Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.Pfisters Mühle. wagte ich meiner kleinen Melancholikerin in ihren bedrückten Umständen als einen Aus der Tiefe ihres gute", mitleidigen Herzens aufatmend, meinte meine Frau: Das ist freilich auch wahr! Ja, das arme Mädchen! sie hat es recht schlimm Ich bemühte mich nach Kräften, beim Weiterwandern nicht zu sehr zu zappeln Als der Tag im veränderlichen Monat April eintrat, der Tag, an welchem Asche hatte nichts mehr von sich hören lassen. Der war schon in Berlin. Unser Fluß im April war wie je vorher, ehe Zucker an seinem rauschenden, Es gehörte zwar alles dazu, aber -- im einzelnen, was waren Blumen, Grün mochte die Welt sein, blau mochte sie sein: so blau, so grün wie Grenzboten IV. 1884. 60
Pfisters Mühle. wagte ich meiner kleinen Melancholikerin in ihren bedrückten Umständen als einen Aus der Tiefe ihres gute», mitleidigen Herzens aufatmend, meinte meine Frau: Das ist freilich auch wahr! Ja, das arme Mädchen! sie hat es recht schlimm Ich bemühte mich nach Kräften, beim Weiterwandern nicht zu sehr zu zappeln Als der Tag im veränderlichen Monat April eintrat, der Tag, an welchem Asche hatte nichts mehr von sich hören lassen. Der war schon in Berlin. Unser Fluß im April war wie je vorher, ehe Zucker an seinem rauschenden, Es gehörte zwar alles dazu, aber — im einzelnen, was waren Blumen, Grün mochte die Welt sein, blau mochte sie sein: so blau, so grün wie Grenzboten IV. 1884. 60
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Pfisters Mühle.
wagte ich meiner kleinen Melancholikerin in ihren bedrückten Umständen als einen
kleinen möglichen Trostgrund ganz heimlich zuzustecken, und glücklicherweise ge¬
lang es, und dies beruhigende Wort fand vollen, zustimmenden Wiederklang.
Aus der Tiefe ihres gute», mitleidigen Herzens aufatmend, meinte meine Frau:
Das ist freilich auch wahr! Ja, das arme Mädchen! sie hat es recht schlimm
gehabt, ehe sie es besser bekam. Komm doch mit unter meinen Sonnenschirm,
Mann; die Sonne sticht noch immer recht sehr, und ich möchte dich doch nicht
ganz als geschälte Zwiebel nach Hause bringen. Du hast mich auch ohne das
heute schon mehrmals zu Thränen und zur Rührung gebracht. Erzähle weiter,
aber zapple nicht so, sondern bleib mit unter meinem Schirm.
Ich bemühte mich nach Kräften, beim Weiterwandern nicht zu sehr zu zappeln
und in dem lieben blau-rosigen Schatten zu bleiben, den mein junges Weib auch
auf diesen Weg unseres Lebens warf.
Als der Tag im veränderlichen Monat April eintrat, der Tag, an welchem
ich zum erstenmal von meinen nächsten Heimatsumgebungen für längere Zeit
Abschied zu nehmen hatte, um in die Ferne und auf die Universität zu ziehen,
war der Prozeß meines Vaters gegen Krickerode bereits im Gange, und wie uns
um und in Pfisters Mühle däuchte, stand das Universum auf den Zehen, das
Resultat erwartend.
Asche hatte nichts mehr von sich hören lassen. Der war schon in Berlin.
Aber an einem sonnigen, windigen, dann und wann von einem Regenschauer
besprengten Tage kam ich in sehr seltsamer Weise doch wieder zu der Gewi߬
heit, daß er noch in der Gegend spukte und in innigster Art mit ihr in Ver¬
bindung zu bleiben sich bemühte.
Unser Fluß im April war wie je vorher, ehe Zucker an seinem rauschenden,
murmelnden Laufe gemacht wurde. Die Vorfrühlingssluten vom Gebirge her
hatten allen Schlamm und Wust aus Krickerode von seinem sonnenbeleuchteten
Grund und von seinem Ufergebüsch weg und abgespült. Es lag der erste lenz¬
grüne Hauch auf Baum und Strauch, auf Wiese und Feld. Daß allerlei Blumen
blühten und einige Arten bereits verblüht waren, achtete ich durchaus nicht. Ich
hatte an andre Dinge zu denken, als ich nochmals jenen Pfad am Bache auf¬
wärts hin schlenderte, den wir an jenein zweiten Weihnachtstage mit saufe und
dessen ominösen Flaschenkorbe gingen.
Es gehörte zwar alles dazu, aber — im einzelnen, was waren Blumen,
was Frühlingsgrün, was Krickerode, was Prozesse, ja, was Pfisters Mühle für
das erlöste Pennal, für den angehenden Fuchs, für den freien, von den Göttern
auf seine eignen Füße in das unermessene Dasein hingestellten Menschen, kurz,
für den demnächstigen swäiosus rMoloxias Eberhard Pfister?
Grün mochte die Welt sein, blau mochte sie sein: so blau, so grün wie
ich, Ebert Pfister, war sie nicht um diese Zeit, in diesen oder — jenen Tagen.
Und es war, den Unsterblichen sei Dank, mein volles, unbestrittenes Recht, in
Grenzboten IV. 1884. 60
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