Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Frauen- und Goldschnitt-Literatur.

Die Dichter und ihr Anhang. Verleger und Buchhändler, stehen sich nicht
schlecht bei dieser weiblichen Schntzherrlichkeit. Die Frauen sind nachsichtigere
und dankbarere Leserinnen als die Männer: sie erziehen nicht nur ihre Poeten,
sie verziehen sie auch. Vor allem aber kaufen sie und verschenken, das heißt,
man kauft, um ihnen zu schenken. Der Gelehrte, der Geschäftsmann muß allerlei
Werke, die er zum Handwerk notwendig braucht, so teuer bezahlen, daß er gar
kein Geld übrig hat, für sich selbst belletristische Sachen zu kaufen, wie ein
häßliches Wort die schöne Literatur mißcichtlich bezeichnet. Für sich kauft er
keine Gedichte, keine Romane, die er aus Leihbibliotheken so bequem haben kann,
aber für "sie" ists etwas andres. So sorgen die Frauen, daß wenigstens
einmal im Jahre, vor Weihnachten, die Schaufenster unsrer Buchläden in buntem
Flore prangen. Da erscheinen in goldverzierten Kalikobänden mit schönen Titel¬
bildchen die neuesten Romane der allbeliebten Dichter, die ,,auf keinem Weih¬
nachtstische fehlen sollten." Da liegen in grünen, roten, braunen und veilchen-
farbenen Einbänden alle die alten episch-lyrischen ,.Sänge," alle die Anthologien,
da prangen in buntem Leder mit fußlangen Goldbuchstaben riesengroße Pracht¬
werke. Da gleichen im Dezember die Spalten und Beilagen der Zeitschriften
und Zeitungen ellenlangen Büchcrkatalogen, die mit prahlerischer Aufdringlich¬
keit ihre eigne Vortrefflichkeit preisen. Die Buchhändler sind den Frauen wirklich
zu großem Danke verpflichtet. Wie hätten sie je daran denken können, kleine
Dichterwerkchen in Großfolio erscheinen zu lassen, wenn nicht Frauen dawären,
die sich diese ihre Lieblingsbüchelchen mit mächtigen Bildern verziert, ver¬
schwenderisch prächtig gedruckt, als Riesenbände schenken lassen! Ginge es nach
der Ausstattung und der Buchgestalt, unsre Frauendichter wären die reichsten,
größten Dichter der Weltliteratur. Einem Gedichte, das Julius Wolff gesungen und
Paul Thumann illustrirt hat, wie könnte dem ein Frauenherz widerstehen! Dem
Manne liegt am äußeren Gewände nicht so viel, wenn es nur dauerhaft und
geschmackvoll ist, es dünkt ihn widersinnig, daß der Einband des Buches mehr
wert sein soll als der Inhalt. Er weiß oft aus Erfahrung, wie betrübend es
ist, wenn das bei Menschen vorkommt. Die Frauen haben es ihn gelehrt.




Frauen- und Goldschnitt-Literatur.

Die Dichter und ihr Anhang. Verleger und Buchhändler, stehen sich nicht
schlecht bei dieser weiblichen Schntzherrlichkeit. Die Frauen sind nachsichtigere
und dankbarere Leserinnen als die Männer: sie erziehen nicht nur ihre Poeten,
sie verziehen sie auch. Vor allem aber kaufen sie und verschenken, das heißt,
man kauft, um ihnen zu schenken. Der Gelehrte, der Geschäftsmann muß allerlei
Werke, die er zum Handwerk notwendig braucht, so teuer bezahlen, daß er gar
kein Geld übrig hat, für sich selbst belletristische Sachen zu kaufen, wie ein
häßliches Wort die schöne Literatur mißcichtlich bezeichnet. Für sich kauft er
keine Gedichte, keine Romane, die er aus Leihbibliotheken so bequem haben kann,
aber für „sie" ists etwas andres. So sorgen die Frauen, daß wenigstens
einmal im Jahre, vor Weihnachten, die Schaufenster unsrer Buchläden in buntem
Flore prangen. Da erscheinen in goldverzierten Kalikobänden mit schönen Titel¬
bildchen die neuesten Romane der allbeliebten Dichter, die ,,auf keinem Weih¬
nachtstische fehlen sollten." Da liegen in grünen, roten, braunen und veilchen-
farbenen Einbänden alle die alten episch-lyrischen ,.Sänge," alle die Anthologien,
da prangen in buntem Leder mit fußlangen Goldbuchstaben riesengroße Pracht¬
werke. Da gleichen im Dezember die Spalten und Beilagen der Zeitschriften
und Zeitungen ellenlangen Büchcrkatalogen, die mit prahlerischer Aufdringlich¬
keit ihre eigne Vortrefflichkeit preisen. Die Buchhändler sind den Frauen wirklich
zu großem Danke verpflichtet. Wie hätten sie je daran denken können, kleine
Dichterwerkchen in Großfolio erscheinen zu lassen, wenn nicht Frauen dawären,
die sich diese ihre Lieblingsbüchelchen mit mächtigen Bildern verziert, ver¬
schwenderisch prächtig gedruckt, als Riesenbände schenken lassen! Ginge es nach
der Ausstattung und der Buchgestalt, unsre Frauendichter wären die reichsten,
größten Dichter der Weltliteratur. Einem Gedichte, das Julius Wolff gesungen und
Paul Thumann illustrirt hat, wie könnte dem ein Frauenherz widerstehen! Dem
Manne liegt am äußeren Gewände nicht so viel, wenn es nur dauerhaft und
geschmackvoll ist, es dünkt ihn widersinnig, daß der Einband des Buches mehr
wert sein soll als der Inhalt. Er weiß oft aus Erfahrung, wie betrübend es
ist, wenn das bei Menschen vorkommt. Die Frauen haben es ihn gelehrt.




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0478" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/157403"/>
          <fw type="header" place="top"> Frauen- und Goldschnitt-Literatur.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1637"> Die Dichter und ihr Anhang. Verleger und Buchhändler, stehen sich nicht<lb/>
schlecht bei dieser weiblichen Schntzherrlichkeit. Die Frauen sind nachsichtigere<lb/>
und dankbarere Leserinnen als die Männer: sie erziehen nicht nur ihre Poeten,<lb/>
sie verziehen sie auch. Vor allem aber kaufen sie und verschenken, das heißt,<lb/>
man kauft, um ihnen zu schenken. Der Gelehrte, der Geschäftsmann muß allerlei<lb/>
Werke, die er zum Handwerk notwendig braucht, so teuer bezahlen, daß er gar<lb/>
kein Geld übrig hat, für sich selbst belletristische Sachen zu kaufen, wie ein<lb/>
häßliches Wort die schöne Literatur mißcichtlich bezeichnet. Für sich kauft er<lb/>
keine Gedichte, keine Romane, die er aus Leihbibliotheken so bequem haben kann,<lb/>
aber für &#x201E;sie" ists etwas andres. So sorgen die Frauen, daß wenigstens<lb/>
einmal im Jahre, vor Weihnachten, die Schaufenster unsrer Buchläden in buntem<lb/>
Flore prangen. Da erscheinen in goldverzierten Kalikobänden mit schönen Titel¬<lb/>
bildchen die neuesten Romane der allbeliebten Dichter, die ,,auf keinem Weih¬<lb/>
nachtstische fehlen sollten." Da liegen in grünen, roten, braunen und veilchen-<lb/>
farbenen Einbänden alle die alten episch-lyrischen ,.Sänge," alle die Anthologien,<lb/>
da prangen in buntem Leder mit fußlangen Goldbuchstaben riesengroße Pracht¬<lb/>
werke. Da gleichen im Dezember die Spalten und Beilagen der Zeitschriften<lb/>
und Zeitungen ellenlangen Büchcrkatalogen, die mit prahlerischer Aufdringlich¬<lb/>
keit ihre eigne Vortrefflichkeit preisen. Die Buchhändler sind den Frauen wirklich<lb/>
zu großem Danke verpflichtet. Wie hätten sie je daran denken können, kleine<lb/>
Dichterwerkchen in Großfolio erscheinen zu lassen, wenn nicht Frauen dawären,<lb/>
die sich diese ihre Lieblingsbüchelchen mit mächtigen Bildern verziert, ver¬<lb/>
schwenderisch prächtig gedruckt, als Riesenbände schenken lassen! Ginge es nach<lb/>
der Ausstattung und der Buchgestalt, unsre Frauendichter wären die reichsten,<lb/>
größten Dichter der Weltliteratur. Einem Gedichte, das Julius Wolff gesungen und<lb/>
Paul Thumann illustrirt hat, wie könnte dem ein Frauenherz widerstehen! Dem<lb/>
Manne liegt am äußeren Gewände nicht so viel, wenn es nur dauerhaft und<lb/>
geschmackvoll ist, es dünkt ihn widersinnig, daß der Einband des Buches mehr<lb/>
wert sein soll als der Inhalt. Er weiß oft aus Erfahrung, wie betrübend es<lb/>
ist, wenn das bei Menschen vorkommt.  Die Frauen haben es ihn gelehrt.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0478] Frauen- und Goldschnitt-Literatur. Die Dichter und ihr Anhang. Verleger und Buchhändler, stehen sich nicht schlecht bei dieser weiblichen Schntzherrlichkeit. Die Frauen sind nachsichtigere und dankbarere Leserinnen als die Männer: sie erziehen nicht nur ihre Poeten, sie verziehen sie auch. Vor allem aber kaufen sie und verschenken, das heißt, man kauft, um ihnen zu schenken. Der Gelehrte, der Geschäftsmann muß allerlei Werke, die er zum Handwerk notwendig braucht, so teuer bezahlen, daß er gar kein Geld übrig hat, für sich selbst belletristische Sachen zu kaufen, wie ein häßliches Wort die schöne Literatur mißcichtlich bezeichnet. Für sich kauft er keine Gedichte, keine Romane, die er aus Leihbibliotheken so bequem haben kann, aber für „sie" ists etwas andres. So sorgen die Frauen, daß wenigstens einmal im Jahre, vor Weihnachten, die Schaufenster unsrer Buchläden in buntem Flore prangen. Da erscheinen in goldverzierten Kalikobänden mit schönen Titel¬ bildchen die neuesten Romane der allbeliebten Dichter, die ,,auf keinem Weih¬ nachtstische fehlen sollten." Da liegen in grünen, roten, braunen und veilchen- farbenen Einbänden alle die alten episch-lyrischen ,.Sänge," alle die Anthologien, da prangen in buntem Leder mit fußlangen Goldbuchstaben riesengroße Pracht¬ werke. Da gleichen im Dezember die Spalten und Beilagen der Zeitschriften und Zeitungen ellenlangen Büchcrkatalogen, die mit prahlerischer Aufdringlich¬ keit ihre eigne Vortrefflichkeit preisen. Die Buchhändler sind den Frauen wirklich zu großem Danke verpflichtet. Wie hätten sie je daran denken können, kleine Dichterwerkchen in Großfolio erscheinen zu lassen, wenn nicht Frauen dawären, die sich diese ihre Lieblingsbüchelchen mit mächtigen Bildern verziert, ver¬ schwenderisch prächtig gedruckt, als Riesenbände schenken lassen! Ginge es nach der Ausstattung und der Buchgestalt, unsre Frauendichter wären die reichsten, größten Dichter der Weltliteratur. Einem Gedichte, das Julius Wolff gesungen und Paul Thumann illustrirt hat, wie könnte dem ein Frauenherz widerstehen! Dem Manne liegt am äußeren Gewände nicht so viel, wenn es nur dauerhaft und geschmackvoll ist, es dünkt ihn widersinnig, daß der Einband des Buches mehr wert sein soll als der Inhalt. Er weiß oft aus Erfahrung, wie betrübend es ist, wenn das bei Menschen vorkommt. Die Frauen haben es ihn gelehrt.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/478
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/478>, abgerufen am 29.12.2024.