Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.Aur Trinkgelderfrage. ein Verhältnis, das beiden Teilen gleichmäßig behagt, dem Empfangenden, in¬ Dies regelmäßige Wiener Trinkgeld an den die Kellnerschaft vertretenden Das gerade Gegenteil dieser ersten Art des Trinkgeldes ist das "Gründer¬ Grenzboten IV. 1L84. 5
Aur Trinkgelderfrage. ein Verhältnis, das beiden Teilen gleichmäßig behagt, dem Empfangenden, in¬ Dies regelmäßige Wiener Trinkgeld an den die Kellnerschaft vertretenden Das gerade Gegenteil dieser ersten Art des Trinkgeldes ist das „Gründer¬ Grenzboten IV. 1L84. 5
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0041" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/156966"/> <fw type="header" place="top"> Aur Trinkgelderfrage.</fw><lb/> <p xml:id="ID_102" prev="#ID_101"> ein Verhältnis, das beiden Teilen gleichmäßig behagt, dem Empfangenden, in¬<lb/> sofern das Trinkgeld von Natur eine stete Neigung zur Hauffe hat, und nicht<lb/> weniger dem Geber, der sich mit dem Bewußtsein schmeicheln darf, daß er sich<lb/> durch jede Selbstentäußerung seiner zwei Kreuzer das Zeugnis eines Gentleman<lb/> ausstellt. Diese Trennung, künstlich und lächerlich, wie sie auf den ersten Blick<lb/> sich darstellt, ist doch nicht ohne den Schein einer Verteidigung. Man könnte<lb/> an das Hofbräuhaus in München erinnern, wo der Gast genötigt ist, seinen<lb/> Schoppen selbst zu spülen und zum Faß zu tragen. Auch die Dänen scheinen<lb/> dieser Ansicht zu sein, da sie es nicht für überflüssig halten, z. B. dem „Kaffee"<lb/> ihrer Lokale regelmäßig die Worte „og Bevärtning" (und Aufwartung) hinzu¬<lb/> zufügen. Man könnte den Kellner als eine liebenswürdige Menschenklasse<lb/> ansehen, die sich die Aufgabe gestellt hat, zwischen den Gästen und der Küche<lb/> oder dem Keller zu iutervcnireu, eine Menschenklasse, zu respektabel, um sich ihre<lb/> oxsras liböi-floh anders als durch freiwilliges Honorar vergelten zu lassen.</p><lb/> <p xml:id="ID_103"> Dies regelmäßige Wiener Trinkgeld an den die Kellnerschaft vertretenden<lb/> Zählkellner nun kann als Beispiel der ersten und uneigentlichstcn Art des<lb/> Trinkgeldes gelten; wir nennen es das „obligate Trinkgeld." Es wird gegeben<lb/> für eine fest bestimmte, allen gleichmäßig gegenübertretende Dienstleistung,<lb/> es bildet das Entgelt selbst und hat nur den Schein eines Trinkgeldes, was<lb/> sich sofort zeigen würde im Falle eines allgemeinen Trinkgeldstreiks. Einen<lb/> derartigen Versuch, die Natur dieses Trinkgeldes zu erproben, wird der Wirt<lb/> einfach durch die Aufnahme des entsprechenden Betrages in seinen Tarif<lb/> beantworten.</p><lb/> <p xml:id="ID_104" next="#ID_105"> Das gerade Gegenteil dieser ersten Art des Trinkgeldes ist das „Gründer¬<lb/> trinkgeld," das verwerflichste, verderblichste und lächerlichste aller Trinkgelder.<lb/> Es ist nichts andres als ein Geschenk. Man giebt es, wenn man in der<lb/> Lotterie gewonnen oder die Nachricht erhalten hat, daß ein Erbonkel schwer<lb/> erkrankt sei, dem ersten besten Kellner, wie man an der nächsten Ecke einem<lb/> armen Weibe ein Almosen giebt. Unter Umständen kann dies Trinkgeld<lb/> endemisch werden, und so, scheint mir, verdankt Berlin die Invasion des Trink¬<lb/> geldes jener Gründerzeit, in der jedermann glaubte, auf dem geraden Wege zum<lb/> Eldorado zu sein, und es für angemessen hielt, von seiner bevorstehenden<lb/> Nangescrhöhung dem Kellner seines Stammlokals durch Ausstreuung kleiner<lb/> Münze nach Fürstenart einen Vorgeschmack zu geben. Solche Perioden plötz¬<lb/> lichen materiellen Aufschwunges sind für die Einbürgerung derartiger Unsitten<lb/> die günstigsten; das Trinkgeld tritt erst als gelegentliches, freiwilliges ans, um<lb/> allmählich zu der erstgenannten Art, dem obligaten, auszuarten. Dies ist ge¬<lb/> schehen, wenn der Betrag desselben ein so ansehnlicher und regelmäßiger wird,<lb/> daß der Wirt ihn als ordentlichen Faktor in seine Kalkulation aufnehmen und<lb/> den Kellner darauf anweisen kann. Das Ende des Gründertrinkgeldes, wenn<lb/> es ganze Gesellschaftsklassen ergreift, ist also, daß der Wirt den ganzen Profit</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV. 1L84. 5</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0041]
Aur Trinkgelderfrage.
ein Verhältnis, das beiden Teilen gleichmäßig behagt, dem Empfangenden, in¬
sofern das Trinkgeld von Natur eine stete Neigung zur Hauffe hat, und nicht
weniger dem Geber, der sich mit dem Bewußtsein schmeicheln darf, daß er sich
durch jede Selbstentäußerung seiner zwei Kreuzer das Zeugnis eines Gentleman
ausstellt. Diese Trennung, künstlich und lächerlich, wie sie auf den ersten Blick
sich darstellt, ist doch nicht ohne den Schein einer Verteidigung. Man könnte
an das Hofbräuhaus in München erinnern, wo der Gast genötigt ist, seinen
Schoppen selbst zu spülen und zum Faß zu tragen. Auch die Dänen scheinen
dieser Ansicht zu sein, da sie es nicht für überflüssig halten, z. B. dem „Kaffee"
ihrer Lokale regelmäßig die Worte „og Bevärtning" (und Aufwartung) hinzu¬
zufügen. Man könnte den Kellner als eine liebenswürdige Menschenklasse
ansehen, die sich die Aufgabe gestellt hat, zwischen den Gästen und der Küche
oder dem Keller zu iutervcnireu, eine Menschenklasse, zu respektabel, um sich ihre
oxsras liböi-floh anders als durch freiwilliges Honorar vergelten zu lassen.
Dies regelmäßige Wiener Trinkgeld an den die Kellnerschaft vertretenden
Zählkellner nun kann als Beispiel der ersten und uneigentlichstcn Art des
Trinkgeldes gelten; wir nennen es das „obligate Trinkgeld." Es wird gegeben
für eine fest bestimmte, allen gleichmäßig gegenübertretende Dienstleistung,
es bildet das Entgelt selbst und hat nur den Schein eines Trinkgeldes, was
sich sofort zeigen würde im Falle eines allgemeinen Trinkgeldstreiks. Einen
derartigen Versuch, die Natur dieses Trinkgeldes zu erproben, wird der Wirt
einfach durch die Aufnahme des entsprechenden Betrages in seinen Tarif
beantworten.
Das gerade Gegenteil dieser ersten Art des Trinkgeldes ist das „Gründer¬
trinkgeld," das verwerflichste, verderblichste und lächerlichste aller Trinkgelder.
Es ist nichts andres als ein Geschenk. Man giebt es, wenn man in der
Lotterie gewonnen oder die Nachricht erhalten hat, daß ein Erbonkel schwer
erkrankt sei, dem ersten besten Kellner, wie man an der nächsten Ecke einem
armen Weibe ein Almosen giebt. Unter Umständen kann dies Trinkgeld
endemisch werden, und so, scheint mir, verdankt Berlin die Invasion des Trink¬
geldes jener Gründerzeit, in der jedermann glaubte, auf dem geraden Wege zum
Eldorado zu sein, und es für angemessen hielt, von seiner bevorstehenden
Nangescrhöhung dem Kellner seines Stammlokals durch Ausstreuung kleiner
Münze nach Fürstenart einen Vorgeschmack zu geben. Solche Perioden plötz¬
lichen materiellen Aufschwunges sind für die Einbürgerung derartiger Unsitten
die günstigsten; das Trinkgeld tritt erst als gelegentliches, freiwilliges ans, um
allmählich zu der erstgenannten Art, dem obligaten, auszuarten. Dies ist ge¬
schehen, wenn der Betrag desselben ein so ansehnlicher und regelmäßiger wird,
daß der Wirt ihn als ordentlichen Faktor in seine Kalkulation aufnehmen und
den Kellner darauf anweisen kann. Das Ende des Gründertrinkgeldes, wenn
es ganze Gesellschaftsklassen ergreift, ist also, daß der Wirt den ganzen Profit
Grenzboten IV. 1L84. 5
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