Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.Die Venezianer zu Hause. Gelegenheiten zu geselligem Verkehr gab es bei dieser lebenslustigen Be¬ Die Venezianer zu Hause. Gelegenheiten zu geselligem Verkehr gab es bei dieser lebenslustigen Be¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0374" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/157299"/> <fw type="header" place="top"> Die Venezianer zu Hause.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1286" next="#ID_1287"> Gelegenheiten zu geselligem Verkehr gab es bei dieser lebenslustigen Be¬<lb/> völkerung in Menge, «innerhalb und außerhalb des Hauses, bei einfachen Ver¬<lb/> einigungen wie bei rauschenden Festen, die vielleicht die ganze Stadt mit in ihre<lb/> Wirbel zogen. Sehr alt ist das Schachspiel, zu dem man oft künstlerisch ge¬<lb/> arbeitete Figuren nahm; die Spielkarten scheinen eine venezianische Erfindung des<lb/> vierzehnten Jahrhunderts zu sein. Besonders beliebt war das Tarok in den höheren<lb/> Kreisen, aber die Spiellust ergriff frühzeitig das ganze Volk, sodciß selbst in den<lb/> Vorhallen der Kirchen leidenschaftliche Spieler sich versammelten. Ebenso volks¬<lb/> tümlich wurde dann das Lotto, im übrigen Italien schon seit dem vierzehnten<lb/> Jahrhundert üblich, in Venedig zuerst im Jahre 1521 von einem Privat¬<lb/> unternehmer am Rialto eingerichtet, bis 1694 der Senat ein Lottospiel von<lb/> Staatswegen einführte. Fanden sich Herren und Damen zusammen, so las<lb/> man kleine, oft recht schlüpfrige Novellen oder schwülstige Liebespoesien, wie sie<lb/> die einheimischen Kunstdichter lieferten; oder man veranstaltete Gesellschaftsspiele.<lb/> Da konversirten etwa die Teilnehmer in Schäfertracht über die Zucht der<lb/> Blumen und verhüllten mit solcher Allegorie die Gefühle der Zuneigung und<lb/> Fragen nach Gegenliebe („Das Gärtnerspiel"); oder die Damen wurden be¬<lb/> trachtet als Heilquellen der verschiedensten Eigenschaften, an welche die liebes¬<lb/> kranken Kavaliere, Heilung suchend, sich wandten, indem sie dabei ihre Leiden<lb/> schilderten („Das Badespiel"). Frühzeitig verschönten auch Gesang und<lb/> Saitenspiel solche Zusammenkünfte. Höher gestimmt waren vielleicht die Kreise,<lb/> welche man als die geistige Aristokratie bezeichnen möchte. Eine solche bildeten<lb/> vor allem die venezianischen Künstler, insbesondre die Maler. Das Haus<lb/> Tizians, Tintorettos, Bellinis, auch das des verrufenen Lästerers Pietro<lb/> Aretino waren ihre Sammelplätze. Tizian wohnte an der Nordseite Venedigs,<lb/> bei San Ccmciano. „Von der Loggia seines Hauses, zu der man von einem<lb/> großen Garten aus auf einer Treppe hinaufstieg, schweifte der Blick auf die<lb/> poetische Lagune und die fernen Alpen. Oft öffneten sich die Zimmer des<lb/> Malerfürsten festlichen Zusammenkünften, an denen Künstler und Gelehrte und<lb/> vornehme Damen teilnahmen. Der berühmte Latinist Giulio Camillo, Sansovino,<lb/> Jacopo nardi u. a. versammelten sich hier im Jahre 1540 zu einem Mahle,<lb/> das verschönert ward durch tausend Gondeln, die auf der Lagune umher¬<lb/> schwämmen. Mit den schönsten Damen waren sie besetzt, Gesang und Musik<lb/> klangen von ihnen herüber." Auch in Tintorettos Hause, der lustige Einfälle<lb/> und heiteres Leben liebte, gab es Konzerte, an denen seine Tochter Marietta,<lb/> selbst eine Malerin von Verdienst, und Giuseppe Zerlino von Chioggia teilnahmen.<lb/> Nicht minder gern sammelten sich die Kunstgenossen in Bellinis knnstgeschmücktem<lb/> Hause am Rialto mit seinem bunten Treiben. Die regierenden Geschlechter erkannten<lb/> die Künstler gewissermaßen als ebenbürtig an; sie ließen sich freimütige<lb/> Äußerungen von ihnen ruhig gefallen, sie nahmen nicht bloß ihre Kunst frei¬<lb/> gebig in Anspruch, sondern versorgten sie auch wohl mit einträglichen Ämtern,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0374]
Die Venezianer zu Hause.
Gelegenheiten zu geselligem Verkehr gab es bei dieser lebenslustigen Be¬
völkerung in Menge, «innerhalb und außerhalb des Hauses, bei einfachen Ver¬
einigungen wie bei rauschenden Festen, die vielleicht die ganze Stadt mit in ihre
Wirbel zogen. Sehr alt ist das Schachspiel, zu dem man oft künstlerisch ge¬
arbeitete Figuren nahm; die Spielkarten scheinen eine venezianische Erfindung des
vierzehnten Jahrhunderts zu sein. Besonders beliebt war das Tarok in den höheren
Kreisen, aber die Spiellust ergriff frühzeitig das ganze Volk, sodciß selbst in den
Vorhallen der Kirchen leidenschaftliche Spieler sich versammelten. Ebenso volks¬
tümlich wurde dann das Lotto, im übrigen Italien schon seit dem vierzehnten
Jahrhundert üblich, in Venedig zuerst im Jahre 1521 von einem Privat¬
unternehmer am Rialto eingerichtet, bis 1694 der Senat ein Lottospiel von
Staatswegen einführte. Fanden sich Herren und Damen zusammen, so las
man kleine, oft recht schlüpfrige Novellen oder schwülstige Liebespoesien, wie sie
die einheimischen Kunstdichter lieferten; oder man veranstaltete Gesellschaftsspiele.
Da konversirten etwa die Teilnehmer in Schäfertracht über die Zucht der
Blumen und verhüllten mit solcher Allegorie die Gefühle der Zuneigung und
Fragen nach Gegenliebe („Das Gärtnerspiel"); oder die Damen wurden be¬
trachtet als Heilquellen der verschiedensten Eigenschaften, an welche die liebes¬
kranken Kavaliere, Heilung suchend, sich wandten, indem sie dabei ihre Leiden
schilderten („Das Badespiel"). Frühzeitig verschönten auch Gesang und
Saitenspiel solche Zusammenkünfte. Höher gestimmt waren vielleicht die Kreise,
welche man als die geistige Aristokratie bezeichnen möchte. Eine solche bildeten
vor allem die venezianischen Künstler, insbesondre die Maler. Das Haus
Tizians, Tintorettos, Bellinis, auch das des verrufenen Lästerers Pietro
Aretino waren ihre Sammelplätze. Tizian wohnte an der Nordseite Venedigs,
bei San Ccmciano. „Von der Loggia seines Hauses, zu der man von einem
großen Garten aus auf einer Treppe hinaufstieg, schweifte der Blick auf die
poetische Lagune und die fernen Alpen. Oft öffneten sich die Zimmer des
Malerfürsten festlichen Zusammenkünften, an denen Künstler und Gelehrte und
vornehme Damen teilnahmen. Der berühmte Latinist Giulio Camillo, Sansovino,
Jacopo nardi u. a. versammelten sich hier im Jahre 1540 zu einem Mahle,
das verschönert ward durch tausend Gondeln, die auf der Lagune umher¬
schwämmen. Mit den schönsten Damen waren sie besetzt, Gesang und Musik
klangen von ihnen herüber." Auch in Tintorettos Hause, der lustige Einfälle
und heiteres Leben liebte, gab es Konzerte, an denen seine Tochter Marietta,
selbst eine Malerin von Verdienst, und Giuseppe Zerlino von Chioggia teilnahmen.
Nicht minder gern sammelten sich die Kunstgenossen in Bellinis knnstgeschmücktem
Hause am Rialto mit seinem bunten Treiben. Die regierenden Geschlechter erkannten
die Künstler gewissermaßen als ebenbürtig an; sie ließen sich freimütige
Äußerungen von ihnen ruhig gefallen, sie nahmen nicht bloß ihre Kunst frei¬
gebig in Anspruch, sondern versorgten sie auch wohl mit einträglichen Ämtern,
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