Heimat des bei ihr beglaubigten
Diplomaten bewilligt ist. Auch haben mehrere Regierungen infolge von Mi߬
bräuchen, die manche Diplomaten mit dieser Befreiung von Zöllen trieben, die¬
selbe entweder ganz beseitigt oder erheblich beschränkt und abgeändert. Solche
Fälle von unanständiger Benutzung der Exemption kamen früher nicht selten und
auch noch in der neuesten Zeit vor; denn Botschafter und Gesandte sind zwar immer
sehr vornehme Herren, aber mit Nichten allezeit Leute mit vornehmem Sinn
und Gefühl. So benutzte» früher der spanische, der französische und der tür¬
kische Ambassadeur am kaiserlichen Hofe zu Wien jene mmrauitö ass iinpo-
Mions in bezug auf das Tabaksmonopol, um sich zu großem Schaden der
Pächter des Gefälles zu bereichern, indem sie den Tabak in ungeheuern Massen
zollfrei einführten und dann öffentlich verkauften. Der Botschafter des Sultans
allein importirte jährlich tausend Ballen und verursachte damit dem „Appal-
tistcn," einem portugiesischen Juden, einen Verlust von etwa hunderttausend
Gulden. Der päpstliche Nuntius Passiani hielt es nicht für einen Raub, es
dem türkischen Heiden gleichzuthun. Moser erzählt nach der Beschreibung einer
Reise durch Dänemark von der Zollbefreiung: „Die fremden Minister haben
dieses Privilegium verloren, sie mögen sich dafür bei dem französischen Ge¬
sandten, Graf de Chamillh, bedanken, der sich unter dem Vorwande, es seien
Möbel, mehrere Kisten, gefüllt mit allerhand französischen Modewaaren, kommen
ließ, welche sein Kammerdiener uno andre Domestiken in mehreren Zimmern


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0516" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/157441"/>
          <fw type="header" place="top"> Aus der Diplomatenschule.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1788" prev="#ID_1787"> seines Hofes dort aufgenommen hatte. In Portugal wurde das Asylrecht durch<lb/>
König Johann 1748 aufgehoben, in Dänemark 1774, in Venedig existirte es<lb/>
noch in der Zeit nach 1772, wo man es auf zwei Häuser rechts und links von<lb/>
den Wohnungen des spanischen und des französischen Gesandten beschränkte, in<lb/>
Rom sollte es von 1815 an lediglich für Polizeivergehcn gelten. Gegenwärtig<lb/>
erkennen alle europäischen Mächte den eigentlich selbstverständlichen Grundsatz an,<lb/>
daß die Wohnung eines Gesandten kein Zufluchtsort für Verbrecher sein kann,<lb/>
und flieht ein solcher in ein Haus jener Art, so hat ihn der Inhaber desselben<lb/>
auf Requisition der Behörde ohne Zögern auszuliefern, widrigenfalls letztere<lb/>
befugt ist, sich des Verfolgten mit Gewalt zu bemächtigen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1789" next="#ID_1790"> Da die Gesandten nicht Unterthanen des Staates sind, bei dessen Regie¬<lb/>
rung man sie beglaubigt hat, vielmehr als Ausländer angesehen werden, die<lb/>
in ihrem Hotel wie auf einer Insel oder in einer Enklave ihres Heimatslandes<lb/>
leben, so genießen sie in der Regel vollständige Befreiung von allen Abgaben, die<lb/>
in dem fremden Staate eingeführt sind, direkten sowohl wie indirekten: sie zahlen<lb/>
also auch für die Gegenstände, die sie für sich und ihr Gefolge aus dem Aus¬<lb/>
lande beziehen, keine Zölle, sie entrichten keine Accise und haben keine Ver¬<lb/>
brauchssteuer zu erlegen. Die letztere Exemtion fließt indes nicht aus dem<lb/>
natürlichen Völkerrechte, sondern beruht auf dem guten Willen der fremden Re¬<lb/>
gierung, die ihre Zugeständnisse aus dem Herkommen ableitet und sie meist<lb/>
darnach bemißt, was ihren Gesandten in der Heimat des bei ihr beglaubigten<lb/>
Diplomaten bewilligt ist. Auch haben mehrere Regierungen infolge von Mi߬<lb/>
bräuchen, die manche Diplomaten mit dieser Befreiung von Zöllen trieben, die¬<lb/>
selbe entweder ganz beseitigt oder erheblich beschränkt und abgeändert. Solche<lb/>
Fälle von unanständiger Benutzung der Exemption kamen früher nicht selten und<lb/>
auch noch in der neuesten Zeit vor; denn Botschafter und Gesandte sind zwar immer<lb/>
sehr vornehme Herren, aber mit Nichten allezeit Leute mit vornehmem Sinn<lb/>
und Gefühl. So benutzte» früher der spanische, der französische und der tür¬<lb/>
kische Ambassadeur am kaiserlichen Hofe zu Wien jene mmrauitö ass iinpo-<lb/>
Mions in bezug auf das Tabaksmonopol, um sich zu großem Schaden der<lb/>
Pächter des Gefälles zu bereichern, indem sie den Tabak in ungeheuern Massen<lb/>
zollfrei einführten und dann öffentlich verkauften. Der Botschafter des Sultans<lb/>
allein importirte jährlich tausend Ballen und verursachte damit dem &#x201E;Appal-<lb/>
tistcn," einem portugiesischen Juden, einen Verlust von etwa hunderttausend<lb/>
Gulden. Der päpstliche Nuntius Passiani hielt es nicht für einen Raub, es<lb/>
dem türkischen Heiden gleichzuthun. Moser erzählt nach der Beschreibung einer<lb/>
Reise durch Dänemark von der Zollbefreiung: &#x201E;Die fremden Minister haben<lb/>
dieses Privilegium verloren, sie mögen sich dafür bei dem französischen Ge¬<lb/>
sandten, Graf de Chamillh, bedanken, der sich unter dem Vorwande, es seien<lb/>
Möbel, mehrere Kisten, gefüllt mit allerhand französischen Modewaaren, kommen<lb/>
ließ, welche sein Kammerdiener uno andre Domestiken in mehreren Zimmern</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0516] Aus der Diplomatenschule. seines Hofes dort aufgenommen hatte. In Portugal wurde das Asylrecht durch König Johann 1748 aufgehoben, in Dänemark 1774, in Venedig existirte es noch in der Zeit nach 1772, wo man es auf zwei Häuser rechts und links von den Wohnungen des spanischen und des französischen Gesandten beschränkte, in Rom sollte es von 1815 an lediglich für Polizeivergehcn gelten. Gegenwärtig erkennen alle europäischen Mächte den eigentlich selbstverständlichen Grundsatz an, daß die Wohnung eines Gesandten kein Zufluchtsort für Verbrecher sein kann, und flieht ein solcher in ein Haus jener Art, so hat ihn der Inhaber desselben auf Requisition der Behörde ohne Zögern auszuliefern, widrigenfalls letztere befugt ist, sich des Verfolgten mit Gewalt zu bemächtigen. Da die Gesandten nicht Unterthanen des Staates sind, bei dessen Regie¬ rung man sie beglaubigt hat, vielmehr als Ausländer angesehen werden, die in ihrem Hotel wie auf einer Insel oder in einer Enklave ihres Heimatslandes leben, so genießen sie in der Regel vollständige Befreiung von allen Abgaben, die in dem fremden Staate eingeführt sind, direkten sowohl wie indirekten: sie zahlen also auch für die Gegenstände, die sie für sich und ihr Gefolge aus dem Aus¬ lande beziehen, keine Zölle, sie entrichten keine Accise und haben keine Ver¬ brauchssteuer zu erlegen. Die letztere Exemtion fließt indes nicht aus dem natürlichen Völkerrechte, sondern beruht auf dem guten Willen der fremden Re¬ gierung, die ihre Zugeständnisse aus dem Herkommen ableitet und sie meist darnach bemißt, was ihren Gesandten in der Heimat des bei ihr beglaubigten Diplomaten bewilligt ist. Auch haben mehrere Regierungen infolge von Mi߬ bräuchen, die manche Diplomaten mit dieser Befreiung von Zöllen trieben, die¬ selbe entweder ganz beseitigt oder erheblich beschränkt und abgeändert. Solche Fälle von unanständiger Benutzung der Exemption kamen früher nicht selten und auch noch in der neuesten Zeit vor; denn Botschafter und Gesandte sind zwar immer sehr vornehme Herren, aber mit Nichten allezeit Leute mit vornehmem Sinn und Gefühl. So benutzte» früher der spanische, der französische und der tür¬ kische Ambassadeur am kaiserlichen Hofe zu Wien jene mmrauitö ass iinpo- Mions in bezug auf das Tabaksmonopol, um sich zu großem Schaden der Pächter des Gefälles zu bereichern, indem sie den Tabak in ungeheuern Massen zollfrei einführten und dann öffentlich verkauften. Der Botschafter des Sultans allein importirte jährlich tausend Ballen und verursachte damit dem „Appal- tistcn," einem portugiesischen Juden, einen Verlust von etwa hunderttausend Gulden. Der päpstliche Nuntius Passiani hielt es nicht für einen Raub, es dem türkischen Heiden gleichzuthun. Moser erzählt nach der Beschreibung einer Reise durch Dänemark von der Zollbefreiung: „Die fremden Minister haben dieses Privilegium verloren, sie mögen sich dafür bei dem französischen Ge¬ sandten, Graf de Chamillh, bedanken, der sich unter dem Vorwande, es seien Möbel, mehrere Kisten, gefüllt mit allerhand französischen Modewaaren, kommen ließ, welche sein Kammerdiener uno andre Domestiken in mehreren Zimmern

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/516
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/516>, abgerufen am 29.12.2024.