Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.Das Unwesen der Lotterien. Säulen, Zimmerausstattungen u. s. w. zur Ausspielung zu bringen. Glaubt Daß die in jüngster Zeit vielfach veranstalteten Verlosungen von Wagen, Pferden, Wir vermuten, daß erst der letztgedachte Verlust die glückliche und doch so Das Unwesen der Lotterien. Säulen, Zimmerausstattungen u. s. w. zur Ausspielung zu bringen. Glaubt Daß die in jüngster Zeit vielfach veranstalteten Verlosungen von Wagen, Pferden, Wir vermuten, daß erst der letztgedachte Verlust die glückliche und doch so <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0467" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/157392"/> <fw type="header" place="top"> Das Unwesen der Lotterien.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1612" prev="#ID_1611"> Säulen, Zimmerausstattungen u. s. w. zur Ausspielung zu bringen. Glaubt<lb/> man denn nun wirklich, der Gewinner eines Goldeies im Werte von 15000 Mark<lb/> werde dasselbe als ein Kunstwerk betrachten und unter seine Nippsachen auf den<lb/> Schreibtisch legen? Wir sind auch in dieser Beziehung der Meinung, daß es<lb/> dem Ansehen der Obrigkeit nicht förderlich ist, wenn sie gewissermaßen selbst die<lb/> Hand dazu bietet, den von ihr aufgestellten Grundsätzen hohnzusprechen; zumal,<lb/> wenn man zugleich in Betracht zieht, daß diese Art der Ausspielungen wieder<lb/> ein reiches Feld für Betrügereien und Beschwindelungen abgiebt. Als Beleg<lb/> wollen wir nur folgende Korrespondenz aus Bremen hier aufführen, die vor<lb/> kurzem durch die Zeitungen lief.</p><lb/> <p xml:id="ID_1613"> Daß die in jüngster Zeit vielfach veranstalteten Verlosungen von Wagen, Pferden,<lb/> Kunstgegenständen und andren Herrlichkeiten zu irgendwelchen wohlthätigen oder<lb/> gemeinnützigen Zwecken den Kollektcmten leicht Gelegenheit zu unerlaubten Über¬<lb/> vorteilungen des Publikums bieten, beweist ein Straffall, der gestern vor dem<lb/> hiesigen Landgerichte verhandelt wurde. Der Verein für Kinderheilstätten an den<lb/> deutschen Seeküsten hatte im vorigen Winter eine derartige Lotterie veranstaltet,<lb/> und es war u. a. einem bekannten Bankier in Berlin der Vertrieb einer größeren<lb/> Anzahl Loose übertragen worden. In seine Kollekte fiel dann auch der Haupt¬<lb/> gewinn von 50 000 Mark, der in einer massiven, 37 Pfund schweren Goldsäule be¬<lb/> stand, mit einem garantirten Goldwert von 48 000 Mark. Der Bankier hatte<lb/> sich den Namen seiner Loosabnehmer sorgfältig gemerkt und konnte daher un¬<lb/> mittelbar feststellen, daß zwei hiesige Dienstmädchen glückliche Inhaberinnen der<lb/> Gewinnnmnmer sein mußten. Sofort reiste er nach Bremen, ließ die beiden<lb/> Schwestern in seinen Gasthof kommen und teilte hinter wohlverschlossener Thür<lb/> den Ahnungslosen ihr Glück mit, indem er sogleich dicke Packete von Banknoten<lb/> und schwere Rollen Doppelkronen vor ihren gierigen Blicken auskramte. Die<lb/> neuen weiblichen Krösusse fanden sich natürlich zu einer fürstlichen Belohnung an<lb/> den freundlichen Überbringer leicht bereit, und er wußte ihnen auch soviel von den<lb/> Schwierigkeiten und Verluste» vorzuerzählen, die für ihn damit verknüpft sein<lb/> würden, die Goldsäule in baares Geld umzuprägen, daß sie froh waren, als ihnen<lb/> der freundliche Herr baare 44000 Mark für das Loos bot und zahlte. Dem<lb/> Staatsanwalt gefiel dieses Geschäft freilich weniger, namentlich als er ermittelte,<lb/> daß der Herr sich bereits Tags darauf in Berlin die vollen garantirten 48 000<lb/> Mark gegen Umtausch der Säule bei den Juwelieren Gebrüder Friedländer ver¬<lb/> schafft hatte. Und das Landgericht war denn gestern auch so grausam, den menschen¬<lb/> freundlichen Stellvertreter Fortunas wegen Übervorteilung in eine hohe Geldstrafe<lb/> zu nehmen. Auch wird er wohl den Rest des vorenthaltenen Gewinnes noch an<lb/> die beiden Mädchen herauszahlen müssen. Von diesen hat übrigens das eine in<lb/> der Zwischenzeit den Sinn des Sprichwortes: „Wie gewonnen, so zerronnen" sehr<lb/> gründlich erfahren. Sie vertraute das gewonnene Kapital dem ihrer Dienstherrin<lb/> befreundeten Kaufmann Rudolf Lichtenberg „zur Verwaltung" an, und ist so in<lb/> den skandalösen Sturz des Handelshauses Dietrich Lichtenberg und Co. verwickelt<lb/> und ihr Geld jedenfalls zum größten Teil wieder los.</p><lb/> <p xml:id="ID_1614" next="#ID_1615"> Wir vermuten, daß erst der letztgedachte Verlust die glückliche und doch so<lb/> unglückliche Gewinnerin auch über die erstgedachte Beschwindelung zum Reden<lb/> gebracht hat. Aber wie viele Geschäftchen dieser Art mögen wohl gemacht</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0467]
Das Unwesen der Lotterien.
Säulen, Zimmerausstattungen u. s. w. zur Ausspielung zu bringen. Glaubt
man denn nun wirklich, der Gewinner eines Goldeies im Werte von 15000 Mark
werde dasselbe als ein Kunstwerk betrachten und unter seine Nippsachen auf den
Schreibtisch legen? Wir sind auch in dieser Beziehung der Meinung, daß es
dem Ansehen der Obrigkeit nicht förderlich ist, wenn sie gewissermaßen selbst die
Hand dazu bietet, den von ihr aufgestellten Grundsätzen hohnzusprechen; zumal,
wenn man zugleich in Betracht zieht, daß diese Art der Ausspielungen wieder
ein reiches Feld für Betrügereien und Beschwindelungen abgiebt. Als Beleg
wollen wir nur folgende Korrespondenz aus Bremen hier aufführen, die vor
kurzem durch die Zeitungen lief.
Daß die in jüngster Zeit vielfach veranstalteten Verlosungen von Wagen, Pferden,
Kunstgegenständen und andren Herrlichkeiten zu irgendwelchen wohlthätigen oder
gemeinnützigen Zwecken den Kollektcmten leicht Gelegenheit zu unerlaubten Über¬
vorteilungen des Publikums bieten, beweist ein Straffall, der gestern vor dem
hiesigen Landgerichte verhandelt wurde. Der Verein für Kinderheilstätten an den
deutschen Seeküsten hatte im vorigen Winter eine derartige Lotterie veranstaltet,
und es war u. a. einem bekannten Bankier in Berlin der Vertrieb einer größeren
Anzahl Loose übertragen worden. In seine Kollekte fiel dann auch der Haupt¬
gewinn von 50 000 Mark, der in einer massiven, 37 Pfund schweren Goldsäule be¬
stand, mit einem garantirten Goldwert von 48 000 Mark. Der Bankier hatte
sich den Namen seiner Loosabnehmer sorgfältig gemerkt und konnte daher un¬
mittelbar feststellen, daß zwei hiesige Dienstmädchen glückliche Inhaberinnen der
Gewinnnmnmer sein mußten. Sofort reiste er nach Bremen, ließ die beiden
Schwestern in seinen Gasthof kommen und teilte hinter wohlverschlossener Thür
den Ahnungslosen ihr Glück mit, indem er sogleich dicke Packete von Banknoten
und schwere Rollen Doppelkronen vor ihren gierigen Blicken auskramte. Die
neuen weiblichen Krösusse fanden sich natürlich zu einer fürstlichen Belohnung an
den freundlichen Überbringer leicht bereit, und er wußte ihnen auch soviel von den
Schwierigkeiten und Verluste» vorzuerzählen, die für ihn damit verknüpft sein
würden, die Goldsäule in baares Geld umzuprägen, daß sie froh waren, als ihnen
der freundliche Herr baare 44000 Mark für das Loos bot und zahlte. Dem
Staatsanwalt gefiel dieses Geschäft freilich weniger, namentlich als er ermittelte,
daß der Herr sich bereits Tags darauf in Berlin die vollen garantirten 48 000
Mark gegen Umtausch der Säule bei den Juwelieren Gebrüder Friedländer ver¬
schafft hatte. Und das Landgericht war denn gestern auch so grausam, den menschen¬
freundlichen Stellvertreter Fortunas wegen Übervorteilung in eine hohe Geldstrafe
zu nehmen. Auch wird er wohl den Rest des vorenthaltenen Gewinnes noch an
die beiden Mädchen herauszahlen müssen. Von diesen hat übrigens das eine in
der Zwischenzeit den Sinn des Sprichwortes: „Wie gewonnen, so zerronnen" sehr
gründlich erfahren. Sie vertraute das gewonnene Kapital dem ihrer Dienstherrin
befreundeten Kaufmann Rudolf Lichtenberg „zur Verwaltung" an, und ist so in
den skandalösen Sturz des Handelshauses Dietrich Lichtenberg und Co. verwickelt
und ihr Geld jedenfalls zum größten Teil wieder los.
Wir vermuten, daß erst der letztgedachte Verlust die glückliche und doch so
unglückliche Gewinnerin auch über die erstgedachte Beschwindelung zum Reden
gebracht hat. Aber wie viele Geschäftchen dieser Art mögen wohl gemacht
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