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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

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entHalts in Venedig fesselte und von Tintoretto gemalt ward. Denn nirgends
war der Einfluß der Hetären größer als im Bereiche der Kunst und ins¬
besondre der Malerei: der Zug des bacchantischen Genußlebens, der aus ihren
Bildern spricht, verdankt diesem Verkehr seinen Ursprung. Doch auch die Venus
vulAiv-z-AA feierte in Venedig ihre schmutzigen Triumphe, dank dem Zusammen¬
strömen zahlloser Fremder, dank der alten Verbindung mit dem entarteten Orient.
Wird doch versichert, daß die Zahl der öffentlichen Dirnen um 1500 gegen
elftausend betragen habe! Allerdings bezifferte man sie in dem weniger bevöl¬
kerten Rom um dieselbe Zeit auch auf 6800. Selbst Nobili verschmähten es
nicht, öffentliche Häuser zu unterhalten, "außerdem viele Priester und Mönche."
Und welches Sittenbild ergiebt sich, wenn 1S26 ein Andrea Michiel seine Hoch¬
zeit mit einer Dirne in einem Kloster feierte! Trotzdem sah die Regierung diese
Skandale nach, denn ärger als das waren die unnatürlichen Laster, welche wie
eine Pest ans dem Orient eindrangen. Ein besondres Colleggio mußte zu ihrer
Bekämpfung gebildet, im Jahre 1458 allwöchentlich zusammengerufen, die furcht¬
barsten Strafen mußten verhängt werden.

Gewiß hat zu dieser Entartung die faktisch geduldete, wenngleich gesetzlich
verbotene Sklaverei ein erhebliches beigetragen. Noch sind im Notariatsarchiv
in ziemlicher Menge Kaufkontrakte dieser Art erhalten, die vom zwölften bis
gegen Ende des sechzehnten Jahrhunderts reichen, allerdings in allmählich ab¬
nehmender Zahl. Ganze Schiffsladungen von Sklaven, Tataren, Russen, Türken,
Tscherkessen, Mingrelier, Bosnier, Griechen wurden gelegentlich am Rialto und bei
San Giorgio zum Verkauf gestellt. Besonders gesucht waren junge Cireassicrinnen;
sie wurden je nach ihrer Schönheit und Jugend im vierzehnten Jahrhundert
mit 40, 30, 60 Dukaten bezahlt. Im Hauswesen galten die Sklaven zwar
rechtlich als Sache und zählten deshalb zum lebendigen Inventar; thatsächlich
genossen sie indes eine durchaus menschliche Behandlung; sie empfingen die
Taufe, Lieblingssklavinnen erhielten wohl, namentlich wenn sie Söhne hatten,
ansehnliche Legate, auch Freilassungen waren nicht selten.

Daß der Verkehr eines Nobile mit Sklavinnen oder käuflichen Weibern auf
den ganzen Ton des Familienlebens vergiftend einwirken mußte, bedarf keines
Beweises. Auch das Verhältnis zur angetrauten Frau wurde naturgemäß immer
oberflächlicher aufgefaßt, und auch sie selbst konnte nicht unberührt bleiben von
dem leichtfertigen, frivolen Treiben, in dem sich sonst ihr Gemahl außerhalb
des Hauses vielleicht gefiel. Männer und Frauen gaben einander in nahezu
schamlosen Trachten wenig nach, sodaß selbst Italiener dieser Zeit ihre Ver¬
wunderung nicht unterdrücken können, obwohl bekanntlich jede Epoche dafür
ihren eignen Maßstab hat. Trotz aller eifersüchtigen Bewachung fehlten denn
auch illegitime Liebesverhältnisse durchaus nicht; nur verband sich wie im
ritterlichen Mittelalter Freiheit des intimen Verkehrs mit der strengsten Dis¬
kretion nach außen.


entHalts in Venedig fesselte und von Tintoretto gemalt ward. Denn nirgends
war der Einfluß der Hetären größer als im Bereiche der Kunst und ins¬
besondre der Malerei: der Zug des bacchantischen Genußlebens, der aus ihren
Bildern spricht, verdankt diesem Verkehr seinen Ursprung. Doch auch die Venus
vulAiv-z-AA feierte in Venedig ihre schmutzigen Triumphe, dank dem Zusammen¬
strömen zahlloser Fremder, dank der alten Verbindung mit dem entarteten Orient.
Wird doch versichert, daß die Zahl der öffentlichen Dirnen um 1500 gegen
elftausend betragen habe! Allerdings bezifferte man sie in dem weniger bevöl¬
kerten Rom um dieselbe Zeit auch auf 6800. Selbst Nobili verschmähten es
nicht, öffentliche Häuser zu unterhalten, „außerdem viele Priester und Mönche."
Und welches Sittenbild ergiebt sich, wenn 1S26 ein Andrea Michiel seine Hoch¬
zeit mit einer Dirne in einem Kloster feierte! Trotzdem sah die Regierung diese
Skandale nach, denn ärger als das waren die unnatürlichen Laster, welche wie
eine Pest ans dem Orient eindrangen. Ein besondres Colleggio mußte zu ihrer
Bekämpfung gebildet, im Jahre 1458 allwöchentlich zusammengerufen, die furcht¬
barsten Strafen mußten verhängt werden.

Gewiß hat zu dieser Entartung die faktisch geduldete, wenngleich gesetzlich
verbotene Sklaverei ein erhebliches beigetragen. Noch sind im Notariatsarchiv
in ziemlicher Menge Kaufkontrakte dieser Art erhalten, die vom zwölften bis
gegen Ende des sechzehnten Jahrhunderts reichen, allerdings in allmählich ab¬
nehmender Zahl. Ganze Schiffsladungen von Sklaven, Tataren, Russen, Türken,
Tscherkessen, Mingrelier, Bosnier, Griechen wurden gelegentlich am Rialto und bei
San Giorgio zum Verkauf gestellt. Besonders gesucht waren junge Cireassicrinnen;
sie wurden je nach ihrer Schönheit und Jugend im vierzehnten Jahrhundert
mit 40, 30, 60 Dukaten bezahlt. Im Hauswesen galten die Sklaven zwar
rechtlich als Sache und zählten deshalb zum lebendigen Inventar; thatsächlich
genossen sie indes eine durchaus menschliche Behandlung; sie empfingen die
Taufe, Lieblingssklavinnen erhielten wohl, namentlich wenn sie Söhne hatten,
ansehnliche Legate, auch Freilassungen waren nicht selten.

Daß der Verkehr eines Nobile mit Sklavinnen oder käuflichen Weibern auf
den ganzen Ton des Familienlebens vergiftend einwirken mußte, bedarf keines
Beweises. Auch das Verhältnis zur angetrauten Frau wurde naturgemäß immer
oberflächlicher aufgefaßt, und auch sie selbst konnte nicht unberührt bleiben von
dem leichtfertigen, frivolen Treiben, in dem sich sonst ihr Gemahl außerhalb
des Hauses vielleicht gefiel. Männer und Frauen gaben einander in nahezu
schamlosen Trachten wenig nach, sodaß selbst Italiener dieser Zeit ihre Ver¬
wunderung nicht unterdrücken können, obwohl bekanntlich jede Epoche dafür
ihren eignen Maßstab hat. Trotz aller eifersüchtigen Bewachung fehlten denn
auch illegitime Liebesverhältnisse durchaus nicht; nur verband sich wie im
ritterlichen Mittelalter Freiheit des intimen Verkehrs mit der strengsten Dis¬
kretion nach außen.


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[0373] entHalts in Venedig fesselte und von Tintoretto gemalt ward. Denn nirgends war der Einfluß der Hetären größer als im Bereiche der Kunst und ins¬ besondre der Malerei: der Zug des bacchantischen Genußlebens, der aus ihren Bildern spricht, verdankt diesem Verkehr seinen Ursprung. Doch auch die Venus vulAiv-z-AA feierte in Venedig ihre schmutzigen Triumphe, dank dem Zusammen¬ strömen zahlloser Fremder, dank der alten Verbindung mit dem entarteten Orient. Wird doch versichert, daß die Zahl der öffentlichen Dirnen um 1500 gegen elftausend betragen habe! Allerdings bezifferte man sie in dem weniger bevöl¬ kerten Rom um dieselbe Zeit auch auf 6800. Selbst Nobili verschmähten es nicht, öffentliche Häuser zu unterhalten, „außerdem viele Priester und Mönche." Und welches Sittenbild ergiebt sich, wenn 1S26 ein Andrea Michiel seine Hoch¬ zeit mit einer Dirne in einem Kloster feierte! Trotzdem sah die Regierung diese Skandale nach, denn ärger als das waren die unnatürlichen Laster, welche wie eine Pest ans dem Orient eindrangen. Ein besondres Colleggio mußte zu ihrer Bekämpfung gebildet, im Jahre 1458 allwöchentlich zusammengerufen, die furcht¬ barsten Strafen mußten verhängt werden. Gewiß hat zu dieser Entartung die faktisch geduldete, wenngleich gesetzlich verbotene Sklaverei ein erhebliches beigetragen. Noch sind im Notariatsarchiv in ziemlicher Menge Kaufkontrakte dieser Art erhalten, die vom zwölften bis gegen Ende des sechzehnten Jahrhunderts reichen, allerdings in allmählich ab¬ nehmender Zahl. Ganze Schiffsladungen von Sklaven, Tataren, Russen, Türken, Tscherkessen, Mingrelier, Bosnier, Griechen wurden gelegentlich am Rialto und bei San Giorgio zum Verkauf gestellt. Besonders gesucht waren junge Cireassicrinnen; sie wurden je nach ihrer Schönheit und Jugend im vierzehnten Jahrhundert mit 40, 30, 60 Dukaten bezahlt. Im Hauswesen galten die Sklaven zwar rechtlich als Sache und zählten deshalb zum lebendigen Inventar; thatsächlich genossen sie indes eine durchaus menschliche Behandlung; sie empfingen die Taufe, Lieblingssklavinnen erhielten wohl, namentlich wenn sie Söhne hatten, ansehnliche Legate, auch Freilassungen waren nicht selten. Daß der Verkehr eines Nobile mit Sklavinnen oder käuflichen Weibern auf den ganzen Ton des Familienlebens vergiftend einwirken mußte, bedarf keines Beweises. Auch das Verhältnis zur angetrauten Frau wurde naturgemäß immer oberflächlicher aufgefaßt, und auch sie selbst konnte nicht unberührt bleiben von dem leichtfertigen, frivolen Treiben, in dem sich sonst ihr Gemahl außerhalb des Hauses vielleicht gefiel. Männer und Frauen gaben einander in nahezu schamlosen Trachten wenig nach, sodaß selbst Italiener dieser Zeit ihre Ver¬ wunderung nicht unterdrücken können, obwohl bekanntlich jede Epoche dafür ihren eignen Maßstab hat. Trotz aller eifersüchtigen Bewachung fehlten denn auch illegitime Liebesverhältnisse durchaus nicht; nur verband sich wie im ritterlichen Mittelalter Freiheit des intimen Verkehrs mit der strengsten Dis¬ kretion nach außen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/373>, abgerufen am 29.12.2024.