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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

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Pfisters Mühle.

Er stiefelte dem getreuen Knecht saufe voran, flußabwärts, und ich suchte
mit dem verschollenen Poeten nachzufolgen. Das Wort, daß es besser gewesen
wäre, wenn der letztere zu Hause und im Warmen sich gehalten hätte, be¬
wahrheitete sich in bedenklicher Weise immer mehr.

Ach, er paßte ganz, nur zu sehr in den Tag, die Witterung, die Be¬
leuchtung, und deshalb umso dringlicher an den warmen Ofen und unter die
lieben, hellen, sorglichen Augen seiner Tochter! Immer tiefer schien ihm der
Frost in die vorzeitig mürben Knochen zu dringen, und mit zitterndem Finger
wies er auf den jungem, gesundem Mann im Nebel vor uns und mit einer
vor Erregung bebenden Stimme rief er:

Und ich habe ihn einmal zu denen gezählt, für die ich in meinen guten
Stunden zu leben glaubte! Ich habe ihn, als er in deinem Alter war, mit
glänzenden Augen vor meiner Thür gehabt und mit Thränen in den Augen
regungslos auf seinem Stuhl an meinem Tische! Nun bin ich ihm der kindische
Narr, der blöde Wirrkopf, der schwache Phantast, und er Schnauze mich an und
glaubt verständig zu mir zu reden und mich zur Vernunft zu bringen, und
er überhebt sich mehr, als ich mich je in meinen besten Tagen überhoben habe.
Wie es ihn heute kitzelt, wenn er sich für sein junges, dummes Pathos rächt
und den alten Lippvldes unter seine Curatel nimmt und ihn seinerseits zum
Schluchzen bringt! Rufe ich ihn jetzt um, und er hält es der Mühe wert,
sich umzusehen, so wird er von pathologischen Vorgängen reden und ganz genau
wissen, was mir auf Nerven oder Thränendrüsen wirkt, und er hat Recht;
Recht hat er, der junge Mann! Zehn Jahre jünger -- zwanzig Jahre jünger,
und mit den jüngsten Erfahrungen des Lebens von vorn beginnen! O Eberhard
Pfister, wenn nur nicht diese schöne Festtagslandschaft, die Welt um uns her,
allerlei Staffage zur künstlerischen Vollendung nötig hätte! Und wenn es nur
nicht so entsetzlich gleichgiltig wäre, von welchem.Hintergründe wir uns abheben
und wie wohl oder übel wir uns persönlich auf dem Bilde fühlen! . . . .

Dies war nun ganz wie Emmhs tiefsinniges Wort: Wo bleiben alle die
Bilder? -- Der arme, gequälte, verloren gegangene Mann, der Poet, und
mein liebes, unpoetisches, gutes, kleines Mädchen standen vor derselben Frage,
und -- ich mit A. A. Asche und den übrigen ebenfalls, was wir uns auch
sonst einbilden mochten. --

Sie hatte sich seit Stunden nicht gerührt in unserm Sommerneste unter
dem Dachrande von Pfisters Mühle, -- Emmy. Sie hatte auch im glücklichsten,
unschuldigsten, gesunden Vormitternachtsschlaf gelegen, aber wer sagt es, wieviel
von den Bildern, die mir nächtlicherweile am Tisch im Stübchen neben der
Kammer über das Papier gegangen waren, ihr im Traum zu eben solchen Wirk¬
lichkeiten wurden, wie die reellsten Erlebnisse des wachen, lebendigen Tages?

Ein Faktum ist, daß sie (immer meine Frau), als die Hähne im Dorfe
bald krähen wollten und der erste kühlere Hauch aus Morgen den Vorhang


Pfisters Mühle.

Er stiefelte dem getreuen Knecht saufe voran, flußabwärts, und ich suchte
mit dem verschollenen Poeten nachzufolgen. Das Wort, daß es besser gewesen
wäre, wenn der letztere zu Hause und im Warmen sich gehalten hätte, be¬
wahrheitete sich in bedenklicher Weise immer mehr.

Ach, er paßte ganz, nur zu sehr in den Tag, die Witterung, die Be¬
leuchtung, und deshalb umso dringlicher an den warmen Ofen und unter die
lieben, hellen, sorglichen Augen seiner Tochter! Immer tiefer schien ihm der
Frost in die vorzeitig mürben Knochen zu dringen, und mit zitterndem Finger
wies er auf den jungem, gesundem Mann im Nebel vor uns und mit einer
vor Erregung bebenden Stimme rief er:

Und ich habe ihn einmal zu denen gezählt, für die ich in meinen guten
Stunden zu leben glaubte! Ich habe ihn, als er in deinem Alter war, mit
glänzenden Augen vor meiner Thür gehabt und mit Thränen in den Augen
regungslos auf seinem Stuhl an meinem Tische! Nun bin ich ihm der kindische
Narr, der blöde Wirrkopf, der schwache Phantast, und er Schnauze mich an und
glaubt verständig zu mir zu reden und mich zur Vernunft zu bringen, und
er überhebt sich mehr, als ich mich je in meinen besten Tagen überhoben habe.
Wie es ihn heute kitzelt, wenn er sich für sein junges, dummes Pathos rächt
und den alten Lippvldes unter seine Curatel nimmt und ihn seinerseits zum
Schluchzen bringt! Rufe ich ihn jetzt um, und er hält es der Mühe wert,
sich umzusehen, so wird er von pathologischen Vorgängen reden und ganz genau
wissen, was mir auf Nerven oder Thränendrüsen wirkt, und er hat Recht;
Recht hat er, der junge Mann! Zehn Jahre jünger — zwanzig Jahre jünger,
und mit den jüngsten Erfahrungen des Lebens von vorn beginnen! O Eberhard
Pfister, wenn nur nicht diese schöne Festtagslandschaft, die Welt um uns her,
allerlei Staffage zur künstlerischen Vollendung nötig hätte! Und wenn es nur
nicht so entsetzlich gleichgiltig wäre, von welchem.Hintergründe wir uns abheben
und wie wohl oder übel wir uns persönlich auf dem Bilde fühlen! . . . .

Dies war nun ganz wie Emmhs tiefsinniges Wort: Wo bleiben alle die
Bilder? — Der arme, gequälte, verloren gegangene Mann, der Poet, und
mein liebes, unpoetisches, gutes, kleines Mädchen standen vor derselben Frage,
und — ich mit A. A. Asche und den übrigen ebenfalls, was wir uns auch
sonst einbilden mochten. —

Sie hatte sich seit Stunden nicht gerührt in unserm Sommerneste unter
dem Dachrande von Pfisters Mühle, — Emmy. Sie hatte auch im glücklichsten,
unschuldigsten, gesunden Vormitternachtsschlaf gelegen, aber wer sagt es, wieviel
von den Bildern, die mir nächtlicherweile am Tisch im Stübchen neben der
Kammer über das Papier gegangen waren, ihr im Traum zu eben solchen Wirk¬
lichkeiten wurden, wie die reellsten Erlebnisse des wachen, lebendigen Tages?

Ein Faktum ist, daß sie (immer meine Frau), als die Hähne im Dorfe
bald krähen wollten und der erste kühlere Hauch aus Morgen den Vorhang


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[0392] Pfisters Mühle. Er stiefelte dem getreuen Knecht saufe voran, flußabwärts, und ich suchte mit dem verschollenen Poeten nachzufolgen. Das Wort, daß es besser gewesen wäre, wenn der letztere zu Hause und im Warmen sich gehalten hätte, be¬ wahrheitete sich in bedenklicher Weise immer mehr. Ach, er paßte ganz, nur zu sehr in den Tag, die Witterung, die Be¬ leuchtung, und deshalb umso dringlicher an den warmen Ofen und unter die lieben, hellen, sorglichen Augen seiner Tochter! Immer tiefer schien ihm der Frost in die vorzeitig mürben Knochen zu dringen, und mit zitterndem Finger wies er auf den jungem, gesundem Mann im Nebel vor uns und mit einer vor Erregung bebenden Stimme rief er: Und ich habe ihn einmal zu denen gezählt, für die ich in meinen guten Stunden zu leben glaubte! Ich habe ihn, als er in deinem Alter war, mit glänzenden Augen vor meiner Thür gehabt und mit Thränen in den Augen regungslos auf seinem Stuhl an meinem Tische! Nun bin ich ihm der kindische Narr, der blöde Wirrkopf, der schwache Phantast, und er Schnauze mich an und glaubt verständig zu mir zu reden und mich zur Vernunft zu bringen, und er überhebt sich mehr, als ich mich je in meinen besten Tagen überhoben habe. Wie es ihn heute kitzelt, wenn er sich für sein junges, dummes Pathos rächt und den alten Lippvldes unter seine Curatel nimmt und ihn seinerseits zum Schluchzen bringt! Rufe ich ihn jetzt um, und er hält es der Mühe wert, sich umzusehen, so wird er von pathologischen Vorgängen reden und ganz genau wissen, was mir auf Nerven oder Thränendrüsen wirkt, und er hat Recht; Recht hat er, der junge Mann! Zehn Jahre jünger — zwanzig Jahre jünger, und mit den jüngsten Erfahrungen des Lebens von vorn beginnen! O Eberhard Pfister, wenn nur nicht diese schöne Festtagslandschaft, die Welt um uns her, allerlei Staffage zur künstlerischen Vollendung nötig hätte! Und wenn es nur nicht so entsetzlich gleichgiltig wäre, von welchem.Hintergründe wir uns abheben und wie wohl oder übel wir uns persönlich auf dem Bilde fühlen! . . . . Dies war nun ganz wie Emmhs tiefsinniges Wort: Wo bleiben alle die Bilder? — Der arme, gequälte, verloren gegangene Mann, der Poet, und mein liebes, unpoetisches, gutes, kleines Mädchen standen vor derselben Frage, und — ich mit A. A. Asche und den übrigen ebenfalls, was wir uns auch sonst einbilden mochten. — Sie hatte sich seit Stunden nicht gerührt in unserm Sommerneste unter dem Dachrande von Pfisters Mühle, — Emmy. Sie hatte auch im glücklichsten, unschuldigsten, gesunden Vormitternachtsschlaf gelegen, aber wer sagt es, wieviel von den Bildern, die mir nächtlicherweile am Tisch im Stübchen neben der Kammer über das Papier gegangen waren, ihr im Traum zu eben solchen Wirk¬ lichkeiten wurden, wie die reellsten Erlebnisse des wachen, lebendigen Tages? Ein Faktum ist, daß sie (immer meine Frau), als die Hähne im Dorfe bald krähen wollten und der erste kühlere Hauch aus Morgen den Vorhang

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/392>, abgerufen am 29.12.2024.