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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

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pfisters Mühle.

Das Kind hatte vollkommen recht: es wurde unheimlich in der Mühle,
und Zeit, daß die Schwalben heimwärts zogen; denn nicht einmal waren die
Karren und Schaufeln die einzigen Anzeichen, daß es mit der Lust und dem
Behage" am Leben an dieser Stelle zu Ende ging. Der Maurer und Zimmer¬
leute Handwerksgerät war auch bereits auf dem Wege nach meiner Väter lustigem
Erbe, und unbedingt war's besser, in der versunkenen Schanze des großen
Krieges von Pfisters Mühle und ihren Schicksalen weiter zu erzählen als unter
ihrem Dache in der öden Gaststube, wo der Architekt der neuen großen Fabrik¬
gesellschaft schon seine Planrollen in den Winkel gestellt hatte.

Nun bist du schon wieder bei deiner dritten Zigarre und redest nichts und
sagst nichts als kuriose italienische Verse, seufzte Emmy, ihr Schwalbenlied mit
dem ersten Verse endigend. Wir stecken noch immer in euerm ungemütlichen
und übelriechenden Winter damals. Wie wurde es denn nun weiter mit Alber-
tine und Doktor Asche und dem Herrn Doktor Lippoldes und deinem seligen
Vater?

Ja, wie wurde es denn eigentlich weiter? Wie waren die Bilder, nach
deren Verbleiben das Kind hinter dem Schwedenwall hier augenblicklich sich er¬
kundigte? Freund Asche war so gut als sein Wort, das heißt, er sendete richtig
sein gelehrtes Gutachten von Berlin aus an meinen Vater, und als es nachher
in einer Berufszeitung gedruckt erschien, fand es sich, daß es eine Arbeit von
höchstem wissenschaftlichen Werte war, was ihn sicherlich durchaus nicht über¬
raschte und ihn also auch nicht in übermäßiges Erstaunen versetzte. Große
Ehre legte er damit ein bei den Fachgenossen und sonstigen Kennern, bei den
Poeten und sonstigen sinnigen Gemütern, und vor allem bei allen den Bach-
und Flußanwohnern, die in gleicher Weise wie der alte Mühlherr von Pfisters
Mühle und Krugwirtschaft zu dulden hatten. Aber wenig Anerkennung und gar
keinen Dank fand er bei den Leuten von Krickerode und ähnlichen Werkanstalten,
die das edelste der Elemente als nur für ihren Zweck, Nutzen und Gebrauch
vorhanden glaubten. Diese stellten sich selbstverständlich auf einen andern Stand¬
punkt dem unberufenen, überstudirten Querulanten gegenüber und ließen es vor
allen Dingen erst einmal ruhig auf einen Prozeß ankommen.

Und das war denn der erste und der letzte Prozeß, den mein armer Vater
zu führen hatte, trotzdem daß er schon eine so erkleckliche Reihe von Jahren in
dieser bissigen, feindseligen Welt gelebt hatte. Er war immer gut, friedlich und
vergnügt mit eben dieser Welt ausgekommen, sowohl als Müller wie als
Schenkwirt, und hatte jetzt also sein ganzes freundliches, braves Wesen umzu¬
wenden, ehe er seinerseits in den großen Kampf eintrat und im Wirbel des
Überganges der deutschen Nation aus einem Bauernvolk in einen Industriestaat
seine Mülleraxt mit bitterm Grimm von der Wand herunterlangte. Noch
häufig sah ich ihn damals bis Ostern, ehe er seinerseits zum Advokaten ging,
in meinem Schülerstübchen, und mit immer wachsendem Herzeleid. Von Woche


pfisters Mühle.

Das Kind hatte vollkommen recht: es wurde unheimlich in der Mühle,
und Zeit, daß die Schwalben heimwärts zogen; denn nicht einmal waren die
Karren und Schaufeln die einzigen Anzeichen, daß es mit der Lust und dem
Behage» am Leben an dieser Stelle zu Ende ging. Der Maurer und Zimmer¬
leute Handwerksgerät war auch bereits auf dem Wege nach meiner Väter lustigem
Erbe, und unbedingt war's besser, in der versunkenen Schanze des großen
Krieges von Pfisters Mühle und ihren Schicksalen weiter zu erzählen als unter
ihrem Dache in der öden Gaststube, wo der Architekt der neuen großen Fabrik¬
gesellschaft schon seine Planrollen in den Winkel gestellt hatte.

Nun bist du schon wieder bei deiner dritten Zigarre und redest nichts und
sagst nichts als kuriose italienische Verse, seufzte Emmy, ihr Schwalbenlied mit
dem ersten Verse endigend. Wir stecken noch immer in euerm ungemütlichen
und übelriechenden Winter damals. Wie wurde es denn nun weiter mit Alber-
tine und Doktor Asche und dem Herrn Doktor Lippoldes und deinem seligen
Vater?

Ja, wie wurde es denn eigentlich weiter? Wie waren die Bilder, nach
deren Verbleiben das Kind hinter dem Schwedenwall hier augenblicklich sich er¬
kundigte? Freund Asche war so gut als sein Wort, das heißt, er sendete richtig
sein gelehrtes Gutachten von Berlin aus an meinen Vater, und als es nachher
in einer Berufszeitung gedruckt erschien, fand es sich, daß es eine Arbeit von
höchstem wissenschaftlichen Werte war, was ihn sicherlich durchaus nicht über¬
raschte und ihn also auch nicht in übermäßiges Erstaunen versetzte. Große
Ehre legte er damit ein bei den Fachgenossen und sonstigen Kennern, bei den
Poeten und sonstigen sinnigen Gemütern, und vor allem bei allen den Bach-
und Flußanwohnern, die in gleicher Weise wie der alte Mühlherr von Pfisters
Mühle und Krugwirtschaft zu dulden hatten. Aber wenig Anerkennung und gar
keinen Dank fand er bei den Leuten von Krickerode und ähnlichen Werkanstalten,
die das edelste der Elemente als nur für ihren Zweck, Nutzen und Gebrauch
vorhanden glaubten. Diese stellten sich selbstverständlich auf einen andern Stand¬
punkt dem unberufenen, überstudirten Querulanten gegenüber und ließen es vor
allen Dingen erst einmal ruhig auf einen Prozeß ankommen.

Und das war denn der erste und der letzte Prozeß, den mein armer Vater
zu führen hatte, trotzdem daß er schon eine so erkleckliche Reihe von Jahren in
dieser bissigen, feindseligen Welt gelebt hatte. Er war immer gut, friedlich und
vergnügt mit eben dieser Welt ausgekommen, sowohl als Müller wie als
Schenkwirt, und hatte jetzt also sein ganzes freundliches, braves Wesen umzu¬
wenden, ehe er seinerseits in den großen Kampf eintrat und im Wirbel des
Überganges der deutschen Nation aus einem Bauernvolk in einen Industriestaat
seine Mülleraxt mit bitterm Grimm von der Wand herunterlangte. Noch
häufig sah ich ihn damals bis Ostern, ehe er seinerseits zum Advokaten ging,
in meinem Schülerstübchen, und mit immer wachsendem Herzeleid. Von Woche


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/440>, abgerufen am 29.12.2024.