Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.Zur Trinkgelderfrage. eben eine halbwegs gebildete Unterhaltung geführt, für den Wein, den sie mir Indes, alles das möchte hingehen, das schlimmste ist die demoralisirende ". Rh. Zur Trinkgelderfrage. eben eine halbwegs gebildete Unterhaltung geführt, für den Wein, den sie mir Indes, alles das möchte hingehen, das schlimmste ist die demoralisirende «. Rh. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0046" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/156971"/> <fw type="header" place="top"> Zur Trinkgelderfrage.</fw><lb/> <p xml:id="ID_113" prev="#ID_112"> eben eine halbwegs gebildete Unterhaltung geführt, für den Wein, den sie mir<lb/> kredenzt, die obligaten zwei oder drei Kreuzer hinlegen? Unmöglich! Und doch<lb/> hat man mir versichert, daß sie weit entfernt sind, Trinkgelder zurückzuweisen,<lb/> dieselben vielmehr als eine Art Nadelgeld betrachten. Ein andrer Aerger er¬<lb/> wartet uns in denjenigen Gegenden besonders des Pusterthales, die in neuerer<lb/> Zeit häufiger durch den Besuch von Engländern, Norddeutschen und andern mit<lb/> den Gewohnheiten des Trinkgeldes weniger befreundeten Völkerschaften erfreut<lb/> werden. Da es selbst für einen „Pnsterter Kopf,'' wie ihre Nachbarn das<lb/> Ding nennen, seine Schwierigkeiten hat, rechtzeitig einen Trinkgeldophoben von<lb/> einem Trinkgeldomanen zu unterscheiden, es überhaupt guter Wirtshanssitte<lb/> nicht entspricht, zweierlei Nechnnnq zu machen, so ist der Scharfsinn der be¬<lb/> treffenden Wirte auf den befriedigenden Ausweg verfallen, das Trinkgeld<lb/> schlechthin auf die Preise zu schlagen und alle ohne Unterschied, Creter und<lb/> Araber, Juden und Judengenossen, bezahlen zu lassen, sodaß.anf diese Weise<lb/> die Unschuldigen, die Trinkgelder gegeben haben und ihrer heimischen Gewohn¬<lb/> heit nach weiter geben, für die Schuld der andern in Strafe genommen werden.</p><lb/> <p xml:id="ID_114"> Indes, alles das möchte hingehen, das schlimmste ist die demoralisirende<lb/> Wirkung, welche diese Verhältnisse nicht bloß auf die Bevölkerung ausüben,<lb/> sondern auf den Reisenden. Wenigstens ans mich. Ich bin ein gewissenhafter<lb/> Mensch, gebe gern jedem das Seine und richte mich nach der Observanz des<lb/> Landes. Insbesondre den Tiroler Kellnerinnen — beileibe nicht mit unsern<lb/> Biermamsellen zu verwechseln — habe ich gern ihren Kreuzer Trinkgeld gegeben,<lb/> weil ich weiß, daß sie durchweg brave, bescheidene, sittsame Mädchen sind, die<lb/> von dem Gelde nur einen guten Gebrauch machen und es nicht, wie die Kellner<lb/> nur zu häufig, verlumpen. Wenn aber in Wien, wo das Trinkgeldnehmen schon<lb/> althergebracht ist. die gemeine Moral sich mit diesem Uebel ein für allemal<lb/> abgefunden hat, so ist das in Tirol, wo alle diese Verhältnisse noch im Werden<lb/> begriffen, ein andres. Hier hat die Kellnerin häufig noch den Umständen nach<lb/> das Gefühl, daß das Trinkgeld nicht ihre regelmäßige und schuldige Abfindung<lb/> darstelle, sondern daß es ein Geschenk sei, das sie nicht verdient habe. Die<lb/> Bevölkerung gewöhnt sich, den Fremden als einen Nabob anzusehen, der nur<lb/> auf einen passenden Anlaß wartet, um sein Geld auszustreuen, für den ein paar<lb/> Kreuzer mehr oder weniger keinen Unterschied machen, während der Bauernbursche<lb/> sich dafür schou einen Schnaps kaufen kann. Der Reisende hinwieder glaubt<lb/> sich von Räubern umgeben, die alle darauf aus sind, seinem Geldbeutel einen<lb/> moralischen Hinterhalt zu legen, er empfängt nicht den geringsten Dienst ohne<lb/> ein krampfhaftes Zucken nach dem Portemonnaie und wittert hinter jeder, so<lb/> oft rein menschlich gemeinten Liebenswürdigkeit und Gefälligkeit den Pferdefuß<lb/> des Trinkgeldes. Kurzum, die Unbefangenheit und Harmlosigkeit im Verkehr<lb/> mit der Bevölkerung geht mehr und mehr verloren. Mag dies zum Teil die<lb/> unvermeidliche Folge des erhöhten Fremdenverkehrs sein, so trägt ans der andern<lb/> Seite einen nicht geringen Teil der Schuld das Einschleppen jenes ans diesem Boden<lb/> höchst überflüssigen und ungerechtfertigten Trinkgeldes, welches ich das obligate<lb/> genannt habe und welches, den Gewohnheiten der Bevölkerung fremd, ihre<lb/> Begriffe verwirrt und ihre einfachen Sitten verdirbt. Und wenn der Charakter<lb/> der Tiroler bei alledem noch nicht von schwerer Schädigung bedroht ist, so liegt<lb/> der Grund eben in ihrer einfältigen (im Sinne Luthers), biedern, treuherzigen<lb/> Sinnesart, die ebenso entfernt ist von der gewinnsüchtigen Spekulation des<lb/> Schweizers wie von der rohen Habgier des Norwegers.</p><lb/> <note type="byline"> «. Rh.</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0046]
Zur Trinkgelderfrage.
eben eine halbwegs gebildete Unterhaltung geführt, für den Wein, den sie mir
kredenzt, die obligaten zwei oder drei Kreuzer hinlegen? Unmöglich! Und doch
hat man mir versichert, daß sie weit entfernt sind, Trinkgelder zurückzuweisen,
dieselben vielmehr als eine Art Nadelgeld betrachten. Ein andrer Aerger er¬
wartet uns in denjenigen Gegenden besonders des Pusterthales, die in neuerer
Zeit häufiger durch den Besuch von Engländern, Norddeutschen und andern mit
den Gewohnheiten des Trinkgeldes weniger befreundeten Völkerschaften erfreut
werden. Da es selbst für einen „Pnsterter Kopf,'' wie ihre Nachbarn das
Ding nennen, seine Schwierigkeiten hat, rechtzeitig einen Trinkgeldophoben von
einem Trinkgeldomanen zu unterscheiden, es überhaupt guter Wirtshanssitte
nicht entspricht, zweierlei Nechnnnq zu machen, so ist der Scharfsinn der be¬
treffenden Wirte auf den befriedigenden Ausweg verfallen, das Trinkgeld
schlechthin auf die Preise zu schlagen und alle ohne Unterschied, Creter und
Araber, Juden und Judengenossen, bezahlen zu lassen, sodaß.anf diese Weise
die Unschuldigen, die Trinkgelder gegeben haben und ihrer heimischen Gewohn¬
heit nach weiter geben, für die Schuld der andern in Strafe genommen werden.
Indes, alles das möchte hingehen, das schlimmste ist die demoralisirende
Wirkung, welche diese Verhältnisse nicht bloß auf die Bevölkerung ausüben,
sondern auf den Reisenden. Wenigstens ans mich. Ich bin ein gewissenhafter
Mensch, gebe gern jedem das Seine und richte mich nach der Observanz des
Landes. Insbesondre den Tiroler Kellnerinnen — beileibe nicht mit unsern
Biermamsellen zu verwechseln — habe ich gern ihren Kreuzer Trinkgeld gegeben,
weil ich weiß, daß sie durchweg brave, bescheidene, sittsame Mädchen sind, die
von dem Gelde nur einen guten Gebrauch machen und es nicht, wie die Kellner
nur zu häufig, verlumpen. Wenn aber in Wien, wo das Trinkgeldnehmen schon
althergebracht ist. die gemeine Moral sich mit diesem Uebel ein für allemal
abgefunden hat, so ist das in Tirol, wo alle diese Verhältnisse noch im Werden
begriffen, ein andres. Hier hat die Kellnerin häufig noch den Umständen nach
das Gefühl, daß das Trinkgeld nicht ihre regelmäßige und schuldige Abfindung
darstelle, sondern daß es ein Geschenk sei, das sie nicht verdient habe. Die
Bevölkerung gewöhnt sich, den Fremden als einen Nabob anzusehen, der nur
auf einen passenden Anlaß wartet, um sein Geld auszustreuen, für den ein paar
Kreuzer mehr oder weniger keinen Unterschied machen, während der Bauernbursche
sich dafür schou einen Schnaps kaufen kann. Der Reisende hinwieder glaubt
sich von Räubern umgeben, die alle darauf aus sind, seinem Geldbeutel einen
moralischen Hinterhalt zu legen, er empfängt nicht den geringsten Dienst ohne
ein krampfhaftes Zucken nach dem Portemonnaie und wittert hinter jeder, so
oft rein menschlich gemeinten Liebenswürdigkeit und Gefälligkeit den Pferdefuß
des Trinkgeldes. Kurzum, die Unbefangenheit und Harmlosigkeit im Verkehr
mit der Bevölkerung geht mehr und mehr verloren. Mag dies zum Teil die
unvermeidliche Folge des erhöhten Fremdenverkehrs sein, so trägt ans der andern
Seite einen nicht geringen Teil der Schuld das Einschleppen jenes ans diesem Boden
höchst überflüssigen und ungerechtfertigten Trinkgeldes, welches ich das obligate
genannt habe und welches, den Gewohnheiten der Bevölkerung fremd, ihre
Begriffe verwirrt und ihre einfachen Sitten verdirbt. Und wenn der Charakter
der Tiroler bei alledem noch nicht von schwerer Schädigung bedroht ist, so liegt
der Grund eben in ihrer einfältigen (im Sinne Luthers), biedern, treuherzigen
Sinnesart, die ebenso entfernt ist von der gewinnsüchtigen Spekulation des
Schweizers wie von der rohen Habgier des Norwegers.
«. Rh.
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