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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

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Frauen- und Goldschnitt-Literatur.

und bringen, wie alte Vermittelungstanten, gern Leutchen zusammen, die herzlich
schlecht zueinander passen.

Ganz unheilvoll wirkt der weibliche Einfluß auf die Novellistik, die in
Zeitungen und Büchern überreichlich fließt. Drei Viertel davon und mehr ist
verschwommenes Zeug, schwächliche Kost für einen verweichlichten Leserkreis.
Uralte, einfache Gegenstände werden ohne eignen Stil, ohne lebensvolle
Charakterzeichnung, ohne scharfe Beobachtung nach alten Mustern in einer lang¬
weilig matten Darstellung mit gefühlvoll blumenreicher Sprache ausgesponnen.
selbständig fühlende Leute mit etwas literarischer Bildung kommen über den
Anfang dieser Geschichten nicht hinaus, aber unzähligen gelten diese blassen
Schablvnencrzählungen für wirkliche Kunstwerke. Doch auch wir andern, soviel
wir der heutigen Literatur ein Interesse zuwenden, urteilen weiblicher, als wir
wollen und wissen. Wir stammen alle aus der Schule der Frauen und sind
gewöhnt, wie sie, literarische Erzeugnisse anzusehen. Wie wäre es sonst möglich,
daß Männer modernere Miniaturpoeten so maßlos überschätzen könnten? Wie
hätten ägyptische Romane von Backfischbildungshöhe trotz ihres kraftlos glatten
Stils, trotz ihrer redseligen Menschenpuppen, trotz ihrer ermüdend breiten
Schilderungssucht ein Jahrzehnt lang fast widerspruchslos gerühmt werden
können? Wenn wir nicht allesamt etwas verweiblicht wären, wie könnten wir
unsern Frauen und Mädchen geduldig jahraus, jahrein zu Weihnachten und
wann sonst diese Büchelchen schenken?*)

Freilich die weiblichen Einflüsse, die in der literarischen Öffentlichkeit auf
uns eindringen, sind stark. Für die Frauen erscheinen eine Menge "Frauen¬
zeitungen," illustrirte und nicht illustrirte, mit und ohne Modebeilagen; im
Frauenstil gehalten sind alle die Blätter, die fürs Haus und die Familie be¬
stimmt zu sein vorgeben; wollen die Männer, die doch auch sozusagen zur
Familie gehören, mitlesen, so müssen sie eben rücksichtsvoll ihren Geschmack dem
ihrer weiblichen Familienglieder anbequemen. Sie thun das auch gern und
lesen ihre bunten Blätter gerade so eifrig, so kritiklos und so dankbar wie die
Frauen. Die politischen Zeitungen selbst, deren streitbarer Tagesinhalt den
Frauen ein Gräuel ist. haben "unterm Strich" eine Plauderecke eingerichtet, in
der sie leichte Allerweltsunterhaltung bringen, wie sie die Frauen lieben. Die
Geschichtchen des vermischten Teiles und die Novellen des Feuilletons versöhnen
die Leserinnen wieder mit dem nutzlos bedruckten Papier der Hauptabteilungen.
Wollte die literarische Welt sich als Republik konstituiren, sie müßte, wenn sie
aufrichtig wäre, eine Präsidentin ernennen, und sie würde es zweifellos thun,
wenn die Wahl nach allgemeinem Stimmrecht geschähe.



") Es ist nicht bloß in der Literatur so. Auch Richard Wagners "Musttdrama" ist
nur durch die Frauen so lange gehalten worden. Der Umschlag, der sich jetzt vollzieht,
D. Red. wäre sonst längst da.
Frauen- und Goldschnitt-Literatur.

und bringen, wie alte Vermittelungstanten, gern Leutchen zusammen, die herzlich
schlecht zueinander passen.

Ganz unheilvoll wirkt der weibliche Einfluß auf die Novellistik, die in
Zeitungen und Büchern überreichlich fließt. Drei Viertel davon und mehr ist
verschwommenes Zeug, schwächliche Kost für einen verweichlichten Leserkreis.
Uralte, einfache Gegenstände werden ohne eignen Stil, ohne lebensvolle
Charakterzeichnung, ohne scharfe Beobachtung nach alten Mustern in einer lang¬
weilig matten Darstellung mit gefühlvoll blumenreicher Sprache ausgesponnen.
selbständig fühlende Leute mit etwas literarischer Bildung kommen über den
Anfang dieser Geschichten nicht hinaus, aber unzähligen gelten diese blassen
Schablvnencrzählungen für wirkliche Kunstwerke. Doch auch wir andern, soviel
wir der heutigen Literatur ein Interesse zuwenden, urteilen weiblicher, als wir
wollen und wissen. Wir stammen alle aus der Schule der Frauen und sind
gewöhnt, wie sie, literarische Erzeugnisse anzusehen. Wie wäre es sonst möglich,
daß Männer modernere Miniaturpoeten so maßlos überschätzen könnten? Wie
hätten ägyptische Romane von Backfischbildungshöhe trotz ihres kraftlos glatten
Stils, trotz ihrer redseligen Menschenpuppen, trotz ihrer ermüdend breiten
Schilderungssucht ein Jahrzehnt lang fast widerspruchslos gerühmt werden
können? Wenn wir nicht allesamt etwas verweiblicht wären, wie könnten wir
unsern Frauen und Mädchen geduldig jahraus, jahrein zu Weihnachten und
wann sonst diese Büchelchen schenken?*)

Freilich die weiblichen Einflüsse, die in der literarischen Öffentlichkeit auf
uns eindringen, sind stark. Für die Frauen erscheinen eine Menge „Frauen¬
zeitungen," illustrirte und nicht illustrirte, mit und ohne Modebeilagen; im
Frauenstil gehalten sind alle die Blätter, die fürs Haus und die Familie be¬
stimmt zu sein vorgeben; wollen die Männer, die doch auch sozusagen zur
Familie gehören, mitlesen, so müssen sie eben rücksichtsvoll ihren Geschmack dem
ihrer weiblichen Familienglieder anbequemen. Sie thun das auch gern und
lesen ihre bunten Blätter gerade so eifrig, so kritiklos und so dankbar wie die
Frauen. Die politischen Zeitungen selbst, deren streitbarer Tagesinhalt den
Frauen ein Gräuel ist. haben „unterm Strich" eine Plauderecke eingerichtet, in
der sie leichte Allerweltsunterhaltung bringen, wie sie die Frauen lieben. Die
Geschichtchen des vermischten Teiles und die Novellen des Feuilletons versöhnen
die Leserinnen wieder mit dem nutzlos bedruckten Papier der Hauptabteilungen.
Wollte die literarische Welt sich als Republik konstituiren, sie müßte, wenn sie
aufrichtig wäre, eine Präsidentin ernennen, und sie würde es zweifellos thun,
wenn die Wahl nach allgemeinem Stimmrecht geschähe.



») Es ist nicht bloß in der Literatur so. Auch Richard Wagners „Musttdrama" ist
nur durch die Frauen so lange gehalten worden. Der Umschlag, der sich jetzt vollzieht,
D. Red. wäre sonst längst da.
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[0477] Frauen- und Goldschnitt-Literatur. und bringen, wie alte Vermittelungstanten, gern Leutchen zusammen, die herzlich schlecht zueinander passen. Ganz unheilvoll wirkt der weibliche Einfluß auf die Novellistik, die in Zeitungen und Büchern überreichlich fließt. Drei Viertel davon und mehr ist verschwommenes Zeug, schwächliche Kost für einen verweichlichten Leserkreis. Uralte, einfache Gegenstände werden ohne eignen Stil, ohne lebensvolle Charakterzeichnung, ohne scharfe Beobachtung nach alten Mustern in einer lang¬ weilig matten Darstellung mit gefühlvoll blumenreicher Sprache ausgesponnen. selbständig fühlende Leute mit etwas literarischer Bildung kommen über den Anfang dieser Geschichten nicht hinaus, aber unzähligen gelten diese blassen Schablvnencrzählungen für wirkliche Kunstwerke. Doch auch wir andern, soviel wir der heutigen Literatur ein Interesse zuwenden, urteilen weiblicher, als wir wollen und wissen. Wir stammen alle aus der Schule der Frauen und sind gewöhnt, wie sie, literarische Erzeugnisse anzusehen. Wie wäre es sonst möglich, daß Männer modernere Miniaturpoeten so maßlos überschätzen könnten? Wie hätten ägyptische Romane von Backfischbildungshöhe trotz ihres kraftlos glatten Stils, trotz ihrer redseligen Menschenpuppen, trotz ihrer ermüdend breiten Schilderungssucht ein Jahrzehnt lang fast widerspruchslos gerühmt werden können? Wenn wir nicht allesamt etwas verweiblicht wären, wie könnten wir unsern Frauen und Mädchen geduldig jahraus, jahrein zu Weihnachten und wann sonst diese Büchelchen schenken?*) Freilich die weiblichen Einflüsse, die in der literarischen Öffentlichkeit auf uns eindringen, sind stark. Für die Frauen erscheinen eine Menge „Frauen¬ zeitungen," illustrirte und nicht illustrirte, mit und ohne Modebeilagen; im Frauenstil gehalten sind alle die Blätter, die fürs Haus und die Familie be¬ stimmt zu sein vorgeben; wollen die Männer, die doch auch sozusagen zur Familie gehören, mitlesen, so müssen sie eben rücksichtsvoll ihren Geschmack dem ihrer weiblichen Familienglieder anbequemen. Sie thun das auch gern und lesen ihre bunten Blätter gerade so eifrig, so kritiklos und so dankbar wie die Frauen. Die politischen Zeitungen selbst, deren streitbarer Tagesinhalt den Frauen ein Gräuel ist. haben „unterm Strich" eine Plauderecke eingerichtet, in der sie leichte Allerweltsunterhaltung bringen, wie sie die Frauen lieben. Die Geschichtchen des vermischten Teiles und die Novellen des Feuilletons versöhnen die Leserinnen wieder mit dem nutzlos bedruckten Papier der Hauptabteilungen. Wollte die literarische Welt sich als Republik konstituiren, sie müßte, wenn sie aufrichtig wäre, eine Präsidentin ernennen, und sie würde es zweifellos thun, wenn die Wahl nach allgemeinem Stimmrecht geschähe. ») Es ist nicht bloß in der Literatur so. Auch Richard Wagners „Musttdrama" ist nur durch die Frauen so lange gehalten worden. Der Umschlag, der sich jetzt vollzieht, D. Red. wäre sonst längst da.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/477>, abgerufen am 29.12.2024.