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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

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Pfisters Mühle.

mir grüner, blauer, bunter mich zu empfinden als irgend etwas andres rings
um mich her!

Doch da trat nun aus dem Frühling, aus dem Licht und Schatten, aus
dem großen Andern um mich her eine Gestalt, die meinem unbefangenen und
gleichmütigen Mitatmen im übrigen doch wenigstens für einige Zeit ein Ende
machte, Albertine Lippoldes redete mich an auf dem Buschpfade an meines
Vaters Mühlwasser.

In demselben abgetragenen grauen Kleide wie an jenem Weihnachtsfeier¬
tage stand sie unter dem nämlichen Baum an der Hecke wie damals, wo sie auf
ihren Vater und unsre Expedition zur Erforschung der Gründe vom Unter¬
gange von Pfisters Mühle wartete. Als ich, betroffen ob ihrer bleichen und
kränklichen Erscheinung, stehen blieb und die Mütze zog, kam sie auf mich zu
und reichte mir die Hand.

Sie lächelte auch dabei, aber es war das Lächeln einer, die ein schweres
Leid auf der Seele trägt und ein schwerwiegendes Wort auszusprechen hat.

Sie wollen uns nun auch verlassen, Herr Pfister? Und Sie gehen jetzt
auch nach Berlin? fragte sie, und als ich dieses stotternd bejahte, sagte sie mit
leiser, beklommener Stimme:

Dann hätte ich wohl eine Bestellung dort, Herr Ebert, und Sie würden
mir einen rechten Gefallen thun, wenn Sie dieselbe ausrichten wollten.

Mit dem größten Vergnügen, Fräulein! Alles, was Sie wünschen. Was
und an wen? Mit der Rapidität eines Motkakcif--, ja wirklich und auf
Ehre, Fräulein Albertine, mein Herzblut würde ich --

Das nicht, Sir Childe, sagte das Fräulein und lächelte noch einmal dabei.
Nur ein Wort an Ihren Freund, Herrn Doktor Asche, auszurichten, möchte ich
Sie freundlich bitten. Und damit verschwand das Lächeln aus ihren feinen,
müden Zügen, als würde es nie wieder dahin zurückkehren. Mit einer bittenden
Bewegung beider Hände, doch mit einem fast zornigen Blick über mich weg in
die grüne, eben wieder im Sonnenlichte glänzende Ferne, flüsterte sie mit unter¬
drücktem Schluchzen:

Sagen Sie -- bestellen Sie Ihrem Freunde, daß Albertine Lippoldes ihm
von ganzem Herzen dankbar sei für seine Güte gegen ihren Vater, daß er aber
kein Recht -- daß er es unterlassen müsse, sie so rat-- sie noch ratloser zu
machen durch seine -- Teilnahme. Sagen Sie Ihrem Freunde, daß mein armer
Vater wirklich nicht mehr das Mitleid von der Anerkennung zu unterscheiden
wisse; aber daß mich mein Leben, vielleicht vor der Zeit, alt und sehr klug ge¬
macht habe, und daß Albertine Lippoldes nicht mehr so leicht sich der bestge¬
meinten Täuschung hinzugeben verstehe. Bestellen Sie Ihrem weisen, treuen,
guten Freunde --

Ob ich es damals schon ganz genau wußte, was ich eigentlich sagen und
bestellen sollte, weiß ich auch heute noch nicht, aber daß auch mir die Thränen


Pfisters Mühle.

mir grüner, blauer, bunter mich zu empfinden als irgend etwas andres rings
um mich her!

Doch da trat nun aus dem Frühling, aus dem Licht und Schatten, aus
dem großen Andern um mich her eine Gestalt, die meinem unbefangenen und
gleichmütigen Mitatmen im übrigen doch wenigstens für einige Zeit ein Ende
machte, Albertine Lippoldes redete mich an auf dem Buschpfade an meines
Vaters Mühlwasser.

In demselben abgetragenen grauen Kleide wie an jenem Weihnachtsfeier¬
tage stand sie unter dem nämlichen Baum an der Hecke wie damals, wo sie auf
ihren Vater und unsre Expedition zur Erforschung der Gründe vom Unter¬
gange von Pfisters Mühle wartete. Als ich, betroffen ob ihrer bleichen und
kränklichen Erscheinung, stehen blieb und die Mütze zog, kam sie auf mich zu
und reichte mir die Hand.

Sie lächelte auch dabei, aber es war das Lächeln einer, die ein schweres
Leid auf der Seele trägt und ein schwerwiegendes Wort auszusprechen hat.

Sie wollen uns nun auch verlassen, Herr Pfister? Und Sie gehen jetzt
auch nach Berlin? fragte sie, und als ich dieses stotternd bejahte, sagte sie mit
leiser, beklommener Stimme:

Dann hätte ich wohl eine Bestellung dort, Herr Ebert, und Sie würden
mir einen rechten Gefallen thun, wenn Sie dieselbe ausrichten wollten.

Mit dem größten Vergnügen, Fräulein! Alles, was Sie wünschen. Was
und an wen? Mit der Rapidität eines Motkakcif—, ja wirklich und auf
Ehre, Fräulein Albertine, mein Herzblut würde ich —

Das nicht, Sir Childe, sagte das Fräulein und lächelte noch einmal dabei.
Nur ein Wort an Ihren Freund, Herrn Doktor Asche, auszurichten, möchte ich
Sie freundlich bitten. Und damit verschwand das Lächeln aus ihren feinen,
müden Zügen, als würde es nie wieder dahin zurückkehren. Mit einer bittenden
Bewegung beider Hände, doch mit einem fast zornigen Blick über mich weg in
die grüne, eben wieder im Sonnenlichte glänzende Ferne, flüsterte sie mit unter¬
drücktem Schluchzen:

Sagen Sie — bestellen Sie Ihrem Freunde, daß Albertine Lippoldes ihm
von ganzem Herzen dankbar sei für seine Güte gegen ihren Vater, daß er aber
kein Recht — daß er es unterlassen müsse, sie so rat— sie noch ratloser zu
machen durch seine — Teilnahme. Sagen Sie Ihrem Freunde, daß mein armer
Vater wirklich nicht mehr das Mitleid von der Anerkennung zu unterscheiden
wisse; aber daß mich mein Leben, vielleicht vor der Zeit, alt und sehr klug ge¬
macht habe, und daß Albertine Lippoldes nicht mehr so leicht sich der bestge¬
meinten Täuschung hinzugeben verstehe. Bestellen Sie Ihrem weisen, treuen,
guten Freunde —

Ob ich es damals schon ganz genau wußte, was ich eigentlich sagen und
bestellen sollte, weiß ich auch heute noch nicht, aber daß auch mir die Thränen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/482>, abgerufen am 29.12.2024.