Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.Notizen. aber kümmern solche Zustände Europa, dem sie einen Herd von Seuchen erhalten Dazu tritt aber noch eins, was die westlichen Völker und Staaten sich von Die Cholera kann an ihren ostindischen Ursprungsstätten zwar schwerlich ganz Notizen. aber kümmern solche Zustände Europa, dem sie einen Herd von Seuchen erhalten Dazu tritt aber noch eins, was die westlichen Völker und Staaten sich von Die Cholera kann an ihren ostindischen Ursprungsstätten zwar schwerlich ganz <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0491" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/157416"/> <fw type="header" place="top"> Notizen.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1719" prev="#ID_1718"> aber kümmern solche Zustände Europa, dem sie einen Herd von Seuchen erhalten<lb/> helfen und verschlimmern, und das keine Rücksicht darauf zu nehmen hat, daß dies<lb/> dem Vermögen einer Anzahl von Engländern zu gute kommt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1720"> Dazu tritt aber noch eins, was die westlichen Völker und Staaten sich von<lb/> der englischen Selbstsucht nicht gefallen zu lassen brauchen: die Art und Weise,<lb/> wie von dieser die Maßregeln aus den Augen gelassen worden sind, mit denen<lb/> uns die Wissenschaft die furchtbare Seuche fernzuhalten gelehrt hat.</p><lb/> <p xml:id="ID_1721"> Die Cholera kann an ihren ostindischen Ursprungsstätten zwar schwerlich ganz<lb/> ausgerottet, wohl aber durch möglichste Beseitigung der Uebelstände, welche dort<lb/> Hungersnöte veranlassen oder schwerer und gefährlicher machen, durch Eröffnung<lb/> neuer Erwerbsquellen auf dem Gebiete der Industrie, durch Befreiung des Acker¬<lb/> baues von übermäßigen Steuern und durch Ausbreitung desselben über größere<lb/> Flächen erfolgreich bekämpft und beschränkt werden. Aber das wird Zeit erfordern,<lb/> und inzwischen gilt es, sie von unsern Häfen und Küsten auszuschließen und ihr<lb/> überhaupt den Weg nach Westen zu versperren. „Der russische Hof, zusammen<lb/> zirka zehntausend Personen, sagt Stamm, hatte sich im Jahre 1331 beim An¬<lb/> drängen der Cholera auf Se. Petersburg zu Peterhof und Zarskoje-Scio abgesperrt,<lb/> und nach dem Bericht der Doktoren Barry und Rüssel ist hier 1831 kein Cholera¬<lb/> anfall vorgekommen. Während der Epidemie, die 1865 in Konstantinopel wütete,<lb/> wurden die Zöglinge der Militärschule, fünfhundert an der Zahl, in der Anstalt<lb/> abgesperrt, und die Cholera ist nicht hineingedrungen, obwohl sie in der Nachbar¬<lb/> schaft viele Opfer forderte. Griechenland, welches damals ein strenges Sperrsystem<lb/> aufrecht erhielt, blieb verschont, obgleich die Krankheit ringsherum sich ausgebreitet<lb/> hatte... Die Fernhaltung der Cholera von Häfen, wohin dieselbe, da das Binnen¬<lb/> land noch frei ist, nur zu Schiffe gelangen kann, ist sehr wohl durchzuführen."<lb/> Man braucht nur dafür zu sorgen, daß Schiffe aus Ostindien — denn von da<lb/> kommt die Seuche immer — gehörig Quarantäne halten und samt ihren Passagieren<lb/> und ihrer Ladung gründlich desinsizirt werden, und zwar nicht bloß in Europa,<lb/> Sündern auch in Westasien, am Persischen Meerbusen und am Roten Meere. Daran<lb/> aber hat es England wiederholt fehlen lassen, weil es seinem Handel und seine<lb/> Schiffahrt uicht stören und belästigen wollte, also sein nächstes Interesse über das<lb/> allgemeine stellte. Dieser selbstsüchtigen Politik hatten wir im Westen der alten<lb/> Welt die Choleraepidemieu der Jahre 1366, 1366 und 1367 zu verdanken, die<lb/> Afrika, Asien und Europa ergriffen, und von denen die von 1366 auch in Deutsch¬<lb/> land große Verwüstung anrichtete. Ebenso gehört in dieses Kapitel die Seuche<lb/> von 1883, Welche sich ans Arabien und Aegypten beschränkte. Die jetzige ist zwar<lb/> in einem französischen Fahrzeuge aus Cochinchina gekommen, aber Cochinchina hatte<lb/> das Gift aus Ostindien bekommen. In allen andern Fällen wurde es unmittelbar<lb/> aus diesem Lande zunächst in Westasien und Nordostafrika impvrtirt, und zwar stets<lb/> durch englische Fahrzeuge. Indische Muslime, die nach Mekka wallfahrteten, und<lb/> Schiffe ans Kalkutta, Bombay, Madras oder Karadschi brachten erwiesenermaßen<lb/> die Epidemie nach jener arabischen Stadt, und von da verbreitete sie sich über<lb/> Aegypten, das Mittelmeerbccken und weiter nach Norden und Westen. Dem sollte<lb/> für die Zukunft ernsthafter als bisher gesteuert werden. Die Verhütung von<lb/> Epidemien, von Völkererkranknngen, Völkerdezimirungen ist eine Hnnvtaufgabe, ist<lb/> die Krönung der modernen medizinische» Wissenschaft. Sie sollte auch eine der<lb/> Aufgaben der modernen Staatskunst sein. England sollte mit allen Mitteln dahin<lb/> gebracht werden, hier in betreff der Cholera, die Europa seiner bisherigen Politik<lb/> dankt, soweit irgendmöglich, Wandel zu schaffen.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0491]
Notizen.
aber kümmern solche Zustände Europa, dem sie einen Herd von Seuchen erhalten
helfen und verschlimmern, und das keine Rücksicht darauf zu nehmen hat, daß dies
dem Vermögen einer Anzahl von Engländern zu gute kommt.
Dazu tritt aber noch eins, was die westlichen Völker und Staaten sich von
der englischen Selbstsucht nicht gefallen zu lassen brauchen: die Art und Weise,
wie von dieser die Maßregeln aus den Augen gelassen worden sind, mit denen
uns die Wissenschaft die furchtbare Seuche fernzuhalten gelehrt hat.
Die Cholera kann an ihren ostindischen Ursprungsstätten zwar schwerlich ganz
ausgerottet, wohl aber durch möglichste Beseitigung der Uebelstände, welche dort
Hungersnöte veranlassen oder schwerer und gefährlicher machen, durch Eröffnung
neuer Erwerbsquellen auf dem Gebiete der Industrie, durch Befreiung des Acker¬
baues von übermäßigen Steuern und durch Ausbreitung desselben über größere
Flächen erfolgreich bekämpft und beschränkt werden. Aber das wird Zeit erfordern,
und inzwischen gilt es, sie von unsern Häfen und Küsten auszuschließen und ihr
überhaupt den Weg nach Westen zu versperren. „Der russische Hof, zusammen
zirka zehntausend Personen, sagt Stamm, hatte sich im Jahre 1331 beim An¬
drängen der Cholera auf Se. Petersburg zu Peterhof und Zarskoje-Scio abgesperrt,
und nach dem Bericht der Doktoren Barry und Rüssel ist hier 1831 kein Cholera¬
anfall vorgekommen. Während der Epidemie, die 1865 in Konstantinopel wütete,
wurden die Zöglinge der Militärschule, fünfhundert an der Zahl, in der Anstalt
abgesperrt, und die Cholera ist nicht hineingedrungen, obwohl sie in der Nachbar¬
schaft viele Opfer forderte. Griechenland, welches damals ein strenges Sperrsystem
aufrecht erhielt, blieb verschont, obgleich die Krankheit ringsherum sich ausgebreitet
hatte... Die Fernhaltung der Cholera von Häfen, wohin dieselbe, da das Binnen¬
land noch frei ist, nur zu Schiffe gelangen kann, ist sehr wohl durchzuführen."
Man braucht nur dafür zu sorgen, daß Schiffe aus Ostindien — denn von da
kommt die Seuche immer — gehörig Quarantäne halten und samt ihren Passagieren
und ihrer Ladung gründlich desinsizirt werden, und zwar nicht bloß in Europa,
Sündern auch in Westasien, am Persischen Meerbusen und am Roten Meere. Daran
aber hat es England wiederholt fehlen lassen, weil es seinem Handel und seine
Schiffahrt uicht stören und belästigen wollte, also sein nächstes Interesse über das
allgemeine stellte. Dieser selbstsüchtigen Politik hatten wir im Westen der alten
Welt die Choleraepidemieu der Jahre 1366, 1366 und 1367 zu verdanken, die
Afrika, Asien und Europa ergriffen, und von denen die von 1366 auch in Deutsch¬
land große Verwüstung anrichtete. Ebenso gehört in dieses Kapitel die Seuche
von 1883, Welche sich ans Arabien und Aegypten beschränkte. Die jetzige ist zwar
in einem französischen Fahrzeuge aus Cochinchina gekommen, aber Cochinchina hatte
das Gift aus Ostindien bekommen. In allen andern Fällen wurde es unmittelbar
aus diesem Lande zunächst in Westasien und Nordostafrika impvrtirt, und zwar stets
durch englische Fahrzeuge. Indische Muslime, die nach Mekka wallfahrteten, und
Schiffe ans Kalkutta, Bombay, Madras oder Karadschi brachten erwiesenermaßen
die Epidemie nach jener arabischen Stadt, und von da verbreitete sie sich über
Aegypten, das Mittelmeerbccken und weiter nach Norden und Westen. Dem sollte
für die Zukunft ernsthafter als bisher gesteuert werden. Die Verhütung von
Epidemien, von Völkererkranknngen, Völkerdezimirungen ist eine Hnnvtaufgabe, ist
die Krönung der modernen medizinische» Wissenschaft. Sie sollte auch eine der
Aufgaben der modernen Staatskunst sein. England sollte mit allen Mitteln dahin
gebracht werden, hier in betreff der Cholera, die Europa seiner bisherigen Politik
dankt, soweit irgendmöglich, Wandel zu schaffen.
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